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List, Friedrich: Das deutsche National-Transport-System in volks- und staatswirthschaftlicher Beziehung. Altona u. a., 1838.

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Das sogenannte Hundegestänge der deutschen Bergwerke ist wahrscheinlich der Embryo jener Holzschienen-Bahnen, welche die Engländer schon im siebenzehnten Jahrhundert bei Newcastle anlegten, um Steinkohlen aus den Gruben nach dem Tynefluß zu transportiren. Auf diesen Holzbahnen, wenn sie in gutem Stande waren, konnte man mit einem Pferd so große Lasten fortbewegen, als auf gewöhnlichen Chausseen mit vier bis sechs Pferden. Sie waren aber in kurzer Zeit abgenutzt, und dann suchte man sie durch Auflegung neuer dünner Holzschienen, später aber durch aufgenagelte platte Eisenschienen auszubessern. 1738 ward die erste Bahn von gußeisernen Schienen angelegt; sie hatten aber den Nachtheil, daß sie häufig brachen. 1805 endlich bauete der Ingenieur Nixon die erste Bahn mit schmiedeeisernen Rails. Das eigentliche Geburtsland der Eisenbahnen, das englische Steinkohlen-Revier, hat auch das Verdienst, diese wichtige Erfindung groß gezogen zu haben; die Steinkohlen-Bahn von Stokton nach Darlington war bei ihrer Vollendung nicht allein die vollkommenste Eisenbahn, auf ihr wurde auch der Dampfwagen-Transport zuerst betrieben. Das Gelingen dieser Bahn in Verbindung mit der Dampfwagenfahrt führte zu dem ersten Project einer auf den allgemeinen Güter- und Personen-Verkehr basirten Eisenbahn, nämlich der von Manchester nach Liverpool, die 1826 angefangen und im März 1829 eröffnet ward. Bis 1802 war blos Pferde- und Menschenkraft zu Fortbewegung der Lasten auf Eisenbahnen benützt worden. Um diese Zeit baueten die Herren Trevethick und Vivian den ersten Dampfwagen; derselbe fiel aber, wie man sich denken kann, sehr unvollkommen aus. Spätere Verbesserungen konnten seinen Mängeln nur in geringem Maaße abhelfen, so lange die Kunstverständigen in der irrigen Meinung standen, daß die Adhäsion zwischen dem Felgen-Kranz der Räder und den Rails so gering sei, daß bei einer starken Ladung entweder das Rad völlig gleiten und der Wagen gar nicht von der Stelle rücken, oder doch durch theilweises Gleiten der größte Theil der bewegenden Kraft verloren gehen werde. Diese zum Axiom erhobene Meinung, deren Urheber nicht einmal bekannt ist, stand geraume Zeit in der Ingenieurkunst so fest, daß die scharfsinnigsten Männer sich nicht einfallen ließen, durch ein wirkliches Experiment ihre Richtigkeit zu erproben. So vergingen viele Jahre mit vergeblichen Versuchen, einem blos eingebildeten Hindernisse abzuhelfen. Endlich (1813) kam Blackett auf den Gedanken, nachzuforschen, durch welche Experimente denn eigentlich jener Satz zuerst erprobt worden sei; er fand nur eine theoretische Meinung, die Einer dem Andern nachgesprochen und nachgeschrieben hatte - nirgends eine Probe. Wie aber - dachte er - wenn diese Theorie falsch wäre, wie es schon so viele Theorien vor dieser gewesen sind! Nie ist der Zweifel an einem Lehrsatz mit schönerem Erfolge gekrönt worden, denn ob es viel oder wenig zu tragen hatte, ob es schnell oder langsam umlief, das Rad bewegte sich vorwärts wie der Theorie zum Trotz; das größte Hinderniß der Entwickelung

Das sogenannte Hundegestänge der deutschen Bergwerke ist wahrscheinlich der Embryo jener Holzschienen-Bahnen, welche die Engländer schon im siebenzehnten Jahrhundert bei Newcastle anlegten, um Steinkohlen aus den Gruben nach dem Tynefluß zu transportiren. Auf diesen Holzbahnen, wenn sie in gutem Stande waren, konnte man mit einem Pferd so große Lasten fortbewegen, als auf gewöhnlichen Chausseen mit vier bis sechs Pferden. Sie waren aber in kurzer Zeit abgenutzt, und dann suchte man sie durch Auflegung neuer dünner Holzschienen, später aber durch aufgenagelte platte Eisenschienen auszubessern. 1738 ward die erste Bahn von gußeisernen Schienen angelegt; sie hatten aber den Nachtheil, daß sie häufig brachen. 1805 endlich bauete der Ingenieur Nixon die erste Bahn mit schmiedeeisernen Rails. Das eigentliche Geburtsland der Eisenbahnen, das englische Steinkohlen-Revier, hat auch das Verdienst, diese wichtige Erfindung groß gezogen zu haben; die Steinkohlen-Bahn von Stokton nach Darlington war bei ihrer Vollendung nicht allein die vollkommenste Eisenbahn, auf ihr wurde auch der Dampfwagen-Transport zuerst betrieben. Das Gelingen dieser Bahn in Verbindung mit der Dampfwagenfahrt führte zu dem ersten Project einer auf den allgemeinen Güter- und Personen-Verkehr basirten Eisenbahn, nämlich der von Manchester nach Liverpool, die 1826 angefangen und im März 1829 eröffnet ward. Bis 1802 war blos Pferde- und Menschenkraft zu Fortbewegung der Lasten auf Eisenbahnen benützt worden. Um diese Zeit baueten die Herren Trevethick und Vivian den ersten Dampfwagen; derselbe fiel aber, wie man sich denken kann, sehr unvollkommen aus. Spätere Verbesserungen konnten seinen Mängeln nur in geringem Maaße abhelfen, so lange die Kunstverständigen in der irrigen Meinung standen, daß die Adhäsion zwischen dem Felgen-Kranz der Räder und den Rails so gering sei, daß bei einer starken Ladung entweder das Rad völlig gleiten und der Wagen gar nicht von der Stelle rücken, oder doch durch theilweises Gleiten der größte Theil der bewegenden Kraft verloren gehen werde. Diese zum Axiom erhobene Meinung, deren Urheber nicht einmal bekannt ist, stand geraume Zeit in der Ingenieurkunst so fest, daß die scharfsinnigsten Männer sich nicht einfallen ließen, durch ein wirkliches Experiment ihre Richtigkeit zu erproben. So vergingen viele Jahre mit vergeblichen Versuchen, einem blos eingebildeten Hindernisse abzuhelfen. Endlich (1813) kam Blackett auf den Gedanken, nachzuforschen, durch welche Experimente denn eigentlich jener Satz zuerst erprobt worden sei; er fand nur eine theoretische Meinung, die Einer dem Andern nachgesprochen und nachgeschrieben hatte – nirgends eine Probe. Wie aber – dachte er – wenn diese Theorie falsch wäre, wie es schon so viele Theorien vor dieser gewesen sind! Nie ist der Zweifel an einem Lehrsatz mit schönerem Erfolge gekrönt worden, denn ob es viel oder wenig zu tragen hatte, ob es schnell oder langsam umlief, das Rad bewegte sich vorwärts wie der Theorie zum Trotz; das größte Hinderniß der Entwickelung

