Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

man erkennet ihn in der kleinsten noch immer für
den ersten Akteur, und betauert, auch nicht zu-
gleich alle übrige Rollen von ihm sehen zu kön-
nen. Ein ihm ganz eigenes Talent ist dieses,
daß er Sittensprüche und allgemeine Betrach-
tungen, diese langweiligen Ausbeugungen eines
verlegenen Dichters, mit einem Anstande, mit
einer Innigkeit zu sagen weiß, daß das Trivialste
von dieser Art, in seinem Munde Neuheit und
Würde, das Frostigste Feuer und Leben erhält.

Die eingestreuten Moralen sind Cronegks
beste Seite. Er hat, in seinem Codrus und hier,
so manche in einer so schönen nachdrücklichen
Kürze ausgedrückt, daß viele von seinen Versen
als Sentenzen behalten, und von dem Volke
unter die im gemeinen Leben gangbare Weisheit
aufgenommen zu werden verdienen. Leider sucht
er uns nur auch öfters gefärbtes Glas für Edel-
steine, und witzige Antithesen für gesunden
Verstand einzuschwatzen. Zwey dergleichen Zei-
len, in dem ersten Akte, hatten eine besondere Wir-
kung auf mich. Die eine,

"Der Himmel kann verzeihn, allein ein Priester
nicht."

Die andere,

"Wer schlimm von andern denkt, ist selbst ein
Bösewicht."

Ich ward betroffen, in dem Parterre eine allge-
meine Bewegung, und dasjenige Gemurmel zu

bemer-

man erkennet ihn in der kleinſten noch immer fuͤr
den erſten Akteur, und betauert, auch nicht zu-
gleich alle uͤbrige Rollen von ihm ſehen zu koͤn-
nen. Ein ihm ganz eigenes Talent iſt dieſes,
daß er Sittenſpruͤche und allgemeine Betrach-
tungen, dieſe langweiligen Ausbeugungen eines
verlegenen Dichters, mit einem Anſtande, mit
einer Innigkeit zu ſagen weiß, daß das Trivialſte
von dieſer Art, in ſeinem Munde Neuheit und
Wuͤrde, das Froſtigſte Feuer und Leben erhaͤlt.

Die eingeſtreuten Moralen ſind Cronegks
beſte Seite. Er hat, in ſeinem Codrus und hier,
ſo manche in einer ſo ſchoͤnen nachdruͤcklichen
Kuͤrze ausgedruͤckt, daß viele von ſeinen Verſen
als Sentenzen behalten, und von dem Volke
unter die im gemeinen Leben gangbare Weisheit
aufgenommen zu werden verdienen. Leider ſucht
er uns nur auch oͤfters gefaͤrbtes Glas fuͤr Edel-
ſteine, und witzige Antitheſen fuͤr geſunden
Verſtand einzuſchwatzen. Zwey dergleichen Zei-
len, in dem erſten Akte, hatten eine beſondere Wir-
kung auf mich. Die eine,

〟Der Himmel kann verzeihn, allein ein Prieſter
nicht.〟

Die andere,

〟Wer ſchlimm von andern denkt, iſt ſelbſt ein
Boͤſewicht.〟

Ich ward betroffen, in dem Parterre eine allge-
meine Bewegung, und dasjenige Gemurmel zu

