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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
den Blick in die ahnungsvollen Fernen des von funkelnden Sternen
beschienenen Meeres senkte, wird Triest im Fluge liebgewonnen haben.

Betrachten wir nun Triest als Handelsplatz, so stehen wir in
einem der grössten mitteleuropäischen Häfen (circa 150.000
Einwohner), dessen Entwicklung namentlich durch die geographische
Lage bestimmt ist und durch das Mass, in welchem diese wieder
durch entsprechende Communicationsmittel ausgenützt wurde und wird.
Der Golf, an dem die Stadt liegt, bildet den am meisten nach Norden
vorgeschobenen Winkel des adriatischen Meeres; er ist zugleich der End-
punkt jener wichtigen, von der Natur gegebenen Verkehrslinie, welche die
fruchtbaren Tiefländer an der Oder und Weichsel auf dem kürzesten Wege
mit dem Mittelländischen Meere verbindet. Diese Strasse führt längs der
March an die Donau, überschreitet die Alpen in dem niedrigen Passe
des Semmering, und, den meist breiten Thälern der Flüsse folgend, ge-
langt man bis in die Nähe des Meeres, wo dann kurz vor dem Ziele die
wasserarmen Hochflächen des Karstes den unmittelbaren Abstieg nach
Triest verhindern und uns zwingen, sie zu umgehen. Aus dieser be-
sonderen Lage von Triest, das eine bequeme Verbindung mit dem
Hinterlande in der nächsten Umgebung nicht besitzt, erklärt sich der
Verlauf der Geschichte seines Handels und dessen Eigenart. Triest ist
nicht einer jener Hafenplätze, welche selbstthätig die im Innern ge-
legenen Gebiete erschliessen, es musste vielmehr einem Dornröschen
gleich von dem mächtigen Beherrscher des Hinterlandes aus seinem
Traumleben erweckt worden.

Als Karl VI. daran ging, Triest zu einem Handelsemporium seiner
deutschen Erblande zu machen, wohnte hier eine begabte, lebhafte
Bevölkerung, welche einen dem venetianischen nahe verwandten Dialekt
sprach, die aber bis dahin wenig Gelegenheit gehabt hatte, sich
am Handel zu bethätigen. Diese war nicht genügend geschult für
die weitaussehenden Pläne des Herrschers, dem als Handelsgebiet
für sein Triest die Levante zu klein schien. Er suchte die Griechen,
das erste Handelsvolk des östlichen Theiles des Mittelmeeres, her-
einzuziehen, und das damals streng katholische Oesterreich, welches
die Protestanten seiner Alpenländer nach Ungarn und Siebenbürgen
schickte, gestattete in Triest den orientalischen Griechen das Recht
der freien Uebung der Religion lange vor dem Toleranzpatente Josef II.
Man rief auch Belgier, Holländer, Deutsche aus dem Reiche herbei;
aber unter all den verschiedenartigen Elementen erlangten im Laufe
der Zeit die Italiener das Uebergewicht, denen sich die aus der Ferne
Gekommenen zum Theile sprachlich assimilirten.


Das Mittelmeerbecken.
den Blick in die ahnungsvollen Fernen des von funkelnden Sternen
beschienenen Meeres senkte, wird Triest im Fluge liebgewonnen haben.

Betrachten wir nun Triest als Handelsplatz, so stehen wir in
einem der grössten mitteleuropäischen Häfen (circa 150.000
Einwohner), dessen Entwicklung namentlich durch die geographische
Lage bestimmt ist und durch das Mass, in welchem diese wieder
durch entsprechende Communicationsmittel ausgenützt wurde und wird.
Der Golf, an dem die Stadt liegt, bildet den am meisten nach Norden
vorgeschobenen Winkel des adriatischen Meeres; er ist zugleich der End-
punkt jener wichtigen, von der Natur gegebenen Verkehrslinie, welche die
fruchtbaren Tiefländer an der Oder und Weichsel auf dem kürzesten Wege
mit dem Mittelländischen Meere verbindet. Diese Strasse führt längs der
March an die Donau, überschreitet die Alpen in dem niedrigen Passe
des Semmering, und, den meist breiten Thälern der Flüsse folgend, ge-
langt man bis in die Nähe des Meeres, wo dann kurz vor dem Ziele die
wasserarmen Hochflächen des Karstes den unmittelbaren Abstieg nach
Triest verhindern und uns zwingen, sie zu umgehen. Aus dieser be-
sonderen Lage von Triest, das eine bequeme Verbindung mit dem
Hinterlande in der nächsten Umgebung nicht besitzt, erklärt sich der
Verlauf der Geschichte seines Handels und dessen Eigenart. Triest ist
nicht einer jener Hafenplätze, welche selbstthätig die im Innern ge-
legenen Gebiete erschliessen, es musste vielmehr einem Dornröschen
gleich von dem mächtigen Beherrscher des Hinterlandes aus seinem
Traumleben erweckt worden.

