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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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nicht mehr vorhanden war. Der dahingehende Antrag kam daher
nicht mehr zur Abstimmung. Auch Frau Stritt hatte zuletzt für
völligen Fortfall von § 3 gestimmt und wurde doch zur 1. Vor-
sitzenden
wiedergewählt.

Jrgendeine Mehrheit für einen bestimmten Kompromiß-
Aenderungsantrag war nicht zu erlangen, - folglich blieb § 3 un-
verändert bestehen
.

Die Stimmung, in der die Delegierten auseinandergingen, ist
schwer zu schildern. Viele, die durch diese Hölle geschritten waren,
wollten an jeder Zukunft verzweifeln, andere erklärten: "Es war
ein Jena. Tiefer können wir nicht sinken. Jetzt muß Klärung und
Aufstieg kommen." Nur wenige erkannten, daß der Verband so
nie wieder zusammenkommen würde.

Die Letzteren haben recht behalten. Unter der Führung von
Dr. Augspurg und Heymann traten mehrere Hundert streng demo-
kratischer Mitglieder aus und gründeten (1913) den "Deutschen
Bund für Frauenstimmrecht"
. Alte, im Kampf be-
währte Vereine gingen zu der neuen Organisation über, Landes-
vereine spalteten sich in zwei Teile: der eine ging zu dem neuen
"Bund", der andere blieb im Verbande. Die Zerreißung und Ver-
wüstung war traurig, und doch - für viele Einzelmenschen und
für manche Orte bedeutete die Spaltung eine Erlösung.

So verging der Winter 1913/14. Da die Austritte sich
mehrten, ergriff die Reformpartei im Frühjahr 1914 die
Jnitiative. Sie hatte seit 1911 für nationale Einigung gearbeitet
und beschloß nun, die Gründung eines Bundes deutscher Stimm-
rechtsvereine anzubahnen. Sie berief nach Vorberatungen mit den
Führerinnen der Verbände eine Einigungskonferenz in Düsseldorf
am 4. Oktober 1914. Die Einladung lautete:

Bureau Kalischer
Wilmersdorf
Duisburger Straße 9.

Sehr geehrte Frau!

Seit Jahren wird die deutsche Stimmrechtsbewegung von
parteipolitischen Kämpfen erschüttert, die einen immer heftigeren
Charakter annehmen, zu Austritten aus den bestehenden Ver-
bänden und zur Gründung neuer Organisationen führen.

Nach der Eisenacher Tagung (Oktober 1913), zu der wir
wieder vergeblich mehrere Vermittlungsanträge gestellt hatten, sind
wir fest überzeugt, daß diese ganze Entwicklung eine historische

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nicht mehr vorhanden war. Der dahingehende Antrag kam daher
nicht mehr zur Abstimmung. Auch Frau Stritt hatte zuletzt für
völligen Fortfall von § 3 gestimmt und wurde doch zur 1. Vor-
sitzenden
wiedergewählt.

Jrgendeine Mehrheit für einen bestimmten Kompromiß-
Aenderungsantrag war nicht zu erlangen, – folglich blieb § 3 un-
verändert bestehen
.

Die Stimmung, in der die Delegierten auseinandergingen, ist
schwer zu schildern. Viele, die durch diese Hölle geschritten waren,
wollten an jeder Zukunft verzweifeln, andere erklärten: „Es war
ein Jena. Tiefer können wir nicht sinken. Jetzt muß Klärung und
Aufstieg kommen.‟ Nur wenige erkannten, daß der Verband so
nie wieder zusammenkommen würde.

Die Letzteren haben recht behalten. Unter der Führung von
Dr. Augspurg und Heymann traten mehrere Hundert streng demo-
kratischer Mitglieder aus und gründeten (1913) den „Deutschen
Bund für Frauenstimmrecht‟
. Alte, im Kampf be-
währte Vereine gingen zu der neuen Organisation über, Landes-
vereine spalteten sich in zwei Teile: der eine ging zu dem neuen
„Bund‟, der andere blieb im Verbande. Die Zerreißung und Ver-
wüstung war traurig, und doch – für viele Einzelmenschen und
für manche Orte bedeutete die Spaltung eine Erlösung.

