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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.
an der Europa zugewandten atlantischen Küste. Plätzen, wie Montreal,
Boston, New-York, Baltimore, New-Orleans, Vera Cruz, Havanna, Para,
Rio de Janeiro, Montevideo, Buenos Ayres hat die weltentlegene,
vom Innern durch Riesengebirge abgeschiedene Westküste des Erd-
theiles nur wenig Aehnliches an die Seite zu stellen.

Die Suprematie ist der Ostküste wohl für ewige Zeiten gewahrt
durch die eben angedeutete natürliche Configuration und Bewässerung
des Continents, durch die Nähe Europas, welches man von einzelnen
atlantischen Häfen heute schon in sechs Tagen erreichen kann, und end-
lich durch die ausgezeichnete Küstenentwicklung selbst, welche ihren
Glanzpunkt in der ebenso schönen als für den Welthandel günstig
gelegenen westindischen See erreicht. Hier liegt auch jene berühmte
Stelle bei Panama, wo sich die bis 7000 m hohe und an vielen Stellen
mehrere Tausend Kilometer breite Cordillerenkette bis 100 m senkt und
auf 40 km Breite zusammenschnürt. Hier dürfte wohl noch in unserem
Jahrhundert der schon von Cortez geplante Canal beide Weltmeere
verbinden. Dieser Canal wird aber in erster Linie für die Interessen
des atlantischen Oceans und speciell für die Ostküste Amerikas
arbeiten, welchen er die Häfen am Pacific commerciell viel mehr nähern
wird, als dieses die Pacificbahnen vermögen.

Aber nicht nur das inselreiche Westindien, die ganze krause atlan-
tische Küste Amerikas besitzt hunderte von Buchten, Baien und Fluss-
mündungen, welche ganz dazu berufen wären, statt der Urwälder grosse
Handelsstätten in den Fluten zu spiegeln.

Welcher grossartigen und namentlich raschen Entwicklung aber
das menschenleere Amerika, das ja erst in unserem Jahrhunderte
selbständig in den internationalen Wettbewerb eingetreten ist, fähig
ist, zeigt nicht nur der beispiellose Aufschwung Nordamerikas zum
zweiten Handelsstaate der Erde, sondern ebenso die neueste Entwick-
lung Argentinas.

Beide Beispiele lehren mit der ganzen Rücksichtslosigkeit histo-
rischer Wahrheiten, dass alle Entwicklung in Amerika von der Ein-
wanderung, und zwar der Einwanderung einer tüchtigen, Ackerbau
treibenden Bevölkerung abhängt.

Alle Herrlichkeiten, welche die Spanier auf dem Schwerte auf-
gebaut hatten, ihre einst weltberühmten Minen, ihr Plantagenbau, ihre
Handelsmonopole und Regalien sind halb oder ganz zerfallen; auf
dem reichsten Boden der Erde wohnen ihre Nachkommen vielfach als
Bettler in elenden Adobehütten, während die armen germanischen
Feldbauern die riesige Union aufbauten und in derselben einen Volks-

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Die atlantische Küste von Amerika.
an der Europa zugewandten atlantischen Küste. Plätzen, wie Montreal,
Boston, New-York, Baltimore, New-Orleans, Vera Cruz, Havanna, Para,
Rio de Janeiro, Montevideo, Buenos Ayres hat die weltentlegene,
vom Innern durch Riesengebirge abgeschiedene Westküste des Erd-
theiles nur wenig Aehnliches an die Seite zu stellen.

Die Suprematie ist der Ostküste wohl für ewige Zeiten gewahrt
durch die eben angedeutete natürliche Configuration und Bewässerung
des Continents, durch die Nähe Europas, welches man von einzelnen
atlantischen Häfen heute schon in sechs Tagen erreichen kann, und end-
lich durch die ausgezeichnete Küstenentwicklung selbst, welche ihren
Glanzpunkt in der ebenso schönen als für den Welthandel günstig
gelegenen westindischen See erreicht. Hier liegt auch jene berühmte
Stelle bei Panama, wo sich die bis 7000 m hohe und an vielen Stellen
mehrere Tausend Kilometer breite Cordillerenkette bis 100 m senkt und
auf 40 km Breite zusammenschnürt. Hier dürfte wohl noch in unserem
Jahrhundert der schon von Cortez geplante Canal beide Weltmeere
verbinden. Dieser Canal wird aber in erster Linie für die Interessen
des atlantischen Oceans und speciell für die Ostküste Amerikas
arbeiten, welchen er die Häfen am Pacific commerciell viel mehr nähern
wird, als dieses die Pacificbahnen vermögen.

