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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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anderen auch im Programm haben; auf dem Boden einer Partei
stehen, heißt, sich mit dem Programm der betreffenden Partei
identisch erklären. Das tut weder der Deutsche Verband noch
irgendeine seiner Organisationen, und sie werden es nie tun. Die
Frauen aller Parteischattierungen können sich daher in ihm organi-
sieren, wenn sie soviel Gerechtigkeitssinn besitzen, daß sie allen
Frauen das Recht zugestehen, das sie für sich selbst fordern. Selbst
wenn aber einige konservative und nationalliberale Frauen sich
nicht zu einer solchen Auffassung durchringen könnten, so bliebe die
Basis des Deutschen Verbandes noch immer eine sehr große. Er
braucht sich nicht nur an die fortschrittlichen und demokratischen
Frauen zu wenden, sondern er kann und muß sich aus der Masse
der nicht parteipolitisch organisierten Frauen rekrutieren.
5. Wenn in den Thesen des Hessischen und Mecklenburgischen
Landesvereins und des Sächsischen Provinzialvereins gesagt wird,
daß die Gegnerschaft gegen § 3, Absatz 2, der das allgemeine gleiche
Wahlrecht fordert, nicht ein Gutheißen des Klassenwahlrechts und
keine Gegnerschaft gegen das allgemeine gleiche Wahlrecht bedeute,
so muß dem gegenübergehalten werden, daß jede Propaganda für
die Uebertragung eines bestehenden Wahlrechts auf die Frauen die
Bewegung für eine Reform des betreffenden Wahlrechts in der
Richtung des allgemeinen gleichen Wahlrechts lähmt. Behauptet
man aber, daß wir durch unsere präzis gefaßte Forderung politisch
nicht aufgeklärte Frauen zurückstoßen, sie dadurch vielleicht in
andere Organisationen treiben und uns so der Möglichkeit be-
rauben, sie für die Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts
zu gewinnen, so ist eine solche Dialektik mindestens sehr anfechtbar.
6. Der fundamentale Unterschied zwischen den beiden
Strömungen innerhalb des Deutschen Verbandes ist, daß die eine
das rein frauenrechtlerische Moment in den Vordergrund schiebt
und als Ziel die Gleichberechtigung der Geschlechter um jeden Preis
verlangt, auch wenn diese Gleichberechtigung mit dem Manne nur
einer verschwindenden Minorität von Frauen einen Nutzen bringt,
die andere, auf den bisherigen Grundsätzen des Verbandes fußende,
dagegen für ein Recht kämpft, das für die Frauen wirklich einen
praktischen Wert hat, das ihnen einen tatsächlichen direkten Einfluß
auf die Gesetzgebung gewährleistet.
7. Wenn wir dieses Ziel nicht gleich erreichen, und wenn uns
statt des allgemeinen gleichen Wahlrechtes ein beschränktes gegeben
wird, so werden wir selbstredend das beschränkte Wahlrecht ausüben
und in der Richtung des gleichen Wahlrechts weiterarbeiten. Aber
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anderen auch im Programm haben; auf dem Boden einer Partei
stehen, heißt, sich mit dem Programm der betreffenden Partei
identisch erklären. Das tut weder der Deutsche Verband noch
irgendeine seiner Organisationen, und sie werden es nie tun. Die
Frauen aller Parteischattierungen können sich daher in ihm organi-
sieren, wenn sie soviel Gerechtigkeitssinn besitzen, daß sie allen
Frauen das Recht zugestehen, das sie für sich selbst fordern. Selbst
wenn aber einige konservative und nationalliberale Frauen sich
nicht zu einer solchen Auffassung durchringen könnten, so bliebe die
Basis des Deutschen Verbandes noch immer eine sehr große. Er
braucht sich nicht nur an die fortschrittlichen und demokratischen
Frauen zu wenden, sondern er kann und muß sich aus der Masse
der nicht parteipolitisch organisierten Frauen rekrutieren.
5. Wenn in den Thesen des Hessischen und Mecklenburgischen
Landesvereins und des Sächsischen Provinzialvereins gesagt wird,
daß die Gegnerschaft gegen § 3, Absatz 2, der das allgemeine gleiche
Wahlrecht fordert, nicht ein Gutheißen des Klassenwahlrechts und
keine Gegnerschaft gegen das allgemeine gleiche Wahlrecht bedeute,
so muß dem gegenübergehalten werden, daß jede Propaganda für
die Uebertragung eines bestehenden Wahlrechts auf die Frauen die
Bewegung für eine Reform des betreffenden Wahlrechts in der
Richtung des allgemeinen gleichen Wahlrechts lähmt. Behauptet
man aber, daß wir durch unsere präzis gefaßte Forderung politisch
nicht aufgeklärte Frauen zurückstoßen, sie dadurch vielleicht in
andere Organisationen treiben und uns so der Möglichkeit be-
rauben, sie für die Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts
zu gewinnen, so ist eine solche Dialektik mindestens sehr anfechtbar.
