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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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Jnnere Kämpfe.

Diese parteipolitische Festlegung wäre nun auf die Dauer
möglich und erträglich gewesen, wenn wirklich nur Demokratinnen
in der Stimmrechtsbewegung organisiert gewesen wären. Aber
das war keineswegs der Fall. Jn den verschiedenen, sich jetzt schnell
mehrenden Ortsvereinen für Frauenstimmrecht im Süden und
Norden, im Osten und Westen saßen Frauen sehr ver-
schiedener Parteirichtung
, und die überwiegende Masse
war an vielen Orten parteipolitisch unentschieden und zögerte
sehr, sich voreilig festzulegen. Nun brach 1909 - mit dem Rücktritt
des Fürsten Bülow - jene Epoche politischer Erhitzung herein, die
an Schärfe der Parteigegensätze, an flammender Agitation, an Be-
schimpfung des Gegpers wohl ihresgleichen sucht. Der preußische
Wahlrechtskampf nahm immer größere Formen an, und die Frage:
"Reichstagswahlrecht oder nicht in Preußen?" wurde zur führenden
politischen Frage. Jn diesen Kampf wurden die Stimmrechtle-
rinnen, vor allem in Preußen, mit unwiderstehlicher Gewalt hin-
eingerissen. Die Stimmrechtsbewegung hatte ja § 3 im Programm,
sie war auf die Einführung des Reichstagswahlrechts festgelegt,
alles andere hatte sie zu bekämpfen und abzulehnen.

Nun waren aber doch Massen da, die nur um des Frauen-
stimmrechtsgedankens an sich gekommen waren und wohl die Ab-
sicht hatten, sich zu orientieren und zu schulen, aber nichts Weiteres
mit ihrem Eintritt beabsichtigt hatten. Alte Mitglieder vom Jahre
1902 kannten satzungsgemäß keine parteipolitische Festlegung. Den
Neuen gegenüber aber wurde nicht immer mit der unbedingt not-
wendigen Ehrlichkeit verfahren. Die Führerinnen machten es wie
viele Politiker von Fach. Jn Berlin kommen sie mit ihren letzten
Zielen heraus, die Volksversammlungen der Großstadt vertragen
schon einen Puff. Die Provinzen aber sind viel empfindlicher,
darum steckt man wohlweislich einen Teil des Parteiprogramms in
die Tasche, wenn man in die Provinzen fährt. So sprachen die
Stimmrechtlerinnen in großen Agitations- und Gründungsversamm-
lungen von der Jdee des Frauenstimmrechts, zündeten,
rissen hin und steckten den § 3 in die Tasche. Die Eintritte
erfolgten zahlreich, das Geschäft ging glänzend. Aber das bittere
Ende kam nach. Sowie die Eingetretenen nun die Satzungen näher
ansahen oder sich politisch näher orientierten, begann der Protest
gegen die parteipolitische Forderung, und heftige, ja oft verzweifelte

Jnnere Kämpfe.

Diese parteipolitische Festlegung wäre nun auf die Dauer
möglich und erträglich gewesen, wenn wirklich nur Demokratinnen
in der Stimmrechtsbewegung organisiert gewesen wären. Aber
das war keineswegs der Fall. Jn den verschiedenen, sich jetzt schnell
mehrenden Ortsvereinen für Frauenstimmrecht im Süden und
Norden, im Osten und Westen saßen Frauen sehr ver-
schiedener Parteirichtung
, und die überwiegende Masse
war an vielen Orten parteipolitisch unentschieden und zögerte
sehr, sich voreilig festzulegen. Nun brach 1909 – mit dem Rücktritt
des Fürsten Bülow – jene Epoche politischer Erhitzung herein, die
an Schärfe der Parteigegensätze, an flammender Agitation, an Be-
schimpfung des Gegpers wohl ihresgleichen sucht. Der preußische
Wahlrechtskampf nahm immer größere Formen an, und die Frage:
„Reichstagswahlrecht oder nicht in Preußen?‟ wurde zur führenden
politischen Frage. Jn diesen Kampf wurden die Stimmrechtle-
rinnen, vor allem in Preußen, mit unwiderstehlicher Gewalt hin-
eingerissen. Die Stimmrechtsbewegung hatte ja § 3 im Programm,
sie war auf die Einführung des Reichstagswahlrechts festgelegt,
alles andere hatte sie zu bekämpfen und abzulehnen.

