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Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.

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Menschenrecht zur Geltung gelangt, das "Völkerrecht" durch das
Volksrecht ersetzt ist.

Dann wird auch der Tag der Freiheit und eine Aera menschen-
würdigen Daseins für jene unglücklichen Völkerschaften des Ostens an-
brechen, die seit anderthalb Jahrhunderten der Spielball einer herz-
und gewissenlosen Diplomatie sind.

Möge das Schauspiel der grauenhaften Blut- und Eisen-Orgien
auf der Balkanhalbinsel, des gestörten Handels, der darniederliegenden
Jndustrie, des Massenelends, der zunehmenden Verrohung -- möge
die politische und wirthschaftliche Unsicherheit, die Kriegsgefahr, die
unserem Vaterland drohende Vergewaltigung durch das despotische,
halbwilde Rußland dem deutschen Volke die Augen öffnen, es zur Er-
kenntniß seiner Jnteressen und Pflichten bringen! Soll Ordnung
werden in Europa, so muß das Volk Ordnung schaffen, indem es
die Leitung seiner "Geschicke" selbst in die Hand nimmt und die Ruhe-
störer und Unheilstifter unschädlich macht.

Und Denen, die etwa meinen sollten, die Politik sei nicht Sache
der Arbeiter, rufe ich hier die Schlußworte der von Marx im
Jahre 1864 geschriebenen Jnauguraladresse, dieses Programms
der Jnternationalen Arbeiterassoziation, in's Gedächtniß:

"Der schamlose Beifall, die nur scheinbare Sympathie oder der
beschränkte Gleichmuth, mit welchem die oberen Klassen Europa's die
Bergfestung des Kaukasus Rußland zur Beute fallen und das helden-
müthige Polen durch Rußland haben vernichten sehen, die unwider-
standenen Uebergriffe dieser barbarischen Macht, deren Haupt in St.
Petersburg, deren Hände in allen Kabinetten Europa's, haben den
arbeitenden Klassen die Pflicht gelehrt, sich selbst die Mysterien
der internationalen Staatskunst anzueignen, die diplomatischen Streiche
ihrer Regierungen zu überwachen, ihnen nöthigenfalls mit aller ihnen
zu Gebot stehenden Macht entgegenzuarbeiten, und, wenn außer Stande
den Streich zu verhindern, sich zu gleichzeitiger öffentlicher Anklage zu
verbinden und die einfachen Gesetze der Moral und des
Rechts zu proklamiren, welche ebensowohl die Be-
ziehungen Einzelner regeln, als auch die obersten Ge-
setze des Verkehrs der Nationen sein sollten.

"Der Kampf für solch eine auswärtige Politik bildet
einen Theil des allgemeinen Kampfes für die Emancipation
der arbeitenden Klassen.
"



Menſchenrecht zur Geltung gelangt, das „Völkerrecht‟ durch das
Volksrecht erſetzt iſt.

Dann wird auch der Tag der Freiheit und eine Aera menſchen-
würdigen Daſeins für jene unglücklichen Völkerſchaften des Oſtens an-
brechen, die ſeit anderthalb Jahrhunderten der Spielball einer herz-
und gewiſſenloſen Diplomatie ſind.

Möge das Schauſpiel der grauenhaften Blut- und Eiſen-Orgien
auf der Balkanhalbinſel, des geſtörten Handels, der darniederliegenden
Jnduſtrie, des Maſſenelends, der zunehmenden Verrohung — möge
die politiſche und wirthſchaftliche Unſicherheit, die Kriegsgefahr, die
unſerem Vaterland drohende Vergewaltigung durch das despotiſche,
halbwilde Rußland dem deutſchen Volke die Augen öffnen, es zur Er-
kenntniß ſeiner Jntereſſen und Pflichten bringen! Soll Ordnung
werden in Europa, ſo muß das Volk Ordnung ſchaffen, indem es
die Leitung ſeiner „Geſchicke‟ ſelbſt in die Hand nimmt und die Ruhe-
ſtörer und Unheilſtifter unſchädlich macht.

