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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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Jugendpflege entstehen besondere Vereine bezw. Ausschüsse.
So geht man in die Tiefe. Weibliche Fachleute entwickeln sich und
von ihnen kann keiner an der erbärmlichen gesetzlichen Lage der
deutschen Frau vorüberschreiten. Dazu kommt die Gruppierung der all-
gemeinen Frauenvereine in Landes- und vor allem Pro-
vinzialvereinen
. Diese Unterorganisationen waren es, die,
in die kleinsten, stillsten Städtchen dringend, die Gedanken der
Frauenbewegung zu den Massen trugen, die noch ganz unberührt
waren. Man fing natürlich mit Armenpflege und Wohlfahrts-
bestrebungen an, aber allmählich konnten auch die Radikalen
kommen und von der politischen Befreiung der Frau reden. Es
darf den preußischen Provinzialvereinen der "gemäßigten" Frauen
nie vergessen werden, daß sie das solide Fundament für die Jdeen
der Großstadt schufen.

Diese großen Entwicklungen zwangen natürlich auch die
Presse, der ganzen Bewegung die gebührende Beachtung zu
schenken, denn Arbeit und Kampf der Frauen wurden allmählich ein
Faktor von öffentlicher Bedeutung. Und doch war die Macht
des Alten so groß, daß bis zum Jahre 1902 jede Kundgebung des
Bundes, geschweige denn eine Festlegung auf politische Forderungen
unterblieb. Die radikalen Frauen konnten natürlich jederzeit einen
dahingehenden Antrag stellen, mußten aber bei einem so direkten
Vorgehen eine glatte Ablehnung durch die Masse fürchten. Sie
warteten daher ihre Zeit ab. Da gab ihnen 1902 der Danziger
Verein "Frauenwohl" die lang erhoffte Gelegenheit zu einem
energischen Angriff. Dieser Verein war einst mit dem Berliner
Verein "Frauenwohl" verbunden gewesen, hatte sich losgelöst und
wollte nun den Radikalen einen Knüttel zwischen die Füße werfen.
Jn voller Oeffentlichkeit erklärte die Vorsitzende, "die deutschen
Frauen wollen das Frauenstimmrecht gar nicht; diese Forderung
erheben nur einige Berliner Frauen". Es wurde sofort beschlossen,
diesen Hieb nicht schweigend hinzunehmen, besonders da die Aeuße-
rung durch einen großen Teil der Presse gegangen war. Der
Vorstand des Bundes aber konnte nicht das Leiseste tun, denn die
Forderung stand ja nicht auf seinem Programm, und der Bund
durfte nur solche Dinge unternehmen, "denen alle von Herzen ihre
Zustimmung gaben". Somit waren es nur die Radikalen, die
handeln konnten. Der Verein "Frauenwohl, Berlin" reichte
denn auch eine Jnterpellation für die Bundestagung in Wiesbaden
- Oktober 1902 - ein, die zunächst nur eine Beschwerde und An-
klage enthielt und die Diskussion entfesseln sollte. M. Lischnewska

Jugendpflege entstehen besondere Vereine bezw. Ausschüsse.
So geht man in die Tiefe. Weibliche Fachleute entwickeln sich und
von ihnen kann keiner an der erbärmlichen gesetzlichen Lage der
deutschen Frau vorüberschreiten. Dazu kommt die Gruppierung der all-
gemeinen Frauenvereine in Landes- und vor allem Pro-
vinzialvereinen
. Diese Unterorganisationen waren es, die,
in die kleinsten, stillsten Städtchen dringend, die Gedanken der
Frauenbewegung zu den Massen trugen, die noch ganz unberührt
waren. Man fing natürlich mit Armenpflege und Wohlfahrts-
bestrebungen an, aber allmählich konnten auch die Radikalen
kommen und von der politischen Befreiung der Frau reden. Es
darf den preußischen Provinzialvereinen der „gemäßigten‟ Frauen
nie vergessen werden, daß sie das solide Fundament für die Jdeen
der Großstadt schufen.

Diese großen Entwicklungen zwangen natürlich auch die
Presse, der ganzen Bewegung die gebührende Beachtung zu
schenken, denn Arbeit und Kampf der Frauen wurden allmählich ein
Faktor von öffentlicher Bedeutung. Und doch war die Macht
des Alten so groß, daß bis zum Jahre 1902 jede Kundgebung des
Bundes, geschweige denn eine Festlegung auf politische Forderungen
unterblieb. Die radikalen Frauen konnten natürlich jederzeit einen
dahingehenden Antrag stellen, mußten aber bei einem so direkten
Vorgehen eine glatte Ablehnung durch die Masse fürchten. Sie
warteten daher ihre Zeit ab. Da gab ihnen 1902 der Danziger
Verein „Frauenwohl‟ die lang erhoffte Gelegenheit zu einem
energischen Angriff. Dieser Verein war einst mit dem Berliner
Verein „Frauenwohl‟ verbunden gewesen, hatte sich losgelöst und
wollte nun den Radikalen einen Knüttel zwischen die Füße werfen.
Jn voller Oeffentlichkeit erklärte die Vorsitzende, „die deutschen
Frauen wollen das Frauenstimmrecht gar nicht; diese Forderung
erheben nur einige Berliner Frauen‟. Es wurde sofort beschlossen,
diesen Hieb nicht schweigend hinzunehmen, besonders da die Aeuße-
rung durch einen großen Teil der Presse gegangen war. Der
Vorstand des Bundes aber konnte nicht das Leiseste tun, denn die
Forderung stand ja nicht auf seinem Programm, und der Bund
durfte nur solche Dinge unternehmen, „denen alle von Herzen ihre
Zustimmung gaben‟. Somit waren es nur die Radikalen, die
handeln konnten. Der Verein „Frauenwohl, Berlin‟ reichte
denn auch eine Jnterpellation für die Bundestagung in Wiesbaden
– Oktober 1902 – ein, die zunächst nur eine Beschwerde und An-
klage enthielt und die Diskussion entfesseln sollte. M. Lischnewska

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/8>, abgerufen am 29.03.2024.