Nun waren aber doch Massen da, die nur um des Frauen-
stimmrechtsgedankens an sich gekommen waren und wohl die Ab-
sicht hatten, sich zu orientieren und zu schulen, aber nichts Weiteres
mit ihrem Eintritt beabsichtigt hatten. Alte Mitglieder vom Jahre
1902 kannten satzungsgemäß keine parteipolitische Festlegung. Den
Neuen gegenüber aber wurde nicht immer mit der unbedingt not-
wendigen Ehrlichkeit verfahren. Die Führerinnen machten es wie
viele Politiker von Fach. Jn Berlin kommen sie mit ihren letzten
Zielen heraus, die Volksversammlungen der Großstadt vertragen
schon einen Puff. Die Provinzen aber sind viel empfindlicher,
darum steckt man wohlweislich einen Teil des Parteiprogramms in
die Tasche, wenn man in die Provinzen fährt. So sprachen die
Stimmrechtlerinnen in großen Agitations- und Gründungsversamm-
lungen von der Jdee des Frauenstimmrechts, zündeten,
rissen hin und steckten den § 3 in die Tasche. Die Eintritte
erfolgten zahlreich, das Geschäft ging glänzend. Aber das bittere
Ende kam nach. Sowie die Eingetretenen nun die Satzungen näher
ansahen oder sich politisch näher orientierten, begann der Protest
gegen die parteipolitische Forderung, und heftige, ja oft verzweifelte

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[24/0024] Jnnere Kämpfe. Diese parteipolitische Festlegung wäre nun auf die Dauer möglich und erträglich gewesen, wenn wirklich nur Demokratinnen in der Stimmrechtsbewegung organisiert gewesen wären. Aber das war keineswegs der Fall. Jn den verschiedenen, sich jetzt schnell mehrenden Ortsvereinen für Frauenstimmrecht im Süden und Norden, im Osten und Westen saßen Frauen sehr ver- schiedener Parteirichtung, und die überwiegende Masse war an vielen Orten parteipolitisch unentschieden und zögerte sehr, sich voreilig festzulegen. Nun brach 1909 – mit dem Rücktritt des Fürsten Bülow – jene Epoche politischer Erhitzung herein, die an Schärfe der Parteigegensätze, an flammender Agitation, an Be- schimpfung des Gegpers wohl ihresgleichen sucht. Der preußische Wahlrechtskampf nahm immer größere Formen an, und die Frage: „Reichstagswahlrecht oder nicht in Preußen?‟ wurde zur führenden politischen Frage. Jn diesen Kampf wurden die Stimmrechtle- rinnen, vor allem in Preußen, mit unwiderstehlicher Gewalt hin- eingerissen. Die Stimmrechtsbewegung hatte ja § 3 im Programm, sie war auf die Einführung des Reichstagswahlrechts festgelegt, alles andere hatte sie zu bekämpfen und abzulehnen. Nun waren aber doch Massen da, die nur um des Frauen- stimmrechtsgedankens an sich gekommen waren und wohl die Ab- sicht hatten, sich zu orientieren und zu schulen, aber nichts Weiteres mit ihrem Eintritt beabsichtigt hatten. Alte Mitglieder vom Jahre 1902 kannten satzungsgemäß keine parteipolitische Festlegung. Den Neuen gegenüber aber wurde nicht immer mit der unbedingt not- wendigen Ehrlichkeit verfahren. Die Führerinnen machten es wie viele Politiker von Fach. Jn Berlin kommen sie mit ihren letzten Zielen heraus, die Volksversammlungen der Großstadt vertragen schon einen Puff. Die Provinzen aber sind viel empfindlicher, darum steckt man wohlweislich einen Teil des Parteiprogramms in die Tasche, wenn man in die Provinzen fährt. So sprachen die Stimmrechtlerinnen in großen Agitations- und Gründungsversamm- lungen von der Jdee des Frauenstimmrechts, zündeten, rissen hin und steckten den § 3 in die Tasche. Die Eintritte erfolgten zahlreich, das Geschäft ging glänzend. Aber das bittere Ende kam nach. Sowie die Eingetretenen nun die Satzungen näher ansahen oder sich politisch näher orientierten, begann der Protest gegen die parteipolitische Forderung, und heftige, ja oft verzweifelte  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/24>, abgerufen am 23.04.2024.