bemer-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028" n="14"/>
man erkennet ihn in der klein&#x017F;ten noch immer fu&#x0364;r<lb/>
den er&#x017F;ten Akteur, und betauert, auch nicht zu-<lb/>
gleich alle u&#x0364;brige Rollen von ihm &#x017F;ehen zu ko&#x0364;n-<lb/>
nen. Ein ihm ganz eigenes Talent i&#x017F;t die&#x017F;es,<lb/>
daß er Sitten&#x017F;pru&#x0364;che und allgemeine Betrach-<lb/>
tungen, die&#x017F;e langweiligen Ausbeugungen eines<lb/>
verlegenen Dichters, mit einem An&#x017F;tande, mit<lb/>
einer Innigkeit zu &#x017F;agen weiß, daß das Trivial&#x017F;te<lb/>
von die&#x017F;er Art, in &#x017F;einem Munde Neuheit und<lb/>
Wu&#x0364;rde, das Fro&#x017F;tig&#x017F;te Feuer und Leben erha&#x0364;lt.</p><lb/>
        <p>Die einge&#x017F;treuten Moralen &#x017F;ind Cronegks<lb/>
be&#x017F;te Seite. Er hat, in &#x017F;einem Codrus und hier,<lb/>
&#x017F;o manche in einer &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;nen nachdru&#x0364;cklichen<lb/>
Ku&#x0364;rze ausgedru&#x0364;ckt, daß viele von &#x017F;einen Ver&#x017F;en<lb/>
als Sentenzen behalten, und von dem Volke<lb/>
unter die im gemeinen Leben gangbare Weisheit<lb/>
aufgenommen zu werden verdienen. Leider &#x017F;ucht<lb/>
er uns nur auch o&#x0364;fters gefa&#x0364;rbtes Glas fu&#x0364;r Edel-<lb/>
&#x017F;teine, und witzige Antithe&#x017F;en fu&#x0364;r ge&#x017F;unden<lb/>
Ver&#x017F;tand einzu&#x017F;chwatzen. Zwey dergleichen Zei-<lb/>
len, in dem er&#x017F;ten Akte, hatten eine be&#x017F;ondere Wir-<lb/>
kung auf mich. Die eine,</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Der Himmel kann verzeihn, allein ein Prie&#x017F;ter<lb/><hi rendition="#et">nicht.&#x301F;</hi></quote>
        </cit><lb/>
        <p>Die andere,</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Wer &#x017F;chlimm von andern denkt, i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t ein<lb/><hi rendition="#et">Bo&#x0364;&#x017F;ewicht.&#x301F;</hi></quote>
        </cit><lb/>
        <p>Ich ward betroffen, in dem Parterre eine allge-<lb/>
meine Bewegung, und dasjenige Gemurmel zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">bemer-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0028] man erkennet ihn in der kleinſten noch immer fuͤr den erſten Akteur, und betauert, auch nicht zu- gleich alle uͤbrige Rollen von ihm ſehen zu koͤn- nen. Ein ihm ganz eigenes Talent iſt dieſes, daß er Sittenſpruͤche und allgemeine Betrach- tungen, dieſe langweiligen Ausbeugungen eines verlegenen Dichters, mit einem Anſtande, mit einer Innigkeit zu ſagen weiß, daß das Trivialſte von dieſer Art, in ſeinem Munde Neuheit und Wuͤrde, das Froſtigſte Feuer und Leben erhaͤlt. Die eingeſtreuten Moralen ſind Cronegks beſte Seite. Er hat, in ſeinem Codrus und hier, ſo manche in einer ſo ſchoͤnen nachdruͤcklichen Kuͤrze ausgedruͤckt, daß viele von ſeinen Verſen als Sentenzen behalten, und von dem Volke unter die im gemeinen Leben gangbare Weisheit aufgenommen zu werden verdienen. Leider ſucht er uns nur auch oͤfters gefaͤrbtes Glas fuͤr Edel- ſteine, und witzige Antitheſen fuͤr geſunden Verſtand einzuſchwatzen. Zwey dergleichen Zei- len, in dem erſten Akte, hatten eine beſondere Wir- kung auf mich. Die eine, 〟Der Himmel kann verzeihn, allein ein Prieſter nicht.〟 Die andere, 〟Wer ſchlimm von andern denkt, iſt ſelbſt ein Boͤſewicht.〟 Ich ward betroffen, in dem Parterre eine allge- meine Bewegung, und dasjenige Gemurmel zu bemer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/28
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/28>, abgerufen am 19.04.2024.