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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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Der Hauptstoß aber, der zum offiziellen Verlassen der ur-
sprünglichen politischen Neutralität führte, wurde von einer sozial-
demokratischen Führerin, Frau Clara Zetkin, geführt.

Jahrzehntelang hatte sie mit Hohn und Spott auf die bürger-
liche Frauenbewegung geblickt. Jn ihrer Partei, für die Arbeiter-
klasse, war diese "Eigenbrödelei" ganz überflüssig. Der zielbewußte
Klassengenosse vertrat alle Rechte und Forderungen der Frau. Er
hatte doch kein Brett vor dem Kopf, wie diese "korrumpierte, ver-
altete Bourgeoisie". Allmählich aber erwachte trotz dieser schönen
Theorien das Geschlechtsbewußtsein der Arbeiterinnen. Sie sahen
die Welt, wie sie ist, nicht, wie sie programmäßig sein soll, und
forderten eine selbständige Frauentagung zur Erörterung der
Fraueninteressen in Verbindung mit dem Parteitage. Eine solche
fand zum erstenmal 1900 in Mainz statt. Damit war das alte
Prinzip offiziell verlassen, und nun war es doch ganz unvermeid-
lich, daß die Blicke der Arbeiterinnen sich auch auf ihre Kampf-
genossinnen im bürgerlichen Lager richten mußten, um auch
dort Geist von ihrem Geiste zu entdecken. Vor allem mußten sie
dann die überraschende Entdeckung machen, daß da drüben eine
kleine, mutige Schar seit Jahren für die politische Befreiung aller
Frauen kämpfte und bereits den größten Teil der bürgerlichen
Presse dieser Jdee geöffnet hatte. Das durfte nicht sein. Das war
gefährlich vom Standpunkte des Klassenkampfes aus. Die chinesische
Mauer, die ja erst unter dem ehernen Klang der Glocken dieses
Weltkrieges abgetragen worden ist, mußte bleiben.

Somit mußte die Stimmrechtsbewegung in den Augen der
Arbeiterinnen diskreditiert werden. Das wurde kurz gemacht, in-
dem Frau Zetkin auf das neutrale Programm hinwies und er-
klärte: "Diese Frauen kämpfen gar nicht für die Arbeiterinnen, sie
fordern nur ein Damenwahlrecht." Diese Behauptung war
eine glatte Unwahrheit, denn in allen öffentlichen Versammlungen,
die sich mit der politischen Lage der Berufsfrauen beschäftigten, war
gerade die Arbeiterin immer in den Vordergrund gestellt worden.
Jhr sollte in erster Linie die politische Waffe im Kampf ums
Dasein in die Hand gedrückt werden. Ja, bei der demokratischen
Parteistellung der Gründerinnen der Organisation muß es ihnen
unbedingt geglaubt werden, wenn sie erklärten, daß sie "nie an
etwas anderes als an das allgemeine gleiche Wahlrecht zu allen
politischen Körperschaften für die Frauen gedacht hätten".

Der Hieb aber saß, und der Vorstand erwog ernstlich, wie
man den immer erneuten Angriffen ein Ende machen könne. Das

Der Hauptstoß aber, der zum offiziellen Verlassen der ur-
sprünglichen politischen Neutralität führte, wurde von einer sozial-
demokratischen Führerin, Frau Clara Zetkin, geführt.

Jahrzehntelang hatte sie mit Hohn und Spott auf die bürger-
liche Frauenbewegung geblickt. Jn ihrer Partei, für die Arbeiter-
klasse, war diese „Eigenbrödelei‟ ganz überflüssig. Der zielbewußte
Klassengenosse vertrat alle Rechte und Forderungen der Frau. Er
hatte doch kein Brett vor dem Kopf, wie diese „korrumpierte, ver-
altete Bourgeoisie‟. Allmählich aber erwachte trotz dieser schönen
Theorien das Geschlechtsbewußtsein der Arbeiterinnen. Sie sahen
die Welt, wie sie ist, nicht, wie sie programmäßig sein soll, und
forderten eine selbständige Frauentagung zur Erörterung der
Fraueninteressen in Verbindung mit dem Parteitage. Eine solche
fand zum erstenmal 1900 in Mainz statt. Damit war das alte
Prinzip offiziell verlassen, und nun war es doch ganz unvermeid-
lich, daß die Blicke der Arbeiterinnen sich auch auf ihre Kampf-
genossinnen im bürgerlichen Lager richten mußten, um auch
dort Geist von ihrem Geiste zu entdecken. Vor allem mußten sie
dann die überraschende Entdeckung machen, daß da drüben eine
kleine, mutige Schar seit Jahren für die politische Befreiung aller
Frauen kämpfte und bereits den größten Teil der bürgerlichen
Presse dieser Jdee geöffnet hatte. Das durfte nicht sein. Das war
gefährlich vom Standpunkte des Klassenkampfes aus. Die chinesische
Mauer, die ja erst unter dem ehernen Klang der Glocken dieses
Weltkrieges abgetragen worden ist, mußte bleiben.

