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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.

Wenn aber auch die europäischen Einwanderer in dem einen Er-
folge, der siegreichen Zurückdrängung und allmäligen Vernichtung der
autochthonen Bewohner, einander glichen, so gab sich doch in der
weiteren Entwicklung, im Ausbaue der neuen Ansiedlungen der tief-
greifende Unterschied zwischen germanischer und romanischer Ab-
stammung deutlich kund, deutlicher selbst als in dem alten Europa,
wo doch gemeinsame äussere Cultur und vielfache Berührung stets
wenigstens oberflächlich eine gewisse Uebereinstimmung, ein Alle gleich-
mässig umfassendes Europäerthum erscheinen liess. Der kräftig aus-
gebildete Charakter der Einwanderer, vielfach auch die Entfernung
der einzelnen Ansiedlungen von einander liessen Vermischungen und
Uebergänge in der neuen Heimat nicht zu, und so blieb die Eigenart
der Stämme grösstentheils bis heute gewahrt.

Stets zeigte sich ein Unterschied zwischen dem germanischen
und romanischen Amerika. Ersteres griff schon im XVII. Jahrhundert,
wenn auch sehr bescheiden, in den europäischen Handel ein; letzteres
war seit den Tagen der Besitzergreifung durch die Spanier und Por-
tugiesen für die übrige Welt vollkommen abgeschlossen; der ameri-
kanische Handel war ein Monopel von Lissabon und Sevilla. Keine
fremde Flagge durfte spanisch-amerikanische Häfen aufsuchen, kein
Ausländer spanisch-amerikanischen Boden betreten; ja, damit Alexander
v. Humboldt noch zu Anfang unseres Jahrhunderts seine berühmte
wissenschaftliche Reise machen konnte, bedurfte es eines eigenhändigen
Handschreibens des Königs von Preussen an den König von Spanien,
der allein diesen unerhörten Ausnahmsfall bewilligen konnte. Unter
solchen Umständen ist es gewiss erklärlich, dass Humboldt "der
wissenschaftliche Entdecker" Amerikas wurde. Er wies unter anderem
zuerst auf den ganz eigenthümlichen Aufbau des schlanken Continents
hin, dessen Rückgrat das längste Gebirge der Erde, die 14.000 km
langen Cordilleren vom Feuerlande bis zu den ewigen Eisbergen Nord-
west-Canadas, so steil aus dem stillen Ocean aufsteigt, dass auf der
ganzen Länge des Continentes diesem Meere kein einziger grösserer
schiffbarer Strom zueilt. Die Ostabhänge der riesigen Andes dagegen
sammeln die Feuchtigkeitsmassen, welche namentlich die Passate
herbeischleppen und werden so die Quellengebiete der amerikanischen
Riesenströme. Die Stromgebiete des Lorenz, Mississippi, Orinoco, Ama-
zonas und La Plata umfassen vier Fünftel der Oberfläche von ganz Amerika
und weisen selbst die Hochthäler der Cordilleren commerciell auf den
atlantischen Ocean hin. Auf Grund dieser natürlichen Voraussetzung
entwickelten sich alle grossen Emporien des amerikanischen Handels

Die atlantische Küste von Amerika.

Wenn aber auch die europäischen Einwanderer in dem einen Er-
folge, der siegreichen Zurückdrängung und allmäligen Vernichtung der
autochthonen Bewohner, einander glichen, so gab sich doch in der
weiteren Entwicklung, im Ausbaue der neuen Ansiedlungen der tief-
greifende Unterschied zwischen germanischer und romanischer Ab-
stammung deutlich kund, deutlicher selbst als in dem alten Europa,
wo doch gemeinsame äussere Cultur und vielfache Berührung stets
wenigstens oberflächlich eine gewisse Uebereinstimmung, ein Alle gleich-
mässig umfassendes Europäerthum erscheinen liess. Der kräftig aus-
gebildete Charakter der Einwanderer, vielfach auch die Entfernung
der einzelnen Ansiedlungen von einander liessen Vermischungen und
Uebergänge in der neuen Heimat nicht zu, und so blieb die Eigenart
der Stämme grösstentheils bis heute gewahrt.