Und Denen, die etwa meinen ſollten, die Politik ſei nicht Sache
der Arbeiter, rufe ich hier die Schlußworte der von Marx im
Jahre 1864 geſchriebenen Jnauguraladreſſe, dieſes Programms
der Jnternationalen Arbeiteraſſoziation, in’s Gedächtniß:

„Der ſchamloſe Beifall, die nur ſcheinbare Sympathie oder der
beſchränkte Gleichmuth, mit welchem die oberen Klaſſen Europa’s die
Bergfeſtung des Kaukaſus Rußland zur Beute fallen und das helden-
müthige Polen durch Rußland haben vernichten ſehen, die unwider-
ſtandenen Uebergriffe dieſer barbariſchen Macht, deren Haupt in St.
Petersburg, deren Hände in allen Kabinetten Europa’s, haben den
arbeitenden Klaſſen die Pflicht gelehrt, ſich ſelbſt die Myſterien
der internationalen Staatskunſt anzueignen, die diplomatiſchen Streiche
ihrer Regierungen zu überwachen, ihnen nöthigenfalls mit aller ihnen
zu Gebot ſtehenden Macht entgegenzuarbeiten, und, wenn außer Stande
den Streich zu verhindern, ſich zu gleichzeitiger öffentlicher Anklage zu
verbinden und die einfachen Geſetze der Moral und des
Rechts zu proklamiren, welche ebenſowohl die Be-
ziehungen Einzelner regeln, als auch die oberſten Ge-
ſetze des Verkehrs der Nationen ſein ſollten.

Der Kampf für ſolch eine auswärtige Politik bildet
einen Theil des allgemeinen Kampfes für die Emancipation
der arbeitenden Klaſſen.



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[46/0050] Menſchenrecht zur Geltung gelangt, das „Völkerrecht‟ durch das Volksrecht erſetzt iſt. Dann wird auch der Tag der Freiheit und eine Aera menſchen- würdigen Daſeins für jene unglücklichen Völkerſchaften des Oſtens an- brechen, die ſeit anderthalb Jahrhunderten der Spielball einer herz- und gewiſſenloſen Diplomatie ſind. Möge das Schauſpiel der grauenhaften Blut- und Eiſen-Orgien auf der Balkanhalbinſel, des geſtörten Handels, der darniederliegenden Jnduſtrie, des Maſſenelends, der zunehmenden Verrohung — möge die politiſche und wirthſchaftliche Unſicherheit, die Kriegsgefahr, die unſerem Vaterland drohende Vergewaltigung durch das despotiſche, halbwilde Rußland dem deutſchen Volke die Augen öffnen, es zur Er- kenntniß ſeiner Jntereſſen und Pflichten bringen! Soll Ordnung werden in Europa, ſo muß das Volk Ordnung ſchaffen, indem es die Leitung ſeiner „Geſchicke‟ ſelbſt in die Hand nimmt und die Ruhe- ſtörer und Unheilſtifter unſchädlich macht. Und Denen, die etwa meinen ſollten, die Politik ſei nicht Sache der Arbeiter, rufe ich hier die Schlußworte der von Marx im Jahre 1864 geſchriebenen Jnauguraladreſſe, dieſes Programms der Jnternationalen Arbeiteraſſoziation, in’s Gedächtniß: „Der ſchamloſe Beifall, die nur ſcheinbare Sympathie oder der beſchränkte Gleichmuth, mit welchem die oberen Klaſſen Europa’s die Bergfeſtung des Kaukaſus Rußland zur Beute fallen und das helden- müthige Polen durch Rußland haben vernichten ſehen, die unwider- ſtandenen Uebergriffe dieſer barbariſchen Macht, deren Haupt in St. Petersburg, deren Hände in allen Kabinetten Europa’s, haben den arbeitenden Klaſſen die Pflicht gelehrt, ſich ſelbſt die Myſterien der internationalen Staatskunſt anzueignen, die diplomatiſchen Streiche ihrer Regierungen zu überwachen, ihnen nöthigenfalls mit aller ihnen zu Gebot ſtehenden Macht entgegenzuarbeiten, und, wenn außer Stande den Streich zu verhindern, ſich zu gleichzeitiger öffentlicher Anklage zu verbinden und die einfachen Geſetze der Moral und des Rechts zu proklamiren, welche ebenſowohl die Be- ziehungen Einzelner regeln, als auch die oberſten Ge- ſetze des Verkehrs der Nationen ſein ſollten. „Der Kampf für ſolch eine auswärtige Politik bildet einen Theil des allgemeinen Kampfes für die Emancipation der arbeitenden Klaſſen.‟

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Zitationshilfe: Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebknecht_frage_1878/50>, abgerufen am 23.04.2024.