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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Jede Bewegung, welche die Hand bey mora-
lischen Stellen macht, muß bedeutend seyn.
Oft kann man bis in das Mahlerische damit ge-
hen; wenn man nur das Pantomimische vermei-
det. Es wird sich vielleicht ein andermal Gele-
genheit finden, diese Gradation von bedeutenden
zu mahlerischen, von mahlerischen zu pantomi-
mischen Gesten, ihren Unterschied und ihren
Gebrauch, in Beyspielen zu erläutern. Itzt
würde mich dieses zu weit führen, und ich merke
nur an, daß es unter den bedeutenden Gesten
eine Art giebt, die der Schauspieler vor allen
Dingen wohl zu beobachten hat, und mit denen
er allein der Moral Licht und Leben ertheilen
kann. Es sind dieses, mit einem Worte, die
individualisirenden Gestus. Die Moral ist ein
allgemeiner Satz, aus den besondern Umständen
der handelnden Personen gezogen; durch seine
Allgemeinheit wird er gewissermaßen der Sache
fremd, er wird eine Ausschweifung, deren Be-
ziehung auf das Gegenwärtige von dem weniger
aufmerksamen, oder weniger scharfsinnigen Zu-
hörer, nicht bemerkt oder nicht begriffen wird.
Wann es daher ein Mittel giebt, diese Bezie-
hung sinnlich zu machen, das Symbolische der
Moral wiederum auf das Anschauende zurück-
zubringen, und wann dieses Mittel gewisse
Gestus seyn können, so muß sie der Schauspieler
ja nicht zu machen versäumen.

Man

Jede Bewegung, welche die Hand bey mora-
liſchen Stellen macht, muß bedeutend ſeyn.
Oft kann man bis in das Mahleriſche damit ge-
hen; wenn man nur das Pantomimiſche vermei-
det. Es wird ſich vielleicht ein andermal Gele-
genheit finden, dieſe Gradation von bedeutenden
zu mahleriſchen, von mahleriſchen zu pantomi-
miſchen Geſten, ihren Unterſchied und ihren
Gebrauch, in Beyſpielen zu erlaͤutern. Itzt
wuͤrde mich dieſes zu weit fuͤhren, und ich merke
nur an, daß es unter den bedeutenden Geſten
eine Art giebt, die der Schauſpieler vor allen
Dingen wohl zu beobachten hat, und mit denen
er allein der Moral Licht und Leben ertheilen
kann. Es ſind dieſes, mit einem Worte, die
individualiſirenden Geſtus. Die Moral iſt ein
allgemeiner Satz, aus den beſondern Umſtaͤnden
der handelnden Perſonen gezogen; durch ſeine
Allgemeinheit wird er gewiſſermaßen der Sache
fremd, er wird eine Ausſchweifung, deren Be-
ziehung auf das Gegenwaͤrtige von dem weniger
aufmerkſamen, oder weniger ſcharfſinnigen Zu-
hoͤrer, nicht bemerkt oder nicht begriffen wird.
Wann es daher ein Mittel giebt, dieſe Bezie-
hung ſinnlich zu machen, das Symboliſche der
Moral wiederum auf das Anſchauende zuruͤck-
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ja nicht zu machen verſaͤumen.

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[28/0042] Jede Bewegung, welche die Hand bey mora- liſchen Stellen macht, muß bedeutend ſeyn. Oft kann man bis in das Mahleriſche damit ge- hen; wenn man nur das Pantomimiſche vermei- det. Es wird ſich vielleicht ein andermal Gele- genheit finden, dieſe Gradation von bedeutenden zu mahleriſchen, von mahleriſchen zu pantomi- miſchen Geſten, ihren Unterſchied und ihren Gebrauch, in Beyſpielen zu erlaͤutern. Itzt wuͤrde mich dieſes zu weit fuͤhren, und ich merke nur an, daß es unter den bedeutenden Geſten eine Art giebt, die der Schauſpieler vor allen Dingen wohl zu beobachten hat, und mit denen er allein der Moral Licht und Leben ertheilen kann. Es ſind dieſes, mit einem Worte, die individualiſirenden Geſtus. Die Moral iſt ein allgemeiner Satz, aus den beſondern Umſtaͤnden der handelnden Perſonen gezogen; durch ſeine Allgemeinheit wird er gewiſſermaßen der Sache fremd, er wird eine Ausſchweifung, deren Be- ziehung auf das Gegenwaͤrtige von dem weniger aufmerkſamen, oder weniger ſcharfſinnigen Zu- hoͤrer, nicht bemerkt oder nicht begriffen wird. Wann es daher ein Mittel giebt, dieſe Bezie- hung ſinnlich zu machen, das Symboliſche der Moral wiederum auf das Anſchauende zuruͤck- zubringen, und wann dieſes Mittel gewiſſe Geſtus ſeyn koͤnnen, ſo muß ſie der Schauſpieler ja nicht zu machen verſaͤumen. Man

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/42>, abgerufen am 29.03.2024.