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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.


Nicht aus dem nebelhaften Reiche der Sagen und Märchen,
sondern mit der nüchternsten Klarheit tritt die atlantische Küste
Amerikas in die Geschichte ein. Fünfzig Jahre nach der Fahrt
des grossen Columbus hatten die Conquistadores und Piloten des
XVI. Jahrhunderts die Umrisse der neuen Welt in den Grundzügen
festgestellt, und die Riesenreiche, die sie entdeckten, waren um diese
Zeit bereits vertheilt. Den Romanen fiel der Löwenantheil zu; die Ger-
manen, von den Tropen sowie den reichen Minen ausgeschlossen, grün-
deten im kalten Norden ihre kleinen, auf dem Pfluge und dem Principe
der religiösen Duldung aufgebauten Colonien am atlantischen Ocean.

Das unerbittliche Recht des Stärkeren vollzog die furchtbare
Enterbung der Urbewohner eines ganzen Welttheiles.

Für die eingebornen Stämme war der Kampf ums Dasein mit dem
Sturze der Culturreiche der Montezuma und Inka für ewige Zeiten
verloren, und so viel Blut seit Jahrhunderten für das legitimste Interesse,
die Selbsterhaltung, auch geflossen ist, es war vergebens geopfert.

In zahllose Stämme gesondert, ohne gemeinsame Sprache und
Religion und der geistigen Impulse einer idealen und praktischen
Weltanschauung entbehrend, mussten diese Völkerschaften im un-
gleichen Kampfe gegen eine übermächtige Cultur unterliegen. Ihr
Schicksal lautet: Untergang oder Verschmelzung mit dem Sieger.
Von den ursprünglichen Wohnsitzen vertrieben und decimirt, haben
deren auch viele der Enterbten heute selbst die Eigenthümlichkeit ihres
Stammes grossentheils aufgegeben, andere dagegen eilen im fortge-
setzten Kampfe der gänzlichen Vernichtung entgegen.


Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 1

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Die atlantische Küste von Amerika.


Nicht aus dem nebelhaften Reiche der Sagen und Märchen,
sondern mit der nüchternsten Klarheit tritt die atlantische Küste
Amerikas in die Geschichte ein. Fünfzig Jahre nach der Fahrt
des grossen Columbus hatten die Conquistadores und Piloten des
XVI. Jahrhunderts die Umrisse der neuen Welt in den Grundzügen
festgestellt, und die Riesenreiche, die sie entdeckten, waren um diese
Zeit bereits vertheilt. Den Romanen fiel der Löwenantheil zu; die Ger-
manen, von den Tropen sowie den reichen Minen ausgeschlossen, grün-
deten im kalten Norden ihre kleinen, auf dem Pfluge und dem Principe
der religiösen Duldung aufgebauten Colonien am atlantischen Ocean.

Das unerbittliche Recht des Stärkeren vollzog die furchtbare
Enterbung der Urbewohner eines ganzen Welttheiles.

Für die eingebornen Stämme war der Kampf ums Dasein mit dem
Sturze der Culturreiche der Montezuma und Inka für ewige Zeiten
verloren, und so viel Blut seit Jahrhunderten für das legitimste Interesse,
die Selbsterhaltung, auch geflossen ist, es war vergebens geopfert.

In zahllose Stämme gesondert, ohne gemeinsame Sprache und
Religion und der geistigen Impulse einer idealen und praktischen
Weltanschauung entbehrend, mussten diese Völkerschaften im un-
gleichen Kampfe gegen eine übermächtige Cultur unterliegen. Ihr
Schicksal lautet: Untergang oder Verschmelzung mit dem Sieger.
Von den ursprünglichen Wohnsitzen vertrieben und decimirt, haben
deren auch viele der Enterbten heute selbst die Eigenthümlichkeit ihres
Stammes grossentheils aufgegeben, andere dagegen eilen im fortge-
setzten Kampfe der gänzlichen Vernichtung entgegen.


Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 1
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[[1]/0017] [Abbildung] Die atlantische Küste von Amerika. Nicht aus dem nebelhaften Reiche der Sagen und Märchen, sondern mit der nüchternsten Klarheit tritt die atlantische Küste Amerikas in die Geschichte ein. Fünfzig Jahre nach der Fahrt des grossen Columbus hatten die Conquistadores und Piloten des XVI. Jahrhunderts die Umrisse der neuen Welt in den Grundzügen festgestellt, und die Riesenreiche, die sie entdeckten, waren um diese Zeit bereits vertheilt. Den Romanen fiel der Löwenantheil zu; die Ger- manen, von den Tropen sowie den reichen Minen ausgeschlossen, grün- deten im kalten Norden ihre kleinen, auf dem Pfluge und dem Principe der religiösen Duldung aufgebauten Colonien am atlantischen Ocean. Das unerbittliche Recht des Stärkeren vollzog die furchtbare Enterbung der Urbewohner eines ganzen Welttheiles. Für die eingebornen Stämme war der Kampf ums Dasein mit dem Sturze der Culturreiche der Montezuma und Inka für ewige Zeiten verloren, und so viel Blut seit Jahrhunderten für das legitimste Interesse, die Selbsterhaltung, auch geflossen ist, es war vergebens geopfert. In zahllose Stämme gesondert, ohne gemeinsame Sprache und Religion und der geistigen Impulse einer idealen und praktischen Weltanschauung entbehrend, mussten diese Völkerschaften im un- gleichen Kampfe gegen eine übermächtige Cultur unterliegen. Ihr Schicksal lautet: Untergang oder Verschmelzung mit dem Sieger. Von den ursprünglichen Wohnsitzen vertrieben und decimirt, haben deren auch viele der Enterbten heute selbst die Eigenthümlichkeit ihres Stammes grossentheils aufgegeben, andere dagegen eilen im fortge- setzten Kampfe der gänzlichen Vernichtung entgegen. Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 1

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/17>, abgerufen am 20.04.2024.