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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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spieler will sich nicht ins Gesichte schlagen lassen;
er glaubt, es mache ihn verächtlich; es verwirrt
ihn; es schmerzt ihn: recht gut! Wenn er es in
seiner Kunst so weit noch nicht gebracht hat, daß
ihn so etwas nicht verwirret; wenn er seine
Kunst so sehr nicht liebet, daß er sich, ihr zum
Besten, eine kleine Kränkung will gefallen las-
sen: so suche er über die Stelle so gut wegzu-
kommen, als er kann; er weiche dem Schlage
aus; er halte die Hand vor; nur verlange er
nicht, daß sich der Dichter seinetwegen mehr
Bedenklichkeiten machen soll, als er sich der
Person wegen macht, die er ihn vorstellen läßt.
Wenn der wahre Diego, wenn der wahre Essex
eine Ohrfeige hinnehmen muß: was wollen ihre
Repräsentanten dawider einzuwenden haben?

Aber der Zuschauer will vielleicht keine Ohr-
feige geben sehen? Oder höchstens nur einem
Bedienten, den sie nicht besonders schimpft, für
den sie eine seinem Stande angemessene Züchti-
gung ist? Einem Helden hingegen, einem Hel-
den eine Ohrfeige! wie klein, wie unanstän-
dig! -- Und wenn sie das nun eben seyn soll?
Wenn eben diese Unanständigkeit die Quelle der
gewaltsamsten Entschließungen, der blutigsten
Rache werden soll, und wird? Wenn jede ge-
ringere Beleidigung diese schreckliche Wirkun-
gen nicht hätte haben können? Was in seinen
Folgen so tragisch werden kann, was unter ge-

wissen
D 2

ſpieler will ſich nicht ins Geſichte ſchlagen laſſen;
er glaubt, es mache ihn verächtlich; es verwirrt
ihn; es ſchmerzt ihn: recht gut! Wenn er es in
ſeiner Kunſt ſo weit noch nicht gebracht hat, daß
ihn ſo etwas nicht verwirret; wenn er ſeine
Kunſt ſo ſehr nicht liebet, daß er ſich, ihr zum
Beſten, eine kleine Kränkung will gefallen laſ-
ſen: ſo ſuche er über die Stelle ſo gut wegzu-
kommen, als er kann; er weiche dem Schlage
aus; er halte die Hand vor; nur verlange er
nicht, daß ſich der Dichter ſeinetwegen mehr
Bedenklichkeiten machen ſoll, als er ſich der
Perſon wegen macht, die er ihn vorſtellen läßt.
Wenn der wahre Diego, wenn der wahre Eſſex
eine Ohrfeige hinnehmen muß: was wollen ihre
Repräſentanten dawider einzuwenden haben?

Aber der Zuſchauer will vielleicht keine Ohr-
feige geben ſehen? Oder höchſtens nur einem
Bedienten, den ſie nicht beſonders ſchimpft, für
den ſie eine ſeinem Stande angemeſſene Züchti-
gung iſt? Einem Helden hingegen, einem Hel-
den eine Ohrfeige! wie klein, wie unanſtän-
dig! — Und wenn ſie das nun eben ſeyn ſoll?
Wenn eben dieſe Unanſtändigkeit die Quelle der
gewaltſamſten Entſchließungen, der blutigſten
Rache werden ſoll, und wird? Wenn jede ge-
ringere Beleidigung dieſe ſchreckliche Wirkun-
gen nicht hätte haben können? Was in ſeinen
Folgen ſo tragiſch werden kann, was unter ge-

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[27/0033] ſpieler will ſich nicht ins Geſichte ſchlagen laſſen; er glaubt, es mache ihn verächtlich; es verwirrt ihn; es ſchmerzt ihn: recht gut! Wenn er es in ſeiner Kunſt ſo weit noch nicht gebracht hat, daß ihn ſo etwas nicht verwirret; wenn er ſeine Kunſt ſo ſehr nicht liebet, daß er ſich, ihr zum Beſten, eine kleine Kränkung will gefallen laſ- ſen: ſo ſuche er über die Stelle ſo gut wegzu- kommen, als er kann; er weiche dem Schlage aus; er halte die Hand vor; nur verlange er nicht, daß ſich der Dichter ſeinetwegen mehr Bedenklichkeiten machen ſoll, als er ſich der Perſon wegen macht, die er ihn vorſtellen läßt. Wenn der wahre Diego, wenn der wahre Eſſex eine Ohrfeige hinnehmen muß: was wollen ihre Repräſentanten dawider einzuwenden haben? Aber der Zuſchauer will vielleicht keine Ohr- feige geben ſehen? Oder höchſtens nur einem Bedienten, den ſie nicht beſonders ſchimpft, für den ſie eine ſeinem Stande angemeſſene Züchti- gung iſt? Einem Helden hingegen, einem Hel- den eine Ohrfeige! wie klein, wie unanſtän- dig! — Und wenn ſie das nun eben ſeyn ſoll? Wenn eben dieſe Unanſtändigkeit die Quelle der gewaltſamſten Entſchließungen, der blutigſten Rache werden ſoll, und wird? Wenn jede ge- ringere Beleidigung dieſe ſchreckliche Wirkun- gen nicht hätte haben können? Was in ſeinen Folgen ſo tragiſch werden kann, was unter ge- wiſſen D 2

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/33>, abgerufen am 28.03.2024.