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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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"Jungliberalen", ihr linker Flügel, veranstalteten am 15. Mai be-
sondere Versammlungen, um die Frauen festlich zu begrüßen.
Zentrum und Konservative nahmen von dem neuen Gesetz, soweit
es die Frauen betraf, keine Notiz. Sie verweigern noch heute
den Frauen den Eintritt in die Parteivereine.

Das Jahr 1908 brachte noch eine für die Stimmrechts-
bewegung bedeutungsvolle Tatsache. Nach ihrer Trennung von
der Freisinnigen Vereinigung gründeten Dr. Barth, Dr. Breitscheid,
v. Gerlach am 25. Oktober 1908 die "Demokratische Ver-
einigung"
. Die neue Partei stellte sich in fast allen Programm-
punkten auf den Standpunkt der Sozialdemokratie und hat als
deren Vortrupp besonders im Wahlkampf eine energische Tätigkeit
entfaltet. Sie proklamierte sofort das volle Staatsbürgerrecht für
die Frau, nahm also einen Standpunkt ein, den bis zur Stunde
keine bürgerliche Partei teilt. Diese Tatsache sollte das
Verhängnis der preußischen Stimmrechtsbewegung werden.

Frau Minna Cauer, Vorsitzende des Vereins "Frauenwohl,
Berlin", war zugleich Vorsitzende des "Preußischen Landesvereins
für Frauenstimmrecht"*), den sie gegründet hatte. Sie war mit dem
Führern der neuen Partei persönlich und durch Gleichheit der poli-
tischen Ueberzeugung verbunden. Für diese Jdeen hatte sie ja seit
Jahren gekämpft. Als nun die neue Gründung der Demokratischen
Vereinigung unter großem Aufwand von Geld und Agitationskraft
erfolgte, ging sie mit ihrem ganzen Anhang - und der war sehr
bedeutend - zur Demokratischen Vereinigung über. Nur ganz
wenige Frauen hielten sich zurück, traten bei der Freisinnigen Volks-
partei ein oder blieben politisch unorganisiert. Die neue Partei
hatte dadurch den großen Vorteil nicht nur der Zahl, sondern auch
den, politisch lebhaft interessierte und politisch vorgeschulte Frauen
zu gewinnen. Da es sich aber um die Masse der Stimmrechtlerinnen
handelte, wuchsen die Berliner, ja die preußische Stimmrechts-
bewegung immer mehr mit der Demokratie zusammen, und zuletzt
war die Berliner Stimmrechtsbewegung nichts anderes als die
Frauenorganisation der Demokratischen Vereinigung.

*) Die preußische Stimmrechtsbewegung hatte sich mit Ortsgruppen, Aus-
schüssen, Vertrauenspersonen ohne Satzungen durch die alte Zeit durchgeholfen.
Am 17. Februar 1908 wurde der "Preußische Landesverein für Frauenstimm-
recht" gegründet.

„Jungliberalen‟, ihr linker Flügel, veranstalteten am 15. Mai be-
sondere Versammlungen, um die Frauen festlich zu begrüßen.
Zentrum und Konservative nahmen von dem neuen Gesetz, soweit
es die Frauen betraf, keine Notiz. Sie verweigern noch heute
den Frauen den Eintritt in die Parteivereine.

Das Jahr 1908 brachte noch eine für die Stimmrechts-
bewegung bedeutungsvolle Tatsache. Nach ihrer Trennung von
der Freisinnigen Vereinigung gründeten Dr. Barth, Dr. Breitscheid,
v. Gerlach am 25. Oktober 1908 die „Demokratische Ver-
einigung‟
. Die neue Partei stellte sich in fast allen Programm-
punkten auf den Standpunkt der Sozialdemokratie und hat als
deren Vortrupp besonders im Wahlkampf eine energische Tätigkeit
entfaltet. Sie proklamierte sofort das volle Staatsbürgerrecht für
die Frau, nahm also einen Standpunkt ein, den bis zur Stunde
keine bürgerliche Partei teilt. Diese Tatsache sollte das
Verhängnis der preußischen Stimmrechtsbewegung werden.

