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Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

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Einleitung.
wir uns jede solche Lauterscheinung als in einem engen Kreise entstanden und
von da sich verbreitend denken sollen, so kann der Anfangskreis doch nur inner-
halb der Vorfahren der Südslaven oder etwa der Cechen gesucht werden, da
ra, la hier der sonst beobachteten Entwicklung entspricht, während es den Er-
scheinungen auf dem übrigen Gebiete widerspricht. Mir scheint es nun äusserst
unwahrscheinlich, ja so gut wie unmöglich, dass z. B. im Russischen von zwei
Worten aus einer in der Sprache noch gebräuchlichen Wurzel (in or-ati pflügen)
das eine, rolja, seine von der zu erwartenden Gestalt abweichende Form durch
Einfluss von westslavischer, das andre, ralo, seine abweichende durch solchen von
südslavischer Seite her gewonnen habe, wie ich mir überhaupt von Berührungen
und Verkehrsverhältnissen der Stämme, die ein solches Herüber und Hinüber zur
Folge haben, keine Vorstellung machen kann. Wollte man endlich etwa Worte
wie ralo ausser Zusammenhang mit den allgemeinen Regeln für die Behandlung
von ar setzen, so bleibt die Gestalt derselben als ralo z. B. im Russischen ein
Zufall, d. h. ist für uns nicht erklärlich und auch nicht zu weiteren Schlüssen
verwendbar.

An die Verbindung al im Anlaut knüpft sich eine weitere Schwierigkeit:
neben ladija (ladiji), Nachen, und lanija (laniji), Hindin, sind uns im Altbulgari-
schen überliefert auch aldija, alnija (geschrieben auch aludija, alunija, wie
Schmidt S. 175 richtig bemerkt, nur eine Consequenz der altbulgarischen Ortho-
graphie, die sonst keine Verbindungen von ld, ln kennt), ferner neben lakati
(hungern) auch alkati (alukati), dies auch russisch. Nach Schmidts Vorstellung
von der allgemein gültigen Svarabhakti wäre die Entwicklung diese:

* alkati
* alkati
* alakati
alkati lakati,

das alkati eine der allgemein slavischen wie auch südslavischen Entwicklung
widersprechende Erscheinung, um so wunderbarer, als Regel und Ausnahme
neben einander bestehen. Unter Schmidts Beispielen der Stellung al befindet
sich auch eines des Inlauts balutina, das mit blatina (von blato Sumpf, See)
gleichgesetzt wird. Es stammt aus dem Sestodnev des Exarchen Johannes von
Bulgarien, die Handschrift ist serbischer Redaction vom Jahre 1263, und das
Wort wird Gorskij und Nevostrujev, Opisanie II, 1, 23 citirt als bal'tiny mit der
Erklärung "vpadiny, kuda stekaetu, voda" von da ist es in Miklosichs Wörter-
buch übergegangen und hat nur dies eine Citat. Schmidt erklärt die auffallende
Erscheinung S. 175 so: "Vielleicht bestand im Südslavischen, ehe sich die Regel
herausbildete, vermöge deren die aus dem ursprünglichen Vocale und der Svara-
bhakti zusammengeflossene Länge stets hinter die Liquida rückte, auch die Mög-
lichkeit die Vocale wie im Polabischen vor der Liquida zu concentriren. Viel-
leicht waren diese Nebenformen gerade im bulgarischen Dialekte heimisch, da
das Nebeneinander von alkati und lakati u. s. w. völlig analog dem S. 13 er-
wähnten von vulk und vluk, Bulgarin und Blugarin in der heutigen Sprache ist....
Diese Annahme wird durch die Gestalt einiger ins Rumenische gedrungenen

Einleitung.
wir uns jede solche Lauterscheinung als in einem engen Kreise entstanden und
von da sich verbreitend denken sollen, so kann der Anfangskreis doch nur inner-
halb der Vorfahren der Südslaven oder etwa der Čechen gesucht werden, da
rā, lā hier der sonst beobachteten Entwicklung entspricht, während es den Er-
scheinungen auf dem übrigen Gebiete widerspricht. Mir scheint es nun äusserst
unwahrscheinlich, ja so gut wie unmöglich, dass z. B. im Russischen von zwei
Worten aus einer in der Sprache noch gebräuchlichen Wurzel (in or-ati pflügen)
das eine, rolja, seine von der zu erwartenden Gestalt abweichende Form durch
Einfluss von westslavischer, das andre, ralo, seine abweichende durch solchen von
südslavischer Seite her gewonnen habe, wie ich mir überhaupt von Berührungen
und Verkehrsverhältnissen der Stämme, die ein solches Herüber und Hinüber zur
Folge haben, keine Vorstellung machen kann. Wollte man endlich etwa Worte
wie rālo ausser Zusammenhang mit den allgemeinen Regeln für die Behandlung
von ar setzen, so bleibt die Gestalt derselben als rālo z. B. im Russischen ein
Zufall, d. h. ist für uns nicht erklärlich und auch nicht zu weiteren Schlüssen
verwendbar.

An die Verbindung al im Anlaut knüpft sich eine weitere Schwierigkeit:
neben ladija (ladiji), Nachen, und lanija (laniji), Hindin, sind uns im Altbulgari-
schen überliefert auch aldija, alnija (geschrieben auch alŭdija, alŭnija, wie
Schmidt S. 175 richtig bemerkt, nur eine Consequenz der altbulgarischen Ortho-
graphie, die sonst keine Verbindungen von ld, ln kennt), ferner neben lakati
(hungern) auch alkati (alŭkati), dies auch russisch. Nach Schmidts Vorstellung
von der allgemein gültigen Svarabhakti wäre die Entwicklung diese:

* alkati
* ålkati
* ålåkati
ālkati lākati,

das ālkati eine der allgemein slavischen wie auch südslavischen Entwicklung
widersprechende Erscheinung, um so wunderbarer, als Regel und Ausnahme
neben einander bestehen. Unter Schmidts Beispielen der Stellung al befindet
sich auch eines des Inlauts balŭtina, das mit blatina (von blato Sumpf, See)
gleichgesetzt wird. Es stammt aus dem Šestodnev des Exarchen Johannes von
Bulgarien, die Handschrift ist serbischer Redaction vom Jahre 1263, und das
Wort wird Gorskij und Nevostrujev, Opisanie II, 1, 23 citirt als bal’tiny mit der
Erklärung «vpadiny, kuda stekaetŭ, voda» von da ist es in Miklosichs Wörter-
buch übergegangen und hat nur dies eine Citat. Schmidt erklärt die auffallende
Erscheinung S. 175 so: «Vielleicht bestand im Südslavischen, ehe sich die Regel
herausbildete, vermöge deren die aus dem ursprünglichen Vocale und der Svara-
bhakti zusammengeflossene Länge stets hinter die Liquida rückte, auch die Mög-
lichkeit die Vocale wie im Polabischen vor der Liquida zu concentriren. Viel-
leicht waren diese Nebenformen gerade im bulgarischen Dialekte heimisch, da
das Nebeneinander von alkati und lakati u. s. w. völlig analog dem S. 13 er-
wähnten von vŭlk und vlŭk, Bŭlgarin und Blŭgarin in der heutigen Sprache ist....
Diese Annahme wird durch die Gestalt einiger ins Rumenische gedrungenen

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Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. XX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/26>, abgerufen am 25.04.2024.