Aber nicht nur das inselreiche Westindien, die ganze krause atlan-
tische Küste Amerikas besitzt hunderte von Buchten, Baien und Fluss-
mündungen, welche ganz dazu berufen wären, statt der Urwälder grosse
Handelsstätten in den Fluten zu spiegeln.

Welcher grossartigen und namentlich raschen Entwicklung aber
das menschenleere Amerika, das ja erst in unserem Jahrhunderte
selbständig in den internationalen Wettbewerb eingetreten ist, fähig
ist, zeigt nicht nur der beispiellose Aufschwung Nordamerikas zum
zweiten Handelsstaate der Erde, sondern ebenso die neueste Entwick-
lung Argentinas.

Beide Beispiele lehren mit der ganzen Rücksichtslosigkeit histo-
rischer Wahrheiten, dass alle Entwicklung in Amerika von der Ein-
wanderung, und zwar der Einwanderung einer tüchtigen, Ackerbau
treibenden Bevölkerung abhängt.

Alle Herrlichkeiten, welche die Spanier auf dem Schwerte auf-
gebaut hatten, ihre einst weltberühmten Minen, ihr Plantagenbau, ihre
Handelsmonopole und Regalien sind halb oder ganz zerfallen; auf
dem reichsten Boden der Erde wohnen ihre Nachkommen vielfach als
Bettler in elenden Adobehütten, während die armen germanischen
Feldbauern die riesige Union aufbauten und in derselben einen Volks-

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[3/0019] Die atlantische Küste von Amerika. an der Europa zugewandten atlantischen Küste. Plätzen, wie Montreal, Boston, New-York, Baltimore, New-Orleans, Vera Cruz, Havanna, Para, Rio de Janeiro, Montevideo, Buenos Ayres hat die weltentlegene, vom Innern durch Riesengebirge abgeschiedene Westküste des Erd- theiles nur wenig Aehnliches an die Seite zu stellen. Die Suprematie ist der Ostküste wohl für ewige Zeiten gewahrt durch die eben angedeutete natürliche Configuration und Bewässerung des Continents, durch die Nähe Europas, welches man von einzelnen atlantischen Häfen heute schon in sechs Tagen erreichen kann, und end- lich durch die ausgezeichnete Küstenentwicklung selbst, welche ihren Glanzpunkt in der ebenso schönen als für den Welthandel günstig gelegenen westindischen See erreicht. Hier liegt auch jene berühmte Stelle bei Panama, wo sich die bis 7000 m hohe und an vielen Stellen mehrere Tausend Kilometer breite Cordillerenkette bis 100 m senkt und auf 40 km Breite zusammenschnürt. Hier dürfte wohl noch in unserem Jahrhundert der schon von Cortez geplante Canal beide Weltmeere verbinden. Dieser Canal wird aber in erster Linie für die Interessen des atlantischen Oceans und speciell für die Ostküste Amerikas arbeiten, welchen er die Häfen am Pacific commerciell viel mehr nähern wird, als dieses die Pacificbahnen vermögen. Aber nicht nur das inselreiche Westindien, die ganze krause atlan- tische Küste Amerikas besitzt hunderte von Buchten, Baien und Fluss- mündungen, welche ganz dazu berufen wären, statt der Urwälder grosse Handelsstätten in den Fluten zu spiegeln. Welcher grossartigen und namentlich raschen Entwicklung aber das menschenleere Amerika, das ja erst in unserem Jahrhunderte selbständig in den internationalen Wettbewerb eingetreten ist, fähig ist, zeigt nicht nur der beispiellose Aufschwung Nordamerikas zum zweiten Handelsstaate der Erde, sondern ebenso die neueste Entwick- lung Argentinas. Beide Beispiele lehren mit der ganzen Rücksichtslosigkeit histo- rischer Wahrheiten, dass alle Entwicklung in Amerika von der Ein- wanderung, und zwar der Einwanderung einer tüchtigen, Ackerbau treibenden Bevölkerung abhängt. Alle Herrlichkeiten, welche die Spanier auf dem Schwerte auf- gebaut hatten, ihre einst weltberühmten Minen, ihr Plantagenbau, ihre Handelsmonopole und Regalien sind halb oder ganz zerfallen; auf dem reichsten Boden der Erde wohnen ihre Nachkommen vielfach als Bettler in elenden Adobehütten, während die armen germanischen Feldbauern die riesige Union aufbauten und in derselben einen Volks- 1*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/19>, abgerufen am 28.03.2024.