Als Karl VI. daran ging, Triest zu einem Handelsemporium seiner
deutschen Erblande zu machen, wohnte hier eine begabte, lebhafte
Bevölkerung, welche einen dem venetianischen nahe verwandten Dialekt
sprach, die aber bis dahin wenig Gelegenheit gehabt hatte, sich
am Handel zu bethätigen. Diese war nicht genügend geschult für
die weitaussehenden Pläne des Herrschers, dem als Handelsgebiet
für sein Triest die Levante zu klein schien. Er suchte die Griechen,
das erste Handelsvolk des östlichen Theiles des Mittelmeeres, her-
einzuziehen, und das damals streng katholische Oesterreich, welches
die Protestanten seiner Alpenländer nach Ungarn und Siebenbürgen
schickte, gestattete in Triest den orientalischen Griechen das Recht
der freien Uebung der Religion lange vor dem Toleranzpatente Josef II.
Man rief auch Belgier, Holländer, Deutsche aus dem Reiche herbei;
aber unter all den verschiedenartigen Elementen erlangten im Laufe
der Zeit die Italiener das Uebergewicht, denen sich die aus der Ferne
Gekommenen zum Theile sprachlich assimilirten.


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[12/0032] Das Mittelmeerbecken. den Blick in die ahnungsvollen Fernen des von funkelnden Sternen beschienenen Meeres senkte, wird Triest im Fluge liebgewonnen haben. Betrachten wir nun Triest als Handelsplatz, so stehen wir in einem der grössten mitteleuropäischen Häfen (circa 150.000 Einwohner), dessen Entwicklung namentlich durch die geographische Lage bestimmt ist und durch das Mass, in welchem diese wieder durch entsprechende Communicationsmittel ausgenützt wurde und wird. Der Golf, an dem die Stadt liegt, bildet den am meisten nach Norden vorgeschobenen Winkel des adriatischen Meeres; er ist zugleich der End- punkt jener wichtigen, von der Natur gegebenen Verkehrslinie, welche die fruchtbaren Tiefländer an der Oder und Weichsel auf dem kürzesten Wege mit dem Mittelländischen Meere verbindet. Diese Strasse führt längs der March an die Donau, überschreitet die Alpen in dem niedrigen Passe des Semmering, und, den meist breiten Thälern der Flüsse folgend, ge- langt man bis in die Nähe des Meeres, wo dann kurz vor dem Ziele die wasserarmen Hochflächen des Karstes den unmittelbaren Abstieg nach Triest verhindern und uns zwingen, sie zu umgehen. Aus dieser be- sonderen Lage von Triest, das eine bequeme Verbindung mit dem Hinterlande in der nächsten Umgebung nicht besitzt, erklärt sich der Verlauf der Geschichte seines Handels und dessen Eigenart. Triest ist nicht einer jener Hafenplätze, welche selbstthätig die im Innern ge- legenen Gebiete erschliessen, es musste vielmehr einem Dornröschen gleich von dem mächtigen Beherrscher des Hinterlandes aus seinem Traumleben erweckt worden. Als Karl VI. daran ging, Triest zu einem Handelsemporium seiner deutschen Erblande zu machen, wohnte hier eine begabte, lebhafte Bevölkerung, welche einen dem venetianischen nahe verwandten Dialekt sprach, die aber bis dahin wenig Gelegenheit gehabt hatte, sich am Handel zu bethätigen. Diese war nicht genügend geschult für die weitaussehenden Pläne des Herrschers, dem als Handelsgebiet für sein Triest die Levante zu klein schien. Er suchte die Griechen, das erste Handelsvolk des östlichen Theiles des Mittelmeeres, her- einzuziehen, und das damals streng katholische Oesterreich, welches die Protestanten seiner Alpenländer nach Ungarn und Siebenbürgen schickte, gestattete in Triest den orientalischen Griechen das Recht der freien Uebung der Religion lange vor dem Toleranzpatente Josef II. Man rief auch Belgier, Holländer, Deutsche aus dem Reiche herbei; aber unter all den verschiedenartigen Elementen erlangten im Laufe der Zeit die Italiener das Uebergewicht, denen sich die aus der Ferne Gekommenen zum Theile sprachlich assimilirten.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/32>, abgerufen am 18.04.2024.