Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

3. Bei jeder Gelegenheit müssen wir an den Ereignissen und
Streitigkeiten jeder Art in Europa theilnehmen, vor allen Dingen
an denen Deutschlands,
welches, da es uns am nächsten ge-
legen, von dem unmittelbarsten Jnteresse ist.

4. Polen muß zerrißen werden, indem wir dort Unordnung und
stete Eifersucht erhalten; die Einflußreichen müssen mit Geld gewonnen
werden; der Reichstag muß beeinflußt und bestochen werden, um auf
die Königswahl einzuwirken; wir müssen für uns dort Anhänger ge-
winnen, sie beschützen, russische Truppen hinschicken und sie dort lassen,
bis sie eine Gelegenheit gefunden haben, für immer dort zu bleiben.
Sollten die benachbarten Mächte Schwierigkeiten erheben, so müssen sie
einstweilen durch Theilung zufriedengestellt werden, bis wir ihnen
abnehmen können, was wir ihnen bewilligt haben.

5. Wir müssen von Schweden so viel an uns reißen, als wir
können, und es bewerkstelligen, daß wir von jenem Staate angegriffen
werden, damit wir einen Vorwand zu seiner Unterjochung haben. Jn
Rücksicht auf dieses Ziel müssen wir Schweden von Dänemark und
Dänemark von Schweden trennen, und ihre Eifersucht sorgfältig auf-
recht erhalten.

6. Die Frauen der russischen Prinzen sind stets unter den
deutschen Prinzessinnen zu wählen,
um die Familienver-
bindungen zu vervielfältigen, die Jnteressen zu vergemeinschaftlichen
und auf diese Weise Deutschland an unsere Sache zu fesseln,
indem wir dort unseren Einfluß verstärken.

7. Hauptsächlich müssen wir das Bündniß mit England für den
Handel suchen, weil diese Macht uns am meisten für seine Flotte
braucht und uns für die Entwickelung der unserigen äußerst nützlich
sein kann. Wir müssen unser Bauholz und andere Produkte gegen
Englands Gold eintauschen und zwischen Englands Kauf- und Seeleuten
und den unseren ununterbrochene Verbindungen anknüpfen, welche die
Kauf- und Seeleute unseres Landes für die Seefahrt und den Handel
bilden werden.

8. Wir müssen uns ununterbrochen gegen den Norden hin, die
Ostsee entlang und gegen den Süden hin, das schwarze Meer entlang,
ausdehnen.

9. Wir müssen so weit als möglich gegen Konstantinopel
und (Ost-) Jndien vorrücken. Wer dort regiert, wird
in Wahrheit Herr der Welt sein
. Deshalb müssen wir fort-
während Kriege erregen, bald mit der Türkei, bald mit Persien; Schiffs-
werften am schwarzen Meer errichten, nach und nach sowohl von diesem
Meere als der Ostsee Besitz ergreifen, welches zum Gelingen des Pro-
jekts doppelt nothwendig ist. Wir müssen den Fall Persiens beschleu-

2 *

3. Bei jeder Gelegenheit müſſen wir an den Ereigniſſen und
Streitigkeiten jeder Art in Europa theilnehmen, vor allen Dingen
an denen Deutſchlands,
welches, da es uns am nächſten ge-
legen, von dem unmittelbarſten Jntereſſe iſt.

4. Polen muß zerrißen werden, indem wir dort Unordnung und
ſtete Eiferſucht erhalten; die Einflußreichen müſſen mit Geld gewonnen
werden; der Reichstag muß beeinflußt und beſtochen werden, um auf
die Königswahl einzuwirken; wir müſſen für uns dort Anhänger ge-
winnen, ſie beſchützen, ruſſiſche Truppen hinſchicken und ſie dort laſſen,
bis ſie eine Gelegenheit gefunden haben, für immer dort zu bleiben.
Sollten die benachbarten Mächte Schwierigkeiten erheben, ſo müſſen ſie
einſtweilen durch Theilung zufriedengeſtellt werden, bis wir ihnen
abnehmen können, was wir ihnen bewilligt haben.

5. Wir müſſen von Schweden ſo viel an uns reißen, als wir
können, und es bewerkſtelligen, daß wir von jenem Staate angegriffen
werden, damit wir einen Vorwand zu ſeiner Unterjochung haben. Jn
Rückſicht auf dieſes Ziel müſſen wir Schweden von Dänemark und
Dänemark von Schweden trennen, und ihre Eiferſucht ſorgfältig auf-
recht erhalten.

6. Die Frauen der ruſſiſchen Prinzen ſind ſtets unter den
deutſchen Prinzeſſinnen zu wählen,
um die Familienver-
bindungen zu vervielfältigen, die Jntereſſen zu vergemeinſchaftlichen
und auf dieſe Weiſe Deutſchland an unſere Sache zu feſſeln,
indem wir dort unſeren Einfluß verſtärken.

