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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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von Frauen aller Erdteile ein, die fest entschlossen ist, das Zepter
nicht aus der Hand zu legen, bis die Frauen aller Kulturländer das
volle Menschen- und Bürgerrecht errungen haben.

Parteipolitische Einflüsse.

Es ist bereits gesagt, der deutsche Verein für Frauenstimm-
recht war auf streng neutraler Grundlage aufgebaut. Jede Frau
jeder politischen Richtung konnte ihm angehören. Er bezeigte das
vor allem dadurch, daß er in der einzigen politischen Frage, die er
programmmäßig vertrat, jede parteipolitische Festlegung vermied.
Er kämpfte für das Wahlrecht der Frau, aber nicht für eine be-
stimmte Form
dieses Wahlrechts. Die Tatsache, daß es sich
bei diesem Kampf seinem innersten Kern nach um eine reine
Frauenrechtsfrage, um einen Kampf des Geschlechts handelt, kam
klar zum Ausdruck. Dieser Standpunkt ist historisch und politisch
durchaus berechtigt, insofern, als die verschiedensten politischen
Parteien nacheinander und gleichzeitig die politische Befreiung der
Frau bekämpft haben. Die Phalanx der männlichen Politiker tritt
also immer wieder geschlossen der Masse der entrechteten Frauen
gegenüber. Die Frauen aber erscheinen diesem Widerstand gegen-
über nivelliert, ohne Partei- oder Klassengegensätze, denn die
reichste Frau hat genau so wenig Staatsbürgerrecht, als die letzte
Arbeiterin. Dieser einfache Tatbestand ist von den englischen
Frauen stets in den Vordergrund gerückt und mit bewunderungs-
würdiger Selbstbeherrschung unter allen politischen Schwierigkeiten
als einziger Leitstern festgehalten worden. Nur so ist es möglich,
daß bei Stimmrechtsdemonstrationen die Frauen der höchsten
Aristokratie neben den Textilarbeiterinnen in geschlossenem Zuge
durch die Straßen von London gehen.

Die deutsche Stimmrechtsbewegung aber erlitt vielfache
parteipolitische Einflüsse und ging sehr bald dornenvolle Pfade.

Zunächst waren die Führerinnen selbst in ganz überwiegender
Mehrzahl Demokraten von strengster Observanz. Sie sprachen
sich, sowie parteipolitische Fragen und Forderungen in den Stimm-
rechtsversammlungen erörtert wurden, nur in diesem Sinne aus.
Auf dem Gebiete des nationalen Gedankens: in Fragen der Armee
und Flotte, der deutschen Kolonialpolitik, der Polenpolitik, ebenso
in ihrer Stellung zur Wirtschaftspolitik des Reiches und zur Sozial-
politik unterschieden sie sich nicht im geringsten von der Politik der
Sozialdemokratie. Selbstverständlich stand der Frauenrechtskampf

von Frauen aller Erdteile ein, die fest entschlossen ist, das Zepter
nicht aus der Hand zu legen, bis die Frauen aller Kulturländer das
volle Menschen- und Bürgerrecht errungen haben.

Parteipolitische Einflüsse.

Es ist bereits gesagt, der deutsche Verein für Frauenstimm-
recht war auf streng neutraler Grundlage aufgebaut. Jede Frau
jeder politischen Richtung konnte ihm angehören. Er bezeigte das
vor allem dadurch, daß er in der einzigen politischen Frage, die er
programmmäßig vertrat, jede parteipolitische Festlegung vermied.
Er kämpfte für das Wahlrecht der Frau, aber nicht für eine be-
stimmte Form
dieses Wahlrechts. Die Tatsache, daß es sich
bei diesem Kampf seinem innersten Kern nach um eine reine
Frauenrechtsfrage, um einen Kampf des Geschlechts handelt, kam
klar zum Ausdruck. Dieser Standpunkt ist historisch und politisch
durchaus berechtigt, insofern, als die verschiedensten politischen
Parteien nacheinander und gleichzeitig die politische Befreiung der
Frau bekämpft haben. Die Phalanx der männlichen Politiker tritt
also immer wieder geschlossen der Masse der entrechteten Frauen
gegenüber. Die Frauen aber erscheinen diesem Widerstand gegen-
über nivelliert, ohne Partei- oder Klassengegensätze, denn die
reichste Frau hat genau so wenig Staatsbürgerrecht, als die letzte
Arbeiterin. Dieser einfache Tatbestand ist von den englischen
Frauen stets in den Vordergrund gerückt und mit bewunderungs-
würdiger Selbstbeherrschung unter allen politischen Schwierigkeiten
als einziger Leitstern festgehalten worden. Nur so ist es möglich,
daß bei Stimmrechtsdemonstrationen die Frauen der höchsten
Aristokratie neben den Textilarbeiterinnen in geschlossenem Zuge
durch die Straßen von London gehen.

