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Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.

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Biron. Das sind die edlen Früchte
des Studirens, derweil ihr zu wissen stre-
bet was ihr wollt, vergeßt ihr drüber was
ihr sollt.
König. Hier zwingt uns die Noth, ei-
ne Ausnahme zu machen.
Biron. So wird uns die Noth alle
zwingen, dreytausend Ausnahmen in drey
Jahren zu machen. Jeder Mensch wird mit
seinen Trieben geboren, die durch nichts an-
ders als die Gnade bemeistert werden kön-
nen. Werd ich also meineidig, so hoff ich,
dies Wort Ew. Majestät wird mir zu Gut
kommen, ich habs aus Noth gethan. So
will ich denn auch meinen Namen unter-
schreiben, aber im weitläuftigern Sinn, die
andern Herren thatens im engern. Doch
hoff ich, ich werde der letzte seyn, der sei-
nen Eid zu befingern anfangen wird, um
ihn nach und nach gar zu brechen. Aber
haben wir denn nicht die mindesten Erho-
lungen bey unserer Kopffrohn?
König. Jhr wisset, an unserm Hofe
hält sich der scharfsinnige reisende Spanier
auf, ein Mann, der mit den Sitten der
ganzen Welt gestempelt ist und ein ganzes
Münzkabinet von neuen Worten in seinem
Hirnkasten trägt. Dessen Zunge von lauter
Harmonien erthönt, ein Mann von oben
herab, immer entscheidend, den Recht und
Un-
Anm. üb. Theat. E


Biron. Das ſind die edlen Fruͤchte
des Studirens, derweil ihr zu wiſſen ſtre-
bet was ihr wollt, vergeßt ihr druͤber was
ihr ſollt.
Koͤnig. Hier zwingt uns die Noth, ei-
ne Ausnahme zu machen.
Biron. So wird uns die Noth alle
zwingen, dreytauſend Ausnahmen in drey
Jahren zu machen. Jeder Menſch wird mit
ſeinen Trieben geboren, die durch nichts an-
ders als die Gnade bemeiſtert werden koͤn-
nen. Werd ich alſo meineidig, ſo hoff ich,
dies Wort Ew. Majeſtaͤt wird mir zu Gut
kommen, ich habs aus Noth gethan. So
will ich denn auch meinen Namen unter-
ſchreiben, aber im weitlaͤuftigern Sinn, die
andern Herren thatens im engern. Doch
hoff ich, ich werde der letzte ſeyn, der ſei-
nen Eid zu befingern anfangen wird, um
ihn nach und nach gar zu brechen. Aber
haben wir denn nicht die mindeſten Erho-
lungen bey unſerer Kopffrohn?
Koͤnig. Jhr wiſſet, an unſerm Hofe
haͤlt ſich der ſcharfſinnige reiſende Spanier
auf, ein Mann, der mit den Sitten der
ganzen Welt geſtempelt iſt und ein ganzes
Muͤnzkabinet von neuen Worten in ſeinem
Hirnkaſten traͤgt. Deſſen Zunge von lauter
Harmonien erthoͤnt, ein Mann von oben
herab, immer entſcheidend, den Recht und
Un-
Anm. uͤb. Theat. E
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[65/0071] Biron. Das ſind die edlen Fruͤchte des Studirens, derweil ihr zu wiſſen ſtre- bet was ihr wollt, vergeßt ihr druͤber was ihr ſollt. Koͤnig. Hier zwingt uns die Noth, ei- ne Ausnahme zu machen. Biron. So wird uns die Noth alle zwingen, dreytauſend Ausnahmen in drey Jahren zu machen. Jeder Menſch wird mit ſeinen Trieben geboren, die durch nichts an- ders als die Gnade bemeiſtert werden koͤn- nen. Werd ich alſo meineidig, ſo hoff ich, dies Wort Ew. Majeſtaͤt wird mir zu Gut kommen, ich habs aus Noth gethan. So will ich denn auch meinen Namen unter- ſchreiben, aber im weitlaͤuftigern Sinn, die andern Herren thatens im engern. Doch hoff ich, ich werde der letzte ſeyn, der ſei- nen Eid zu befingern anfangen wird, um ihn nach und nach gar zu brechen. Aber haben wir denn nicht die mindeſten Erho- lungen bey unſerer Kopffrohn? Koͤnig. Jhr wiſſet, an unſerm Hofe haͤlt ſich der ſcharfſinnige reiſende Spanier auf, ein Mann, der mit den Sitten der ganzen Welt geſtempelt iſt und ein ganzes Muͤnzkabinet von neuen Worten in ſeinem Hirnkaſten traͤgt. Deſſen Zunge von lauter Harmonien erthoͤnt, ein Mann von oben herab, immer entſcheidend, den Recht und Un- Anm. uͤb. Theat. E

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Zitationshilfe: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/71>, abgerufen am 28.03.2024.