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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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beiden Händen zugleich die Luft von sich weg-
rudern, heißt ihnen, Aktion haben; und wer
es mit einer gewissen Tanzmeistergrazie zu thun
geübt ist, o! der glaubt, uns bezaubern zu
können.

Ich weiß wohl, daß selbst Hogarth den Schau-
spielern befiehlt, ihre Hand in schönen Schlan-
genlinien bewegen zu lernen; aber nach allen
Seiten, mit allen möglichen Abänderungen,
deren diese Linien, in Ansehung ihres Schwun-
ges, ihrer Größe und Dauer, fähig sind. Und
endlich befiehlt er es ihnen nur zur Uebung, um
sich zum Agiren dadurch geschickt zu machen,
um den Armen die Biegungen des Reitzes ge-
läufig zu machen; nicht aber in der Meinung,
daß das Agiren selbst in weiter nichts, als in der
Beschreibung solcher schönen Linien, immer nach
der nehmlichen Direktion, bestehe.

Weg also mit diesem unbedeutenden Porte-
bras, vornehmlich bey moralischen Stellen weg
mit ihm! Reitz am unrechten Orte, ist Affektation
und Grimasse; und eben derselbe Reitz, zu oft
hinter einander wiederholt, wird kalt und end-
lich eckel. Ich sehe einen Schulknaben sein
Sprüchelchen aufsagen, wenn der Schauspieler
allgemeine Betrachtungen mit der Bewegung,
mit welcher man in der Menuet die Hand giebt,
mir zureicht, oder seine Moral gleichsam vom
Rocken spinnet.

Jede
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beiden Haͤnden zugleich die Luft von ſich weg-
rudern, heißt ihnen, Aktion haben; und wer
es mit einer gewiſſen Tanzmeiſtergrazie zu thun
geuͤbt iſt, o! der glaubt, uns bezaubern zu
koͤnnen.

Ich weiß wohl, daß ſelbſt Hogarth den Schau-
ſpielern befiehlt, ihre Hand in ſchoͤnen Schlan-
genlinien bewegen zu lernen; aber nach allen
Seiten, mit allen moͤglichen Abaͤnderungen,
deren dieſe Linien, in Anſehung ihres Schwun-
ges, ihrer Groͤße und Dauer, faͤhig ſind. Und
endlich befiehlt er es ihnen nur zur Uebung, um
ſich zum Agiren dadurch geſchickt zu machen,
um den Armen die Biegungen des Reitzes ge-
laͤufig zu machen; nicht aber in der Meinung,
daß das Agiren ſelbſt in weiter nichts, als in der
Beſchreibung ſolcher ſchoͤnen Linien, immer nach
der nehmlichen Direktion, beſtehe.

Weg alſo mit dieſem unbedeutenden Porte-
bras, vornehmlich bey moraliſchen Stellen weg
mit ihm! Reitz am unrechten Orte, iſt Affektation
und Grimaſſe; und eben derſelbe Reitz, zu oft
hinter einander wiederholt, wird kalt und end-
lich eckel. Ich ſehe einen Schulknaben ſein
Spruͤchelchen aufſagen, wenn der Schauſpieler
allgemeine Betrachtungen mit der Bewegung,
mit welcher man in der Menuet die Hand giebt,
mir zureicht, oder ſeine Moral gleichſam vom
Rocken ſpinnet.

Jede
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[27/0041] beiden Haͤnden zugleich die Luft von ſich weg- rudern, heißt ihnen, Aktion haben; und wer es mit einer gewiſſen Tanzmeiſtergrazie zu thun geuͤbt iſt, o! der glaubt, uns bezaubern zu koͤnnen. Ich weiß wohl, daß ſelbſt Hogarth den Schau- ſpielern befiehlt, ihre Hand in ſchoͤnen Schlan- genlinien bewegen zu lernen; aber nach allen Seiten, mit allen moͤglichen Abaͤnderungen, deren dieſe Linien, in Anſehung ihres Schwun- ges, ihrer Groͤße und Dauer, faͤhig ſind. Und endlich befiehlt er es ihnen nur zur Uebung, um ſich zum Agiren dadurch geſchickt zu machen, um den Armen die Biegungen des Reitzes ge- laͤufig zu machen; nicht aber in der Meinung, daß das Agiren ſelbſt in weiter nichts, als in der Beſchreibung ſolcher ſchoͤnen Linien, immer nach der nehmlichen Direktion, beſtehe. Weg alſo mit dieſem unbedeutenden Porte- bras, vornehmlich bey moraliſchen Stellen weg mit ihm! Reitz am unrechten Orte, iſt Affektation und Grimaſſe; und eben derſelbe Reitz, zu oft hinter einander wiederholt, wird kalt und end- lich eckel. Ich ſehe einen Schulknaben ſein Spruͤchelchen aufſagen, wenn der Schauſpieler allgemeine Betrachtungen mit der Bewegung, mit welcher man in der Menuet die Hand giebt, mir zureicht, oder ſeine Moral gleichſam vom Rocken ſpinnet. Jede D 2

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/41>, abgerufen am 29.03.2024.