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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Boston.
Selbständigkeit, Streben nach höherer geistiger Bildung, durch Fleiss
und Beharrlichkeit, wie nicht minder durch Unternehmungsgeist und
ernste humanitäre Gesinnung ausgezeichnet ist.

Solche in der Majorität eines grossen Volkes wirkende Eigen-
schaften müssen den Rahmen seiner Entwicklung immer mehr aus-
weiten, und so gewaltig ist der Triumphzug der letzteren, dass es
gegenwärtig keines Menschen geistigem Blicke noch vergönnt ist, die
endlichen Ziele, welchen die neue Gesellschaft mit ihrem socialistischen
Drängen, ihrer Frauenemancipation zustrebt, auch nur zu ahnen.

Die weiteste Ausbildung und Verwerthung der Geistesgaben und
der Arbeitskraft ist aber der Angelpunkt aller Bestrebungen in der
Union. Jede Beschränkung in dieser Hinsicht hätte den Gang der
Dinge unnachsichtlich in kleinliche Verhältnisse zurückgedrängt und
die Bevölkerung unfähig gemacht, den reichen Segen, mit dem die
Natur die unermesslichen Strecken des Reiches überhäufte, einstmals
in vollwerthige, geistige und materielle Wohlfahrt umzusetzen.

Allerdings steht heutzutage die Bewältigung der Natur und die
Ausbeutung der Bodenschätze noch im Vordergrund der Volksthätig-
keit, wodurch der Kampf ums Dasein zu grosser Schärfe zugespitzt
wurde, aber gleichwie diese Richtung zu den staunenswerthen
Leistungen der Union auf den Gebieten der Production und Technik
geführt hat, ebenso lässt sich zuversichtlich erwarten, dass auch die
höhere Geistesthätigkeit, die in den mächtig angewachsenen Gross-
städten der Union lebhaft zu Tage tritt, für Kunst und Wissenschaft
immer breitere Grundlagen schaffen und in nicht ferner Zeit den
gleichen Bestrebungen der alten Welt ebenbürtig zur Seite stehen wird.

Angesichts der enormen Ausbreitung von Boston, dessen Gebiet
heute eine Fläche von 9564 Hektaren oder zwei geographischen Qua-
dratmeilen einnimmt, vermag der Beschauer nur schwer mit der That-
sache sich abzufinden, dass hier, wie allwärts in den gottgesegneten
Ländereien der Union, vor 260 Jahren tiefer Urwald, in dem der
barbarische Ruf des Indianers mit dem Gebrülle des Raubthieres
sich mengte, den Boden bedeckte. Welche vereinigte Kraft und
Ausdauer musste aufgeboten werden, um in so kurzer Zeit aus dem
Nichts einen der gewaltigsten Brennpunkte des Weltverkehres und
einen geistigen Vorposten der Union zu schaffen!

Der Massenzuwachs der Entwicklung fällt jedoch erst in die
Zeit der Eisenbahnen, also in die Periode des Dampfes.

Versenken wir uns nun in die Vergangenheit, um eine Vor-
stellung des interessanten Werdeprocesses von Boston zu gewinnen


Boston.
Selbständigkeit, Streben nach höherer geistiger Bildung, durch Fleiss
und Beharrlichkeit, wie nicht minder durch Unternehmungsgeist und
ernste humanitäre Gesinnung ausgezeichnet ist.

Solche in der Majorität eines grossen Volkes wirkende Eigen-
schaften müssen den Rahmen seiner Entwicklung immer mehr aus-
weiten, und so gewaltig ist der Triumphzug der letzteren, dass es
gegenwärtig keines Menschen geistigem Blicke noch vergönnt ist, die
endlichen Ziele, welchen die neue Gesellschaft mit ihrem socialistischen
Drängen, ihrer Frauenemancipation zustrebt, auch nur zu ahnen.

Die weiteste Ausbildung und Verwerthung der Geistesgaben und
der Arbeitskraft ist aber der Angelpunkt aller Bestrebungen in der
Union. Jede Beschränkung in dieser Hinsicht hätte den Gang der
Dinge unnachsichtlich in kleinliche Verhältnisse zurückgedrängt und
die Bevölkerung unfähig gemacht, den reichen Segen, mit dem die
Natur die unermesslichen Strecken des Reiches überhäufte, einstmals
in vollwerthige, geistige und materielle Wohlfahrt umzusetzen.

