Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite


Longaville. Jch bin entschlossen. Es
ist nur ein dreyjähriges Festin, das wir un-
serm Geiste geben, derweile das Fleisch lei-
det. Fette Wännste haben magere Köpfe,
und Leckerbissen bereichern die Ribben, aber
machen den Verstand bankerut.
Dümain. Theurester Souverain! Dü-
main ist den Vergnügungen der Welt längst
abgestorben, Liebe, Pracht, Ueberfluß sind
mir leere Wörter, nur beym Namen der
Weltweisheit leb ich auf.
Biron. Das ist viel gesagt. Jch habe
geschworen, mein Fürst, hier zu bleiben, drey
Jahr zu studiren. Aber was die andern stren-
gen Regeln betrift, in der ganzen Zeit kein
Weibsbild anzusehen, ich hoffe doch, daß das
nicht auf dem Zettel stehen wird, und denn,
einen Tag in der Woche zu fasten, und jeden
Tag nur eine Mahlzeit zu thun, ich hoffe doch,
das seltsame Zeug wird nicht schwarz auf
weiß da stehn und drey Stunden die Nacht
nur zu schlafen, da ich doch gewohnt bin, mei-
ne liebe lange Nacht an nichts arges zu den-
ken und oft den halben Tag mit dazu zu neh-
men. Jch hoffe doch, all das närrische Zeug
wird nicht mit auf dem Zettel stehn. Das
wäre ja Festungsarbeit, der Henker hielte
das aus, nicht zu essen, nicht zu schlafen,
kein Mädchen zu sehn.
König. Jhr habt geschworen.
Biron.


Longaville. Jch bin entſchloſſen. Es
iſt nur ein dreyjaͤhriges Feſtin, das wir un-
ſerm Geiſte geben, derweile das Fleiſch lei-
det. Fette Waͤnnſte haben magere Koͤpfe,
und Leckerbiſſen bereichern die Ribben, aber
machen den Verſtand bankerut.
Duͤmain. Theureſter Souverain! Duͤ-
main iſt den Vergnuͤgungen der Welt laͤngſt
abgeſtorben, Liebe, Pracht, Ueberfluß ſind
mir leere Woͤrter, nur beym Namen der
Weltweisheit leb ich auf.
Biron. Das iſt viel geſagt. Jch habe
geſchworen, mein Fuͤrſt, hier zu bleiben, drey
Jahr zu ſtudiren. Aber was die andern ſtren-
gen Regeln betrift, in der ganzen Zeit kein
Weibsbild anzuſehen, ich hoffe doch, daß das
nicht auf dem Zettel ſtehen wird, und denn,
einen Tag in der Woche zu faſten, und jeden
Tag nur eine Mahlzeit zu thun, ich hoffe doch,
das ſeltſame Zeug wird nicht ſchwarz auf
weiß da ſtehn und drey Stunden die Nacht
nur zu ſchlafen, da ich doch gewohnt bin, mei-
ne liebe lange Nacht an nichts arges zu den-
ken und oft den halben Tag mit dazu zu neh-
men. Jch hoffe doch, all das naͤrriſche Zeug
wird nicht mit auf dem Zettel ſtehn. Das
waͤre ja Feſtungsarbeit, der Henker hielte
das aus, nicht zu eſſen, nicht zu ſchlafen,
kein Maͤdchen zu ſehn.
Koͤnig. Jhr habt geſchworen.