Stets zeigte sich ein Unterschied zwischen dem germanischen
und romanischen Amerika. Ersteres griff schon im XVII. Jahrhundert,
wenn auch sehr bescheiden, in den europäischen Handel ein; letzteres
war seit den Tagen der Besitzergreifung durch die Spanier und Por-
tugiesen für die übrige Welt vollkommen abgeschlossen; der ameri-
kanische Handel war ein Monopel von Lissabon und Sevilla. Keine
fremde Flagge durfte spanisch-amerikanische Häfen aufsuchen, kein
Ausländer spanisch-amerikanischen Boden betreten; ja, damit Alexander
v. Humboldt noch zu Anfang unseres Jahrhunderts seine berühmte
wissenschaftliche Reise machen konnte, bedurfte es eines eigenhändigen
Handschreibens des Königs von Preussen an den König von Spanien,
der allein diesen unerhörten Ausnahmsfall bewilligen konnte. Unter
solchen Umständen ist es gewiss erklärlich, dass Humboldt „der
wissenschaftliche Entdecker“ Amerikas wurde. Er wies unter anderem
zuerst auf den ganz eigenthümlichen Aufbau des schlanken Continents
hin, dessen Rückgrat das längste Gebirge der Erde, die 14.000 km
langen Cordilleren vom Feuerlande bis zu den ewigen Eisbergen Nord-
west-Canadas, so steil aus dem stillen Ocean aufsteigt, dass auf der
ganzen Länge des Continentes diesem Meere kein einziger grösserer
schiffbarer Strom zueilt. Die Ostabhänge der riesigen Andes dagegen
sammeln die Feuchtigkeitsmassen, welche namentlich die Passate
herbeischleppen und werden so die Quellengebiete der amerikanischen
Riesenströme. Die Stromgebiete des Lorenz, Mississippi, Orinoco, Ama-
zonas und La Plata umfassen vier Fünftel der Oberfläche von ganz Amerika
und weisen selbst die Hochthäler der Cordilleren commerciell auf den
atlantischen Ocean hin. Auf Grund dieser natürlichen Voraussetzung
entwickelten sich alle grossen Emporien des amerikanischen Handels

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[2/0018] Die atlantische Küste von Amerika. Wenn aber auch die europäischen Einwanderer in dem einen Er- folge, der siegreichen Zurückdrängung und allmäligen Vernichtung der autochthonen Bewohner, einander glichen, so gab sich doch in der weiteren Entwicklung, im Ausbaue der neuen Ansiedlungen der tief- greifende Unterschied zwischen germanischer und romanischer Ab- stammung deutlich kund, deutlicher selbst als in dem alten Europa, wo doch gemeinsame äussere Cultur und vielfache Berührung stets wenigstens oberflächlich eine gewisse Uebereinstimmung, ein Alle gleich- mässig umfassendes Europäerthum erscheinen liess. Der kräftig aus- gebildete Charakter der Einwanderer, vielfach auch die Entfernung der einzelnen Ansiedlungen von einander liessen Vermischungen und Uebergänge in der neuen Heimat nicht zu, und so blieb die Eigenart der Stämme grösstentheils bis heute gewahrt. Stets zeigte sich ein Unterschied zwischen dem germanischen und romanischen Amerika. Ersteres griff schon im XVII. Jahrhundert, wenn auch sehr bescheiden, in den europäischen Handel ein; letzteres war seit den Tagen der Besitzergreifung durch die Spanier und Por- tugiesen für die übrige Welt vollkommen abgeschlossen; der ameri- kanische Handel war ein Monopel von Lissabon und Sevilla. Keine fremde Flagge durfte spanisch-amerikanische Häfen aufsuchen, kein Ausländer spanisch-amerikanischen Boden betreten; ja, damit Alexander v. Humboldt noch zu Anfang unseres Jahrhunderts seine berühmte wissenschaftliche Reise machen konnte, bedurfte es eines eigenhändigen Handschreibens des Königs von Preussen an den König von Spanien, der allein diesen unerhörten Ausnahmsfall bewilligen konnte. Unter solchen Umständen ist es gewiss erklärlich, dass Humboldt „der wissenschaftliche Entdecker“ Amerikas wurde. Er wies unter anderem zuerst auf den ganz eigenthümlichen Aufbau des schlanken Continents hin, dessen Rückgrat das längste Gebirge der Erde, die 14.000 km langen Cordilleren vom Feuerlande bis zu den ewigen Eisbergen Nord- west-Canadas, so steil aus dem stillen Ocean aufsteigt, dass auf der ganzen Länge des Continentes diesem Meere kein einziger grösserer schiffbarer Strom zueilt. Die Ostabhänge der riesigen Andes dagegen sammeln die Feuchtigkeitsmassen, welche namentlich die Passate herbeischleppen und werden so die Quellengebiete der amerikanischen Riesenströme. Die Stromgebiete des Lorenz, Mississippi, Orinoco, Ama- zonas und La Plata umfassen vier Fünftel der Oberfläche von ganz Amerika und weisen selbst die Hochthäler der Cordilleren commerciell auf den atlantischen Ocean hin. Auf Grund dieser natürlichen Voraussetzung entwickelten sich alle grossen Emporien des amerikanischen Handels

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/18>, abgerufen am 28.03.2024.