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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Besonders darf es der Schauspieler verlan-
gen, daß man hierinn die größte Strenge und
Unpartheylichkeit beobachte. Die Rechtferti-
gung des Dichters kann jederzeit angetreten
werden; sein Werk bleibt da, und kann uns
immer wieder vor die Augen gelegt werden.
Aber die Kunst des Schauspielers ist in ihren
Werken transitorisch. Sein Gutes und Schlim-
mes rauschet gleich schnell vorbey; und nicht
selten ist die heutige Laune des Zuschauers mehr
Ursache, als er selbst, warum das eine oder
das andere einen lebhaftern Eindruck auf jenen
gemacht hat.

Eine schöne Figur, eine bezaubernde Mine,
ein sprechendes Auge, ein reitzender Tritt, ein
lieblicher Ton, eine melodische Stimme: sind
Dinge, die sich nicht wohl mit Worten aus-
drücken lassen. Doch sind es auch weder die
einzigen noch größten Vollkommenheiten des
Schauspielers. Schätzbare Gaben der Natur,
zu seinem Berufe sehr nöthig, aber noch lange
nicht seinen Beruf erfüllend! Er muß überall
mit dem Dichter denken; er muß da, wo dem

Dich-

Beſonders darf es der Schauſpieler verlan-
gen, daß man hierinn die groͤßte Strenge und
Unpartheylichkeit beobachte. Die Rechtferti-
gung des Dichters kann jederzeit angetreten
werden; ſein Werk bleibt da, und kann uns
immer wieder vor die Augen gelegt werden.
Aber die Kunſt des Schauſpielers iſt in ihren
Werken tranſitoriſch. Sein Gutes und Schlim-
mes rauſchet gleich ſchnell vorbey; und nicht
ſelten iſt die heutige Laune des Zuſchauers mehr
Urſache, als er ſelbſt, warum das eine oder
das andere einen lebhaftern Eindruck auf jenen
gemacht hat.

Eine ſchoͤne Figur, eine bezaubernde Mine,
ein ſprechendes Auge, ein reitzender Tritt, ein
lieblicher Ton, eine melodiſche Stimme: ſind
Dinge, die ſich nicht wohl mit Worten aus-
druͤcken laſſen. Doch ſind es auch weder die
einzigen noch groͤßten Vollkommenheiten des
Schauſpielers. Schaͤtzbare Gaben der Natur,
zu ſeinem Berufe ſehr noͤthig, aber noch lange
nicht ſeinen Beruf erfuͤllend! Er muß uͤberall
mit dem Dichter denken; er muß da, wo dem

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[0013] Beſonders darf es der Schauſpieler verlan- gen, daß man hierinn die groͤßte Strenge und Unpartheylichkeit beobachte. Die Rechtferti- gung des Dichters kann jederzeit angetreten werden; ſein Werk bleibt da, und kann uns immer wieder vor die Augen gelegt werden. Aber die Kunſt des Schauſpielers iſt in ihren Werken tranſitoriſch. Sein Gutes und Schlim- mes rauſchet gleich ſchnell vorbey; und nicht ſelten iſt die heutige Laune des Zuſchauers mehr Urſache, als er ſelbſt, warum das eine oder das andere einen lebhaftern Eindruck auf jenen gemacht hat. Eine ſchoͤne Figur, eine bezaubernde Mine, ein ſprechendes Auge, ein reitzender Tritt, ein lieblicher Ton, eine melodiſche Stimme: ſind Dinge, die ſich nicht wohl mit Worten aus- druͤcken laſſen. Doch ſind es auch weder die einzigen noch groͤßten Vollkommenheiten des Schauſpielers. Schaͤtzbare Gaben der Natur, zu ſeinem Berufe ſehr noͤthig, aber noch lange nicht ſeinen Beruf erfuͤllend! Er muß uͤberall mit dem Dichter denken; er muß da, wo dem Dich-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/13>, abgerufen am 29.03.2024.