Biron.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0066" n="60"/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <sp>
              <speaker><hi rendition="#g">Longaville</hi>.</speaker>
              <p>Jch bin ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Es<lb/>
i&#x017F;t nur ein dreyja&#x0364;hriges Fe&#x017F;tin, das wir un-<lb/>
&#x017F;erm Gei&#x017F;te geben, derweile das Flei&#x017F;ch lei-<lb/>
det. Fette Wa&#x0364;nn&#x017F;te haben magere Ko&#x0364;pfe,<lb/>
und Leckerbi&#x017F;&#x017F;en bereichern die Ribben, aber<lb/>
machen den Ver&#x017F;tand bankerut.</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker><hi rendition="#g">Du&#x0364;main</hi>.</speaker>
              <p>Theure&#x017F;ter Souverain! Du&#x0364;-<lb/>
main i&#x017F;t den Vergnu&#x0364;gungen der Welt la&#x0364;ng&#x017F;t<lb/>
abge&#x017F;torben, Liebe, Pracht, Ueberfluß &#x017F;ind<lb/>
mir leere Wo&#x0364;rter, nur beym Namen der<lb/>
Weltweisheit leb ich auf.</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker><hi rendition="#g">Biron</hi>.</speaker>
              <p>Das i&#x017F;t viel ge&#x017F;agt. Jch habe<lb/>
ge&#x017F;chworen, mein Fu&#x0364;r&#x017F;t, hier zu bleiben, drey<lb/>
Jahr zu &#x017F;tudiren. Aber was die andern &#x017F;tren-<lb/>
gen Regeln betrift, in der ganzen Zeit kein<lb/>
Weibsbild anzu&#x017F;ehen, ich hoffe doch, daß das<lb/>
nicht auf dem Zettel &#x017F;tehen wird, und denn,<lb/>
einen Tag in der Woche zu fa&#x017F;ten, und jeden<lb/>
Tag nur eine Mahlzeit zu thun, ich hoffe doch,<lb/>
das &#x017F;elt&#x017F;ame Zeug wird nicht &#x017F;chwarz auf<lb/>
weiß da &#x017F;tehn und drey Stunden die Nacht<lb/>
nur zu &#x017F;chlafen, da ich doch gewohnt bin, mei-<lb/>
ne liebe lange Nacht an nichts arges zu den-<lb/>
ken und oft den halben Tag mit dazu zu neh-<lb/>
men. Jch hoffe doch, all das na&#x0364;rri&#x017F;che Zeug<lb/>
wird nicht mit auf dem Zettel &#x017F;tehn. Das<lb/>
wa&#x0364;re ja Fe&#x017F;tungsarbeit, der Henker hielte<lb/>
das aus, nicht zu e&#x017F;&#x017F;en, nicht zu &#x017F;chlafen,<lb/>
kein Ma&#x0364;dchen zu &#x017F;ehn.</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker><hi rendition="#g">Ko&#x0364;nig</hi>.</speaker>
              <p>Jhr habt ge&#x017F;chworen.</p>
            </sp><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#g">Biron</hi>.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0066] Longaville. Jch bin entſchloſſen. Es iſt nur ein dreyjaͤhriges Feſtin, das wir un- ſerm Geiſte geben, derweile das Fleiſch lei- det. Fette Waͤnnſte haben magere Koͤpfe, und Leckerbiſſen bereichern die Ribben, aber machen den Verſtand bankerut. Duͤmain. Theureſter Souverain! Duͤ- main iſt den Vergnuͤgungen der Welt laͤngſt abgeſtorben, Liebe, Pracht, Ueberfluß ſind mir leere Woͤrter, nur beym Namen der Weltweisheit leb ich auf. Biron. Das iſt viel geſagt. Jch habe geſchworen, mein Fuͤrſt, hier zu bleiben, drey Jahr zu ſtudiren. Aber was die andern ſtren- gen Regeln betrift, in der ganzen Zeit kein Weibsbild anzuſehen, ich hoffe doch, daß das nicht auf dem Zettel ſtehen wird, und denn, einen Tag in der Woche zu faſten, und jeden Tag nur eine Mahlzeit zu thun, ich hoffe doch, das ſeltſame Zeug wird nicht ſchwarz auf weiß da ſtehn und drey Stunden die Nacht nur zu ſchlafen, da ich doch gewohnt bin, mei- ne liebe lange Nacht an nichts arges zu den- ken und oft den halben Tag mit dazu zu neh- men. Jch hoffe doch, all das naͤrriſche Zeug wird nicht mit auf dem Zettel ſtehn. Das waͤre ja Feſtungsarbeit, der Henker hielte das aus, nicht zu eſſen, nicht zu ſchlafen, kein Maͤdchen zu ſehn. Koͤnig. Jhr habt geſchworen. Biron.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/66
Zitationshilfe: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/66>, abgerufen am 29.03.2024.