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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Hamburgische
Dramaturgie.


Zweytes Stück.





Noch eine Anmerkung, gleichfalls das christ-
liche Trauerspiel betreffend, würde über
die Bekehrung der Clorinde zu machen
seyn. So überzeugt wir auch immer von den un-
mittelbaren Wirkungen der Gnade seyn mögen, so
wenig können sie uns doch auf dem Theater gefal-
len, wo alles, was zu dem Charakter der Personen
gehöret, aus den natürlichsten Ursachen entsprin-
gen muß. Wunder dulden wir da nur in der
physikalischen Welt; in der moralischen muß
alles seinen ordentlichen Lauf behalten, weil das
Theater die Schule der moralischen Welt seyn
soll. Die Bewegungsgründe zu jedem Ent-
schlusse, zu jeder Aenderung der geringsten Ge-
danken und Meynungen, müssen, nach Maaß-
gebung des einmal angenommenen Charakters,
genau gegen einander abgewogen seyn, und jene
müssen nie mehr hervorbringen, als sie nach der

streng-
B
Hamburgiſche
Dramaturgie.


Zweytes Stuͤck.





Noch eine Anmerkung, gleichfalls das chriſt-
liche Trauerſpiel betreffend, wuͤrde uͤber
die Bekehrung der Clorinde zu machen
ſeyn. So uͤberzeugt wir auch immer von den un-
mittelbaren Wirkungen der Gnade ſeyn moͤgen, ſo
wenig koͤnnen ſie uns doch auf dem Theater gefal-
len, wo alles, was zu dem Charakter der Perſonen
gehoͤret, aus den natuͤrlichſten Urſachen entſprin-
gen muß. Wunder dulden wir da nur in der
phyſikaliſchen Welt; in der moraliſchen muß
alles ſeinen ordentlichen Lauf behalten, weil das
Theater die Schule der moraliſchen Welt ſeyn
ſoll. Die Bewegungsgruͤnde zu jedem Ent-
ſchluſſe, zu jeder Aenderung der geringſten Ge-
danken und Meynungen, muͤſſen, nach Maaß-
gebung des einmal angenommenen Charakters,
genau gegen einander abgewogen ſeyn, und jene
muͤſſen nie mehr hervorbringen, als ſie nach der

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[[9]/0023] Hamburgiſche Dramaturgie. Zweytes Stuͤck. Den 5ten May, 1767. Noch eine Anmerkung, gleichfalls das chriſt- liche Trauerſpiel betreffend, wuͤrde uͤber die Bekehrung der Clorinde zu machen ſeyn. So uͤberzeugt wir auch immer von den un- mittelbaren Wirkungen der Gnade ſeyn moͤgen, ſo wenig koͤnnen ſie uns doch auf dem Theater gefal- len, wo alles, was zu dem Charakter der Perſonen gehoͤret, aus den natuͤrlichſten Urſachen entſprin- gen muß. Wunder dulden wir da nur in der phyſikaliſchen Welt; in der moraliſchen muß alles ſeinen ordentlichen Lauf behalten, weil das Theater die Schule der moraliſchen Welt ſeyn ſoll. Die Bewegungsgruͤnde zu jedem Ent- ſchluſſe, zu jeder Aenderung der geringſten Ge- danken und Meynungen, muͤſſen, nach Maaß- gebung des einmal angenommenen Charakters, genau gegen einander abgewogen ſeyn, und jene muͤſſen nie mehr hervorbringen, als ſie nach der ſtreng- B

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [9]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/23>, abgerufen am 28.03.2024.