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[88/0089] Das sogenannte Hundegestänge der deutschen Bergwerke ist wahrscheinlich der Embryo jener Holzschienen-Bahnen, welche die Engländer schon im siebenzehnten Jahrhundert bei Newcastle anlegten, um Steinkohlen aus den Gruben nach dem Tynefluß zu transportiren. Auf diesen Holzbahnen, wenn sie in gutem Stande waren, konnte man mit einem Pferd so große Lasten fortbewegen, als auf gewöhnlichen Chausseen mit vier bis sechs Pferden. Sie waren aber in kurzer Zeit abgenutzt, und dann suchte man sie durch Auflegung neuer dünner Holzschienen, später aber durch aufgenagelte platte Eisenschienen auszubessern. 1738 ward die erste Bahn von gußeisernen Schienen angelegt; sie hatten aber den Nachtheil, daß sie häufig brachen. 1805 endlich bauete der Ingenieur Nixon die erste Bahn mit schmiedeeisernen Rails. Das eigentliche Geburtsland der Eisenbahnen, das englische Steinkohlen-Revier, hat auch das Verdienst, diese wichtige Erfindung groß gezogen zu haben; die Steinkohlen-Bahn von Stokton nach Darlington war bei ihrer Vollendung nicht allein die vollkommenste Eisenbahn, auf ihr wurde auch der Dampfwagen-Transport zuerst betrieben. Das Gelingen dieser Bahn in Verbindung mit der Dampfwagenfahrt führte zu dem ersten Project einer auf den allgemeinen Güter- und Personen-Verkehr basirten Eisenbahn, nämlich der von Manchester nach Liverpool, die 1826 angefangen und im März 1829 eröffnet ward. Bis 1802 war blos Pferde- und Menschenkraft zu Fortbewegung der Lasten auf Eisenbahnen benützt worden. Um diese Zeit baueten die Herren Trevethick und Vivian den ersten Dampfwagen; derselbe fiel aber, wie man sich denken kann, sehr unvollkommen aus. Spätere Verbesserungen konnten seinen Mängeln nur in geringem Maaße abhelfen, so lange die Kunstverständigen in der irrigen Meinung standen, daß die Adhäsion zwischen dem Felgen-Kranz der Räder und den Rails so gering sei, daß bei einer starken Ladung entweder das Rad völlig gleiten und der Wagen gar nicht von der Stelle rücken, oder doch durch theilweises Gleiten der größte Theil der bewegenden Kraft verloren gehen werde. Diese zum Axiom erhobene Meinung, deren Urheber nicht einmal bekannt ist, stand geraume Zeit in der Ingenieurkunst so fest, daß die scharfsinnigsten Männer sich nicht einfallen ließen, durch ein wirkliches Experiment ihre Richtigkeit zu erproben. So vergingen viele Jahre mit vergeblichen Versuchen, einem blos eingebildeten Hindernisse abzuhelfen. Endlich (1813) kam Blackett auf den Gedanken, nachzuforschen, durch welche Experimente denn eigentlich jener Satz zuerst erprobt worden sei; er fand nur eine theoretische Meinung, die Einer dem Andern nachgesprochen und nachgeschrieben hatte – nirgends eine Probe. Wie aber – dachte er – wenn diese Theorie falsch wäre, wie es schon so viele Theorien vor dieser gewesen sind! Nie ist der Zweifel an einem Lehrsatz mit schönerem Erfolge gekrönt worden, denn ob es viel oder wenig zu tragen hatte, ob es schnell oder langsam umlief, das Rad bewegte sich vorwärts wie der Theorie zum Trotz; das größte Hinderniß der Entwickelung

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Zitationshilfe: List, Friedrich: Das deutsche National-Transport-System in volks- und staatswirthschaftlicher Beziehung. Altona u. a., 1838, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/list_transportsystem_1838/89>, abgerufen am 24.04.2024.