So verging der Winter 1913/14. Da die Austritte sich
mehrten, ergriff die Reformpartei im Frühjahr 1914 die
Jnitiative. Sie hatte seit 1911 für nationale Einigung gearbeitet
und beschloß nun, die Gründung eines Bundes deutscher Stimm-
rechtsvereine anzubahnen. Sie berief nach Vorberatungen mit den
Führerinnen der Verbände eine Einigungskonferenz in Düsseldorf
am 4. Oktober 1914. Die Einladung lautete:

Bureau Kalischer
Wilmersdorf
Duisburger Straße 9.

Sehr geehrte Frau!

Seit Jahren wird die deutsche Stimmrechtsbewegung von
parteipolitischen Kämpfen erschüttert, die einen immer heftigeren
Charakter annehmen, zu Austritten aus den bestehenden Ver-
bänden und zur Gründung neuer Organisationen führen.

Nach der Eisenacher Tagung (Oktober 1913), zu der wir
wieder vergeblich mehrere Vermittlungsanträge gestellt hatten, sind
wir fest überzeugt, daß diese ganze Entwicklung eine historische

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[35/0035] nicht mehr vorhanden war. Der dahingehende Antrag kam daher nicht mehr zur Abstimmung. Auch Frau Stritt hatte zuletzt für völligen Fortfall von § 3 gestimmt und wurde doch zur 1. Vor- sitzenden wiedergewählt. Jrgendeine Mehrheit für einen bestimmten Kompromiß- Aenderungsantrag war nicht zu erlangen, – folglich blieb § 3 un- verändert bestehen. Die Stimmung, in der die Delegierten auseinandergingen, ist schwer zu schildern. Viele, die durch diese Hölle geschritten waren, wollten an jeder Zukunft verzweifeln, andere erklärten: „Es war ein Jena. Tiefer können wir nicht sinken. Jetzt muß Klärung und Aufstieg kommen.‟ Nur wenige erkannten, daß der Verband so nie wieder zusammenkommen würde. Die Letzteren haben recht behalten. Unter der Führung von Dr. Augspurg und Heymann traten mehrere Hundert streng demo- kratischer Mitglieder aus und gründeten (1913) den „Deutschen Bund für Frauenstimmrecht‟. Alte, im Kampf be- währte Vereine gingen zu der neuen Organisation über, Landes- vereine spalteten sich in zwei Teile: der eine ging zu dem neuen „Bund‟, der andere blieb im Verbande. Die Zerreißung und Ver- wüstung war traurig, und doch – für viele Einzelmenschen und für manche Orte bedeutete die Spaltung eine Erlösung. So verging der Winter 1913/14. Da die Austritte sich mehrten, ergriff die Reformpartei im Frühjahr 1914 die Jnitiative. Sie hatte seit 1911 für nationale Einigung gearbeitet und beschloß nun, die Gründung eines Bundes deutscher Stimm- rechtsvereine anzubahnen. Sie berief nach Vorberatungen mit den Führerinnen der Verbände eine Einigungskonferenz in Düsseldorf am 4. Oktober 1914. Die Einladung lautete: Berlin, April 1914. Bureau Kalischer Wilmersdorf Duisburger Straße 9. Sehr geehrte Frau! Seit Jahren wird die deutsche Stimmrechtsbewegung von parteipolitischen Kämpfen erschüttert, die einen immer heftigeren Charakter annehmen, zu Austritten aus den bestehenden Ver- bänden und zur Gründung neuer Organisationen führen. Nach der Eisenacher Tagung (Oktober 1913), zu der wir wieder vergeblich mehrere Vermittlungsanträge gestellt hatten, sind wir fest überzeugt, daß diese ganze Entwicklung eine historische   3*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/35>, abgerufen am 16.04.2024.