6. Der fundamentale Unterschied zwischen den beiden
Strömungen innerhalb des Deutschen Verbandes ist, daß die eine
das rein frauenrechtlerische Moment in den Vordergrund schiebt
und als Ziel die Gleichberechtigung der Geschlechter um jeden Preis
verlangt, auch wenn diese Gleichberechtigung mit dem Manne nur
einer verschwindenden Minorität von Frauen einen Nutzen bringt,
die andere, auf den bisherigen Grundsätzen des Verbandes fußende,
dagegen für ein Recht kämpft, das für die Frauen wirklich einen
praktischen Wert hat, das ihnen einen tatsächlichen direkten Einfluß
auf die Gesetzgebung gewährleistet.
7. Wenn wir dieses Ziel nicht gleich erreichen, und wenn uns
statt des allgemeinen gleichen Wahlrechtes ein beschränktes gegeben
wird, so werden wir selbstredend das beschränkte Wahlrecht ausüben
und in der Richtung des gleichen Wahlrechts weiterarbeiten. Aber
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[33/0033] anderen auch im Programm haben; auf dem Boden einer Partei stehen, heißt, sich mit dem Programm der betreffenden Partei identisch erklären. Das tut weder der Deutsche Verband noch irgendeine seiner Organisationen, und sie werden es nie tun. Die Frauen aller Parteischattierungen können sich daher in ihm organi- sieren, wenn sie soviel Gerechtigkeitssinn besitzen, daß sie allen Frauen das Recht zugestehen, das sie für sich selbst fordern. Selbst wenn aber einige konservative und nationalliberale Frauen sich nicht zu einer solchen Auffassung durchringen könnten, so bliebe die Basis des Deutschen Verbandes noch immer eine sehr große. Er braucht sich nicht nur an die fortschrittlichen und demokratischen Frauen zu wenden, sondern er kann und muß sich aus der Masse der nicht parteipolitisch organisierten Frauen rekrutieren. 5. Wenn in den Thesen des Hessischen und Mecklenburgischen Landesvereins und des Sächsischen Provinzialvereins gesagt wird, daß die Gegnerschaft gegen § 3, Absatz 2, der das allgemeine gleiche Wahlrecht fordert, nicht ein Gutheißen des Klassenwahlrechts und keine Gegnerschaft gegen das allgemeine gleiche Wahlrecht bedeute, so muß dem gegenübergehalten werden, daß jede Propaganda für die Uebertragung eines bestehenden Wahlrechts auf die Frauen die Bewegung für eine Reform des betreffenden Wahlrechts in der Richtung des allgemeinen gleichen Wahlrechts lähmt. Behauptet man aber, daß wir durch unsere präzis gefaßte Forderung politisch nicht aufgeklärte Frauen zurückstoßen, sie dadurch vielleicht in andere Organisationen treiben und uns so der Möglichkeit be- rauben, sie für die Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts zu gewinnen, so ist eine solche Dialektik mindestens sehr anfechtbar. 6. Der fundamentale Unterschied zwischen den beiden Strömungen innerhalb des Deutschen Verbandes ist, daß die eine das rein frauenrechtlerische Moment in den Vordergrund schiebt und als Ziel die Gleichberechtigung der Geschlechter um jeden Preis verlangt, auch wenn diese Gleichberechtigung mit dem Manne nur einer verschwindenden Minorität von Frauen einen Nutzen bringt, die andere, auf den bisherigen Grundsätzen des Verbandes fußende, dagegen für ein Recht kämpft, das für die Frauen wirklich einen praktischen Wert hat, das ihnen einen tatsächlichen direkten Einfluß auf die Gesetzgebung gewährleistet. 7. Wenn wir dieses Ziel nicht gleich erreichen, und wenn uns statt des allgemeinen gleichen Wahlrechtes ein beschränktes gegeben wird, so werden wir selbstredend das beschränkte Wahlrecht ausüben und in der Richtung des gleichen Wahlrechts weiterarbeiten. Aber   3

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/33>, abgerufen am 29.03.2024.