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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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noch im Mittelpunkt der Arbeit, aber viele Frauen, die sonst zur
Stimmrechtsbewegung gekommen wären, fühlten sich durch diesen
parteipolitischen Ton abgestoßen und blieben fern. Und doch war
diese Färbung der Bewegung nur allzu erklärlich.

Die Augen nicht nur dieser Gruppe von führenden Frauen,
sondern noch mancher anderer, waren auf das Ausland gerichtet.
Dort waren die Universitäten geöffnet, dort war freies Vereins-
recht, dort war die Frau vollberechtigter Bürger der Kommune
oder gar des Staates überhaupt. Die wenigen akademisch ge-
bildeten Frauen hatten in Paris oder in Zürich studiert. Das
Vaterland hatte keine Stätte für solche Geister. Daher die starke
Jnternationalität der führenden Köpfe und die Hinneigung zur
Sozialdemokratie.

Den stärksten Einfluß aber übte auf die Stimmrechtlerinnen
die Tatsache des sozialdemokratischen Parteiprogramms aus. 1874
erschien August Bebel's bahnbrechendes Buch "Die Frau", 1875
stellte er auf dem Gothaer Parteitag den Antrag, "die völlige
Gleichberechtigung der Geschlechter in das Parteiprogramm aufzu-
nehmen". Der Antrag wurde abgelehnt. Nach 17jährigem Kampfe
für die Jdee setzte er auf dem Parteitage zu Erfurt 1891 die Auf-
nahme des Frauenstimmrechts in das Parteiprogramm durch.
Seinem ausschlaggebenden Einfluß war es zu danken, daß nun aber
auch die politische Erziehung der Frauen in Frauenbildungs-
vereinen oder besonderen kleineren Sitzungen planmäßig in An-
griff genommen wurde, und endlich die Frauen als Delegierte
auf den Parteitagen erschienen. Das alles war nur einmal in
Deutschland, die bürgerlichen Politiker schliefen noch einen wahren
Bärenschlaf, und stellten sich, als sähen sie nichts von der größten
Revolution, die für Deutschland durch die einfache Tatsache der
Frauenarbeit herauskam. Durch das Vorgehen der Sozial-
demokratie aber lag nun auch bei uns etwas in der Luft von einer
neuen Zeit und ihren neuen Jdealen.

Auf der anderen Seite darf nie vergessen werden, daß die
Frauenbewegung und die Arbeiterbewegung Holz von einem
Stamme sind. Wenn Sombart die Arbeiterbewegung den
"Schatten des Kapitalismus" nennt, so muß man ganz dasselbe
von der modernen Frauenbewegung sagen. Jn der stillen Ab-
geschlossenheit des agrarischen Deutschland war die Frauenbewegung
unmöglich. Jn dem Jndustrie- und Welthandelsstaat ist sie mit
Notwendigkeit erwachsen. So erklärt sich sehr einfach der wachsende
Einfluß sozialdemokratischer Jdeen auf die Stimmrechtsbewegung.

noch im Mittelpunkt der Arbeit, aber viele Frauen, die sonst zur
Stimmrechtsbewegung gekommen wären, fühlten sich durch diesen
parteipolitischen Ton abgestoßen und blieben fern. Und doch war
diese Färbung der Bewegung nur allzu erklärlich.

Die Augen nicht nur dieser Gruppe von führenden Frauen,
sondern noch mancher anderer, waren auf das Ausland gerichtet.
Dort waren die Universitäten geöffnet, dort war freies Vereins-
recht, dort war die Frau vollberechtigter Bürger der Kommune
oder gar des Staates überhaupt. Die wenigen akademisch ge-
bildeten Frauen hatten in Paris oder in Zürich studiert. Das
Vaterland hatte keine Stätte für solche Geister. Daher die starke
Jnternationalität der führenden Köpfe und die Hinneigung zur
Sozialdemokratie.

Den stärksten Einfluß aber übte auf die Stimmrechtlerinnen
die Tatsache des sozialdemokratischen Parteiprogramms aus. 1874
erschien August Bebel's bahnbrechendes Buch „Die Frau‟, 1875
stellte er auf dem Gothaer Parteitag den Antrag, „die völlige
Gleichberechtigung der Geschlechter in das Parteiprogramm aufzu-
nehmen‟. Der Antrag wurde abgelehnt. Nach 17jährigem Kampfe
für die Jdee setzte er auf dem Parteitage zu Erfurt 1891 die Auf-
nahme des Frauenstimmrechts in das Parteiprogramm durch.
Seinem ausschlaggebenden Einfluß war es zu danken, daß nun aber
auch die politische Erziehung der Frauen in Frauenbildungs-
vereinen oder besonderen kleineren Sitzungen planmäßig in An-
griff genommen wurde, und endlich die Frauen als Delegierte
auf den Parteitagen erschienen. Das alles war nur einmal in
Deutschland, die bürgerlichen Politiker schliefen noch einen wahren
Bärenschlaf, und stellten sich, als sähen sie nichts von der größten
Revolution, die für Deutschland durch die einfache Tatsache der
Frauenarbeit herauskam. Durch das Vorgehen der Sozial-
demokratie aber lag nun auch bei uns etwas in der Luft von einer
neuen Zeit und ihren neuen Jdealen.

Auf der anderen Seite darf nie vergessen werden, daß die
Frauenbewegung und die Arbeiterbewegung Holz von einem
Stamme sind. Wenn Sombart die Arbeiterbewegung den
„Schatten des Kapitalismus‟ nennt, so muß man ganz dasselbe
von der modernen Frauenbewegung sagen. Jn der stillen Ab-
geschlossenheit des agrarischen Deutschland war die Frauenbewegung
unmöglich. Jn dem Jndustrie- und Welthandelsstaat ist sie mit
Notwendigkeit erwachsen. So erklärt sich sehr einfach der wachsende
Einfluß sozialdemokratischer Jdeen auf die Stimmrechtsbewegung.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/13>, abgerufen am 24.04.2024.