Frau Minna Cauer, Vorsitzende des Vereins „Frauenwohl,
Berlin‟, war zugleich Vorsitzende des „Preußischen Landesvereins
für Frauenstimmrecht‟*), den sie gegründet hatte. Sie war mit dem
Führern der neuen Partei persönlich und durch Gleichheit der poli-
tischen Ueberzeugung verbunden. Für diese Jdeen hatte sie ja seit
Jahren gekämpft. Als nun die neue Gründung der Demokratischen
Vereinigung unter großem Aufwand von Geld und Agitationskraft
erfolgte, ging sie mit ihrem ganzen Anhang – und der war sehr
bedeutend – zur Demokratischen Vereinigung über. Nur ganz
wenige Frauen hielten sich zurück, traten bei der Freisinnigen Volks-
partei ein oder blieben politisch unorganisiert. Die neue Partei
hatte dadurch den großen Vorteil nicht nur der Zahl, sondern auch
den, politisch lebhaft interessierte und politisch vorgeschulte Frauen
zu gewinnen. Da es sich aber um die Masse der Stimmrechtlerinnen
handelte, wuchsen die Berliner, ja die preußische Stimmrechts-
bewegung immer mehr mit der Demokratie zusammen, und zuletzt
war die Berliner Stimmrechtsbewegung nichts anderes als die
Frauenorganisation der Demokratischen Vereinigung.

*) Die preußische Stimmrechtsbewegung hatte sich mit Ortsgruppen, Aus-
schüssen, Vertrauenspersonen ohne Satzungen durch die alte Zeit durchgeholfen.
Am 17. Februar 1908 wurde der „Preußische Landesverein für Frauenstimm-
recht‟ gegründet.
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[23/0023] „Jungliberalen‟, ihr linker Flügel, veranstalteten am 15. Mai be- sondere Versammlungen, um die Frauen festlich zu begrüßen. Zentrum und Konservative nahmen von dem neuen Gesetz, soweit es die Frauen betraf, keine Notiz. Sie verweigern noch heute den Frauen den Eintritt in die Parteivereine. Das Jahr 1908 brachte noch eine für die Stimmrechts- bewegung bedeutungsvolle Tatsache. Nach ihrer Trennung von der Freisinnigen Vereinigung gründeten Dr. Barth, Dr. Breitscheid, v. Gerlach am 25. Oktober 1908 die „Demokratische Ver- einigung‟. Die neue Partei stellte sich in fast allen Programm- punkten auf den Standpunkt der Sozialdemokratie und hat als deren Vortrupp besonders im Wahlkampf eine energische Tätigkeit entfaltet. Sie proklamierte sofort das volle Staatsbürgerrecht für die Frau, nahm also einen Standpunkt ein, den bis zur Stunde keine bürgerliche Partei teilt. Diese Tatsache sollte das Verhängnis der preußischen Stimmrechtsbewegung werden. Frau Minna Cauer, Vorsitzende des Vereins „Frauenwohl, Berlin‟, war zugleich Vorsitzende des „Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht‟ *), den sie gegründet hatte. Sie war mit dem Führern der neuen Partei persönlich und durch Gleichheit der poli- tischen Ueberzeugung verbunden. Für diese Jdeen hatte sie ja seit Jahren gekämpft. Als nun die neue Gründung der Demokratischen Vereinigung unter großem Aufwand von Geld und Agitationskraft erfolgte, ging sie mit ihrem ganzen Anhang – und der war sehr bedeutend – zur Demokratischen Vereinigung über. Nur ganz wenige Frauen hielten sich zurück, traten bei der Freisinnigen Volks- partei ein oder blieben politisch unorganisiert. Die neue Partei hatte dadurch den großen Vorteil nicht nur der Zahl, sondern auch den, politisch lebhaft interessierte und politisch vorgeschulte Frauen zu gewinnen. Da es sich aber um die Masse der Stimmrechtlerinnen handelte, wuchsen die Berliner, ja die preußische Stimmrechts- bewegung immer mehr mit der Demokratie zusammen, und zuletzt war die Berliner Stimmrechtsbewegung nichts anderes als die Frauenorganisation der Demokratischen Vereinigung. *) Die preußische Stimmrechtsbewegung hatte sich mit Ortsgruppen, Aus- schüssen, Vertrauenspersonen ohne Satzungen durch die alte Zeit durchgeholfen. Am 17. Februar 1908 wurde der „Preußische Landesverein für Frauenstimm- recht‟ gegründet.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/23>, abgerufen am 24.04.2024.