Somit mußte die Stimmrechtsbewegung in den Augen der
Arbeiterinnen diskreditiert werden. Das wurde kurz gemacht, in-
dem Frau Zetkin auf das neutrale Programm hinwies und er-
klärte: „Diese Frauen kämpfen gar nicht für die Arbeiterinnen, sie
fordern nur ein Damenwahlrecht.‟ Diese Behauptung war
eine glatte Unwahrheit, denn in allen öffentlichen Versammlungen,
die sich mit der politischen Lage der Berufsfrauen beschäftigten, war
gerade die Arbeiterin immer in den Vordergrund gestellt worden.
Jhr sollte in erster Linie die politische Waffe im Kampf ums
Dasein in die Hand gedrückt werden. Ja, bei der demokratischen
Parteistellung der Gründerinnen der Organisation muß es ihnen
unbedingt geglaubt werden, wenn sie erklärten, daß sie „nie an
etwas anderes als an das allgemeine gleiche Wahlrecht zu allen
politischen Körperschaften für die Frauen gedacht hätten‟.

Der Hieb aber saß, und der Vorstand erwog ernstlich, wie
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[14/0014] Der Hauptstoß aber, der zum offiziellen Verlassen der ur- sprünglichen politischen Neutralität führte, wurde von einer sozial- demokratischen Führerin, Frau Clara Zetkin, geführt. Jahrzehntelang hatte sie mit Hohn und Spott auf die bürger- liche Frauenbewegung geblickt. Jn ihrer Partei, für die Arbeiter- klasse, war diese „Eigenbrödelei‟ ganz überflüssig. Der zielbewußte Klassengenosse vertrat alle Rechte und Forderungen der Frau. Er hatte doch kein Brett vor dem Kopf, wie diese „korrumpierte, ver- altete Bourgeoisie‟. Allmählich aber erwachte trotz dieser schönen Theorien das Geschlechtsbewußtsein der Arbeiterinnen. Sie sahen die Welt, wie sie ist, nicht, wie sie programmäßig sein soll, und forderten eine selbständige Frauentagung zur Erörterung der Fraueninteressen in Verbindung mit dem Parteitage. Eine solche fand zum erstenmal 1900 in Mainz statt. Damit war das alte Prinzip offiziell verlassen, und nun war es doch ganz unvermeid- lich, daß die Blicke der Arbeiterinnen sich auch auf ihre Kampf- genossinnen im bürgerlichen Lager richten mußten, um auch dort Geist von ihrem Geiste zu entdecken. Vor allem mußten sie dann die überraschende Entdeckung machen, daß da drüben eine kleine, mutige Schar seit Jahren für die politische Befreiung aller Frauen kämpfte und bereits den größten Teil der bürgerlichen Presse dieser Jdee geöffnet hatte. Das durfte nicht sein. Das war gefährlich vom Standpunkte des Klassenkampfes aus. Die chinesische Mauer, die ja erst unter dem ehernen Klang der Glocken dieses Weltkrieges abgetragen worden ist, mußte bleiben. Somit mußte die Stimmrechtsbewegung in den Augen der Arbeiterinnen diskreditiert werden. Das wurde kurz gemacht, in- dem Frau Zetkin auf das neutrale Programm hinwies und er- klärte: „Diese Frauen kämpfen gar nicht für die Arbeiterinnen, sie fordern nur ein Damenwahlrecht.‟ Diese Behauptung war eine glatte Unwahrheit, denn in allen öffentlichen Versammlungen, die sich mit der politischen Lage der Berufsfrauen beschäftigten, war gerade die Arbeiterin immer in den Vordergrund gestellt worden. Jhr sollte in erster Linie die politische Waffe im Kampf ums Dasein in die Hand gedrückt werden. Ja, bei der demokratischen Parteistellung der Gründerinnen der Organisation muß es ihnen unbedingt geglaubt werden, wenn sie erklärten, daß sie „nie an etwas anderes als an das allgemeine gleiche Wahlrecht zu allen politischen Körperschaften für die Frauen gedacht hätten‟. Der Hieb aber saß, und der Vorstand erwog ernstlich, wie man den immer erneuten Angriffen ein Ende machen könne. Das  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/14>, abgerufen am 23.04.2024.