7. Hauptſächlich müſſen wir das Bündniß mit England für den
Handel ſuchen, weil dieſe Macht uns am meiſten für ſeine Flotte
braucht und uns für die Entwickelung der unſerigen äußerſt nützlich
ſein kann. Wir müſſen unſer Bauholz und andere Produkte gegen
Englands Gold eintauſchen und zwiſchen Englands Kauf- und Seeleuten
und den unſeren ununterbrochene Verbindungen anknüpfen, welche die
Kauf- und Seeleute unſeres Landes für die Seefahrt und den Handel
bilden werden.

8. Wir müſſen uns ununterbrochen gegen den Norden hin, die
Oſtſee entlang und gegen den Süden hin, das ſchwarze Meer entlang,
ausdehnen.

9. Wir müſſen ſo weit als möglich gegen Konſtantinopel
und (Oſt-) Jndien vorrücken. Wer dort regiert, wird
in Wahrheit Herr der Welt ſein
. Deshalb müſſen wir fort-
während Kriege erregen, bald mit der Türkei, bald mit Perſien; Schiffs-
werften am ſchwarzen Meer errichten, nach und nach ſowohl von dieſem
Meere als der Oſtſee Beſitz ergreifen, welches zum Gelingen des Pro-
jekts doppelt nothwendig iſt. Wir müſſen den Fall Perſiens beſchleu-