Allerdings steht heutzutage die Bewältigung der Natur und die
Ausbeutung der Bodenschätze noch im Vordergrund der Volksthätig-
keit, wodurch der Kampf ums Dasein zu grosser Schärfe zugespitzt
wurde, aber gleichwie diese Richtung zu den staunenswerthen
Leistungen der Union auf den Gebieten der Production und Technik
geführt hat, ebenso lässt sich zuversichtlich erwarten, dass auch die
höhere Geistesthätigkeit, die in den mächtig angewachsenen Gross-
städten der Union lebhaft zu Tage tritt, für Kunst und Wissenschaft
immer breitere Grundlagen schaffen und in nicht ferner Zeit den
gleichen Bestrebungen der alten Welt ebenbürtig zur Seite stehen wird.

Angesichts der enormen Ausbreitung von Boston, dessen Gebiet
heute eine Fläche von 9564 Hektaren oder zwei geographischen Qua-
dratmeilen einnimmt, vermag der Beschauer nur schwer mit der That-
sache sich abzufinden, dass hier, wie allwärts in den gottgesegneten
Ländereien der Union, vor 260 Jahren tiefer Urwald, in dem der
barbarische Ruf des Indianers mit dem Gebrülle des Raubthieres
sich mengte, den Boden bedeckte. Welche vereinigte Kraft und
Ausdauer musste aufgeboten werden, um in so kurzer Zeit aus dem
Nichts einen der gewaltigsten Brennpunkte des Weltverkehres und
einen geistigen Vorposten der Union zu schaffen!

Der Massenzuwachs der Entwicklung fällt jedoch erst in die
Zeit der Eisenbahnen, also in die Periode des Dampfes.

Versenken wir uns nun in die Vergangenheit, um eine Vor-
stellung des interessanten Werdeprocesses von Boston zu gewinnen


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[29/0045] Boston. Selbständigkeit, Streben nach höherer geistiger Bildung, durch Fleiss und Beharrlichkeit, wie nicht minder durch Unternehmungsgeist und ernste humanitäre Gesinnung ausgezeichnet ist. Solche in der Majorität eines grossen Volkes wirkende Eigen- schaften müssen den Rahmen seiner Entwicklung immer mehr aus- weiten, und so gewaltig ist der Triumphzug der letzteren, dass es gegenwärtig keines Menschen geistigem Blicke noch vergönnt ist, die endlichen Ziele, welchen die neue Gesellschaft mit ihrem socialistischen Drängen, ihrer Frauenemancipation zustrebt, auch nur zu ahnen. Die weiteste Ausbildung und Verwerthung der Geistesgaben und der Arbeitskraft ist aber der Angelpunkt aller Bestrebungen in der Union. Jede Beschränkung in dieser Hinsicht hätte den Gang der Dinge unnachsichtlich in kleinliche Verhältnisse zurückgedrängt und die Bevölkerung unfähig gemacht, den reichen Segen, mit dem die Natur die unermesslichen Strecken des Reiches überhäufte, einstmals in vollwerthige, geistige und materielle Wohlfahrt umzusetzen. Allerdings steht heutzutage die Bewältigung der Natur und die Ausbeutung der Bodenschätze noch im Vordergrund der Volksthätig- keit, wodurch der Kampf ums Dasein zu grosser Schärfe zugespitzt wurde, aber gleichwie diese Richtung zu den staunenswerthen Leistungen der Union auf den Gebieten der Production und Technik geführt hat, ebenso lässt sich zuversichtlich erwarten, dass auch die höhere Geistesthätigkeit, die in den mächtig angewachsenen Gross- städten der Union lebhaft zu Tage tritt, für Kunst und Wissenschaft immer breitere Grundlagen schaffen und in nicht ferner Zeit den gleichen Bestrebungen der alten Welt ebenbürtig zur Seite stehen wird. Angesichts der enormen Ausbreitung von Boston, dessen Gebiet heute eine Fläche von 9564 Hektaren oder zwei geographischen Qua- dratmeilen einnimmt, vermag der Beschauer nur schwer mit der That- sache sich abzufinden, dass hier, wie allwärts in den gottgesegneten Ländereien der Union, vor 260 Jahren tiefer Urwald, in dem der barbarische Ruf des Indianers mit dem Gebrülle des Raubthieres sich mengte, den Boden bedeckte. Welche vereinigte Kraft und Ausdauer musste aufgeboten werden, um in so kurzer Zeit aus dem Nichts einen der gewaltigsten Brennpunkte des Weltverkehres und einen geistigen Vorposten der Union zu schaffen! Der Massenzuwachs der Entwicklung fällt jedoch erst in die Zeit der Eisenbahnen, also in die Periode des Dampfes. Versenken wir uns nun in die Vergangenheit, um eine Vor- stellung des interessanten Werdeprocesses von Boston zu gewinnen

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/45>, abgerufen am 23.04.2024.