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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.

1. Noch nicht abgeschlossene Entwicklung, Straf-
unmündigkeit des Thäters.1

Während das französische Recht und ihm folgend Preußen
(StGB. 1851) und Baiern (StGB. 1861) eine einzige straf-
rechtlich relevante Altersgrenze (16 Jahre) aufstellten, um
unterhalb derselben Prüfung der Zurechnungsfähigkeit in jedem
einzelnen Falle, oberhalb derselben aber volle Zurechnung
eintreten zu lassen, hat das RStGB.,2 im Anschlusse an die
das römisch-kanonische und gemein-deutsche Recht beherr-
schenden Grundsätze, eine doppelte Altersgrenze gezogen.

a) Kindheit; bis zum vollendeten 12. Jahre (StGB.
§. 55). Unbedingte und ausnahmslose Zurechnungs-
unfähigkeit. Infolge dieses Grundsatzes Ausschluß
jeder strafgerichtlichen Untersuchung. Als polizeiliche
Maßregel ist die Unterbringung in eine Erziehungs-
oder Besserungsanstalt zugelassen, wenn die Vormund-
schaftsbehörde die Begehung einer strafbaren Hand-
lung festgestellt und die Unterbringung für zulässig er-
klärt hat. Die Aufsichtspersonen können nach StGB.
§. 361 Nr. 9 wegen unterlassener Aufsicht, oder nach
dem unten §. 36 I zu besprechenden Grundsatze als
Selbstthäter, nie aber als Teilnehmer (da ein Delikt
nicht vorliegt) zur Verantwortung gezogen werden.3
b) Jugendliches Alter vom vollendeten 12. bis zum
vollendeten 18. Lebensjahr. Prüfung der Zurechnungs-
1 [Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grund-
riß S. 58. Dazu Ullmann
GS. XXXI, Geyer HR. "Al-
tersstufen".
2 [Spaltenumbruch] Nach §. 50 des MilStGB.
ist -- mit Rücksicht auf die schon
mit dem vollendeten 17. Lebens-[Spaltenumbruch] jahre beginnende Waffenfähigkeit
-- das Alter des Thäters ohne
Einfluß auf die Bestrafung
militärischer Verbrechen und
Vergehen.
3 [Spaltenumbruch] Die entgegenstehende OT.
3. Mai 1872 ist gewiß unrichtig.
Erſt. Buch. IV. Das Verbr. als ſchuldh. rechtswidr. Handl.

1. Noch nicht abgeſchloſſene Entwicklung, Straf-
unmündigkeit des Thäters.1

Während das franzöſiſche Recht und ihm folgend Preußen
(StGB. 1851) und Baiern (StGB. 1861) eine einzige ſtraf-
rechtlich relevante Altersgrenze (16 Jahre) aufſtellten, um
unterhalb derſelben Prüfung der Zurechnungsfähigkeit in jedem
einzelnen Falle, oberhalb derſelben aber volle Zurechnung
eintreten zu laſſen, hat das RStGB.,2 im Anſchluſſe an die
das römiſch-kanoniſche und gemein-deutſche Recht beherr-
ſchenden Grundſätze, eine doppelte Altersgrenze gezogen.

a) Kindheit; bis zum vollendeten 12. Jahre (StGB.
§. 55). Unbedingte und ausnahmsloſe Zurechnungs-
unfähigkeit. Infolge dieſes Grundſatzes Ausſchluß
jeder ſtrafgerichtlichen Unterſuchung. Als polizeiliche
Maßregel iſt die Unterbringung in eine Erziehungs-
oder Beſſerungsanſtalt zugelaſſen, wenn die Vormund-
ſchaftsbehörde die Begehung einer ſtrafbaren Hand-
lung feſtgeſtellt und die Unterbringung für zuläſſig er-
klärt hat. Die Aufſichtsperſonen können nach StGB.
§. 361 Nr. 9 wegen unterlaſſener Aufſicht, oder nach
dem unten §. 36 I zu beſprechenden Grundſatze als
Selbſtthäter, nie aber als Teilnehmer (da ein Delikt
nicht vorliegt) zur Verantwortung gezogen werden.3
b) Jugendliches Alter vom vollendeten 12. bis zum
vollendeten 18. Lebensjahr. Prüfung der Zurechnungs-
1 [Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grund-
riß S. 58. Dazu Ullmann
GS. XXXI, Geyer HR. „Al-
tersſtufen“.
2 [Spaltenumbruch] Nach §. 50 des MilStGB.
iſt — mit Rückſicht auf die ſchon
mit dem vollendeten 17. Lebens-[Spaltenumbruch] jahre beginnende Waffenfähigkeit
— das Alter des Thäters ohne
Einfluß auf die Beſtrafung
militäriſcher Verbrechen und
Vergehen.
3 [Spaltenumbruch] Die entgegenſtehende OT.
3. Mai 1872 iſt gewiß unrichtig.
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[102/0128] Erſt. Buch. IV. Das Verbr. als ſchuldh. rechtswidr. Handl. 1. Noch nicht abgeſchloſſene Entwicklung, Straf- unmündigkeit des Thäters. 1 Während das franzöſiſche Recht und ihm folgend Preußen (StGB. 1851) und Baiern (StGB. 1861) eine einzige ſtraf- rechtlich relevante Altersgrenze (16 Jahre) aufſtellten, um unterhalb derſelben Prüfung der Zurechnungsfähigkeit in jedem einzelnen Falle, oberhalb derſelben aber volle Zurechnung eintreten zu laſſen, hat das RStGB., 2 im Anſchluſſe an die das römiſch-kanoniſche und gemein-deutſche Recht beherr- ſchenden Grundſätze, eine doppelte Altersgrenze gezogen. a) Kindheit; bis zum vollendeten 12. Jahre (StGB. §. 55). Unbedingte und ausnahmsloſe Zurechnungs- unfähigkeit. Infolge dieſes Grundſatzes Ausſchluß jeder ſtrafgerichtlichen Unterſuchung. Als polizeiliche Maßregel iſt die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Beſſerungsanſtalt zugelaſſen, wenn die Vormund- ſchaftsbehörde die Begehung einer ſtrafbaren Hand- lung feſtgeſtellt und die Unterbringung für zuläſſig er- klärt hat. Die Aufſichtsperſonen können nach StGB. §. 361 Nr. 9 wegen unterlaſſener Aufſicht, oder nach dem unten §. 36 I zu beſprechenden Grundſatze als Selbſtthäter, nie aber als Teilnehmer (da ein Delikt nicht vorliegt) zur Verantwortung gezogen werden. 3 b) Jugendliches Alter vom vollendeten 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Prüfung der Zurechnungs- 1 Lit. bei Binding Grund- riß S. 58. Dazu Ullmann GS. XXXI, Geyer HR. „Al- tersſtufen“. 2 Nach §. 50 des MilStGB. iſt — mit Rückſicht auf die ſchon mit dem vollendeten 17. Lebens- jahre beginnende Waffenfähigkeit — das Alter des Thäters ohne Einfluß auf die Beſtrafung militäriſcher Verbrechen und Vergehen. 3 Die entgegenſtehende OT. 3. Mai 1872 iſt gewiß unrichtig.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/128>, abgerufen am 20.04.2024.