2 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0023" n="19"/>
        <p>3. Bei jeder Gelegenheit mü&#x017F;&#x017F;en wir an den Ereigni&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
Streitigkeiten jeder Art in Europa theilnehmen, <hi rendition="#g">vor allen Dingen<lb/>
an denen Deut&#x017F;chlands,</hi> welches, da es uns am näch&#x017F;ten ge-<lb/>
legen, von dem unmittelbar&#x017F;ten Jntere&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>4. Polen muß zerrißen werden, indem wir dort Unordnung und<lb/>
&#x017F;tete Eifer&#x017F;ucht erhalten; die Einflußreichen mü&#x017F;&#x017F;en mit Geld gewonnen<lb/>
werden; der Reichstag muß beeinflußt und be&#x017F;tochen werden, um auf<lb/>
die Königswahl einzuwirken; wir mü&#x017F;&#x017F;en für uns dort Anhänger ge-<lb/>
winnen, &#x017F;ie be&#x017F;chützen, ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Truppen hin&#x017F;chicken und &#x017F;ie dort la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
bis &#x017F;ie eine Gelegenheit gefunden haben, für immer dort zu bleiben.<lb/>
Sollten die benachbarten Mächte Schwierigkeiten erheben, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie<lb/>
ein&#x017F;tweilen durch Theilung zufriedenge&#x017F;tellt werden, <hi rendition="#g">bis wir ihnen<lb/>
abnehmen können, was wir ihnen bewilligt haben.</hi></p><lb/>
        <p>5. Wir mü&#x017F;&#x017F;en von Schweden &#x017F;o viel an uns reißen, als wir<lb/>
können, und es bewerk&#x017F;telligen, daß wir von jenem Staate angegriffen<lb/>
werden, damit wir einen Vorwand zu &#x017F;einer Unterjochung haben. Jn<lb/>
Rück&#x017F;icht auf die&#x017F;es Ziel mü&#x017F;&#x017F;en wir Schweden von Dänemark und<lb/>
Dänemark von Schweden trennen, und ihre Eifer&#x017F;ucht &#x017F;orgfältig auf-<lb/>
recht erhalten.</p><lb/>
        <p>6. Die Frauen der ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Prinzen <hi rendition="#g">&#x017F;ind &#x017F;tets unter den<lb/>
deut&#x017F;chen Prinze&#x017F;&#x017F;innen zu wählen,</hi> um die Familienver-<lb/>
bindungen zu vervielfältigen, die Jntere&#x017F;&#x017F;en zu vergemein&#x017F;chaftlichen<lb/>
und auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e <hi rendition="#g">Deut&#x017F;chland an un&#x017F;ere Sache zu fe&#x017F;&#x017F;eln,</hi><lb/>
indem wir dort un&#x017F;eren Einfluß ver&#x017F;tärken.</p><lb/>
        <p>7. Haupt&#x017F;ächlich mü&#x017F;&#x017F;en wir das Bündniß mit England für den<lb/>
Handel &#x017F;uchen, weil die&#x017F;e Macht uns am mei&#x017F;ten für &#x017F;eine Flotte<lb/>
braucht und uns für die Entwickelung der un&#x017F;erigen äußer&#x017F;t nützlich<lb/>
&#x017F;ein kann. Wir mü&#x017F;&#x017F;en un&#x017F;er Bauholz und andere Produkte gegen<lb/>
Englands Gold eintau&#x017F;chen und zwi&#x017F;chen Englands Kauf- und Seeleuten<lb/>
und den un&#x017F;eren ununterbrochene Verbindungen anknüpfen, welche die<lb/>
Kauf- und Seeleute un&#x017F;eres Landes für die Seefahrt und den Handel<lb/>
bilden werden.</p><lb/>
        <p>8. Wir mü&#x017F;&#x017F;en uns ununterbrochen gegen den Norden hin, die<lb/>
O&#x017F;t&#x017F;ee entlang und gegen den Süden hin, das &#x017F;chwarze Meer entlang,<lb/>
ausdehnen.</p><lb/>
        <p>9. Wir mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o weit als möglich <hi rendition="#g">gegen Kon&#x017F;tantinopel</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">(O&#x017F;t-) Jndien vorrücken. Wer dort regiert, wird<lb/>
in Wahrheit Herr der Welt &#x017F;ein</hi>. Deshalb mü&#x017F;&#x017F;en wir fort-<lb/>
während Kriege erregen, bald mit der Türkei, bald mit Per&#x017F;ien; Schiffs-<lb/>
werften am &#x017F;chwarzen Meer errichten, nach und nach &#x017F;owohl von die&#x017F;em<lb/>
Meere als der O&#x017F;t&#x017F;ee Be&#x017F;itz ergreifen, welches zum Gelingen des Pro-<lb/>
jekts doppelt nothwendig i&#x017F;t. Wir mü&#x017F;&#x017F;en den Fall Per&#x017F;iens be&#x017F;chleu-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0023] 3. Bei jeder Gelegenheit müſſen wir an den Ereigniſſen und Streitigkeiten jeder Art in Europa theilnehmen, vor allen Dingen an denen Deutſchlands, welches, da es uns am nächſten ge- legen, von dem unmittelbarſten Jntereſſe iſt. 4. Polen muß zerrißen werden, indem wir dort Unordnung und ſtete Eiferſucht erhalten; die Einflußreichen müſſen mit Geld gewonnen werden; der Reichstag muß beeinflußt und beſtochen werden, um auf die Königswahl einzuwirken; wir müſſen für uns dort Anhänger ge- winnen, ſie beſchützen, ruſſiſche Truppen hinſchicken und ſie dort laſſen, bis ſie eine Gelegenheit gefunden haben, für immer dort zu bleiben. Sollten die benachbarten Mächte Schwierigkeiten erheben, ſo müſſen ſie einſtweilen durch Theilung zufriedengeſtellt werden, bis wir ihnen abnehmen können, was wir ihnen bewilligt haben. 5. Wir müſſen von Schweden ſo viel an uns reißen, als wir können, und es bewerkſtelligen, daß wir von jenem Staate angegriffen werden, damit wir einen Vorwand zu ſeiner Unterjochung haben. Jn Rückſicht auf dieſes Ziel müſſen wir Schweden von Dänemark und Dänemark von Schweden trennen, und ihre Eiferſucht ſorgfältig auf- recht erhalten. 6. Die Frauen der ruſſiſchen Prinzen ſind ſtets unter den deutſchen Prinzeſſinnen zu wählen, um die Familienver- bindungen zu vervielfältigen, die Jntereſſen zu vergemeinſchaftlichen und auf dieſe Weiſe Deutſchland an unſere Sache zu feſſeln, indem wir dort unſeren Einfluß verſtärken. 7. Hauptſächlich müſſen wir das Bündniß mit England für den Handel ſuchen, weil dieſe Macht uns am meiſten für ſeine Flotte braucht und uns für die Entwickelung der unſerigen äußerſt nützlich ſein kann. Wir müſſen unſer Bauholz und andere Produkte gegen Englands Gold eintauſchen und zwiſchen Englands Kauf- und Seeleuten und den unſeren ununterbrochene Verbindungen anknüpfen, welche die Kauf- und Seeleute unſeres Landes für die Seefahrt und den Handel bilden werden. 8. Wir müſſen uns ununterbrochen gegen den Norden hin, die Oſtſee entlang und gegen den Süden hin, das ſchwarze Meer entlang, ausdehnen. 9. Wir müſſen ſo weit als möglich gegen Konſtantinopel und (Oſt-) Jndien vorrücken. Wer dort regiert, wird in Wahrheit Herr der Welt ſein. Deshalb müſſen wir fort- während Kriege erregen, bald mit der Türkei, bald mit Perſien; Schiffs- werften am ſchwarzen Meer errichten, nach und nach ſowohl von dieſem Meere als der Oſtſee Beſitz ergreifen, welches zum Gelingen des Pro- jekts doppelt nothwendig iſt. Wir müſſen den Fall Perſiens beſchleu- 2 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liebknecht_frage_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liebknecht_frage_1878/23
Zitationshilfe: Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebknecht_frage_1878/23>, abgerufen am 28.03.2024.