Die deutsche Stimmrechtsbewegung aber erlitt vielfache
parteipolitische Einflüsse und ging sehr bald dornenvolle Pfade.

Zunächst waren die Führerinnen selbst in ganz überwiegender
Mehrzahl Demokraten von strengster Observanz. Sie sprachen
sich, sowie parteipolitische Fragen und Forderungen in den Stimm-
rechtsversammlungen erörtert wurden, nur in diesem Sinne aus.
Auf dem Gebiete des nationalen Gedankens: in Fragen der Armee
und Flotte, der deutschen Kolonialpolitik, der Polenpolitik, ebenso
in ihrer Stellung zur Wirtschaftspolitik des Reiches und zur Sozial-
politik unterschieden sie sich nicht im geringsten von der Politik der
Sozialdemokratie. Selbstverständlich stand der Frauenrechtskampf

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[12/0012] von Frauen aller Erdteile ein, die fest entschlossen ist, das Zepter nicht aus der Hand zu legen, bis die Frauen aller Kulturländer das volle Menschen- und Bürgerrecht errungen haben. Parteipolitische Einflüsse. Es ist bereits gesagt, der deutsche Verein für Frauenstimm- recht war auf streng neutraler Grundlage aufgebaut. Jede Frau jeder politischen Richtung konnte ihm angehören. Er bezeigte das vor allem dadurch, daß er in der einzigen politischen Frage, die er programmmäßig vertrat, jede parteipolitische Festlegung vermied. Er kämpfte für das Wahlrecht der Frau, aber nicht für eine be- stimmte Form dieses Wahlrechts. Die Tatsache, daß es sich bei diesem Kampf seinem innersten Kern nach um eine reine Frauenrechtsfrage, um einen Kampf des Geschlechts handelt, kam klar zum Ausdruck. Dieser Standpunkt ist historisch und politisch durchaus berechtigt, insofern, als die verschiedensten politischen Parteien nacheinander und gleichzeitig die politische Befreiung der Frau bekämpft haben. Die Phalanx der männlichen Politiker tritt also immer wieder geschlossen der Masse der entrechteten Frauen gegenüber. Die Frauen aber erscheinen diesem Widerstand gegen- über nivelliert, ohne Partei- oder Klassengegensätze, denn die reichste Frau hat genau so wenig Staatsbürgerrecht, als die letzte Arbeiterin. Dieser einfache Tatbestand ist von den englischen Frauen stets in den Vordergrund gerückt und mit bewunderungs- würdiger Selbstbeherrschung unter allen politischen Schwierigkeiten als einziger Leitstern festgehalten worden. Nur so ist es möglich, daß bei Stimmrechtsdemonstrationen die Frauen der höchsten Aristokratie neben den Textilarbeiterinnen in geschlossenem Zuge durch die Straßen von London gehen. Die deutsche Stimmrechtsbewegung aber erlitt vielfache parteipolitische Einflüsse und ging sehr bald dornenvolle Pfade. Zunächst waren die Führerinnen selbst in ganz überwiegender Mehrzahl Demokraten von strengster Observanz. Sie sprachen sich, sowie parteipolitische Fragen und Forderungen in den Stimm- rechtsversammlungen erörtert wurden, nur in diesem Sinne aus. Auf dem Gebiete des nationalen Gedankens: in Fragen der Armee und Flotte, der deutschen Kolonialpolitik, der Polenpolitik, ebenso in ihrer Stellung zur Wirtschaftspolitik des Reiches und zur Sozial- politik unterschieden sie sich nicht im geringsten von der Politik der Sozialdemokratie. Selbstverständlich stand der Frauenrechtskampf  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/12>, abgerufen am 25.04.2024.