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Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918.

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künstlerischen Vereins sind, oder solchen Frauen,
deren Gatte während des Krieges gefallen oder in-
folge von Ueberanstrengung oder an seinen Wunden
gestorben ist, falls sie aus dieser Ehe ein Kind haben.
Böhmen, welches im österreichischen Staatenver-
bande eine Sonderstellung einnimmt, hat trotz gün-
stiger Wahlgesetzgebung für die Frauen -- eine
böhmische Frau wurde dort selbst zum Landtag ge-
wählt, aber die Bestätigung ihres Mandats wurde
ihr vom Statthalter Fürsten Thun bis jetzt ver-
sagt -- die größten Schwierigkeiten für die Durch-
setzung bereits bestehender Rechte. Jedoch werden
die Frauen von den extrem national-tschechischen
Elementen außerordentlich unterstützt. Im übrigen
Oesterreich verfügen die Frauen in einigen Landes-
teilen über ein beschränktes aktives Parlaments- und
zum Teil auch kommunales Wahlrecht. Daß trotz-
dem die Entwicklung der Bewegung nur so lang-
same Fortschritte macht, findet seine Erklärung darin,
daß im Widerspruch zu den vorhandenen Rechten es
den Frauen bisher versagt war, politischen Vereinen
anzugehören.

Damit sind wir in unseren Betrachtungen bei
dem gegenwärtigen Stand der Stimmrechtsfrage in
Deutschland angelangt. Abgesehen von den schon
erwähnten romanischen Ländern, den Balkan-
staaten
und Oesterreich, ist Deutschland der-
jenige europäische Staat, dessen Regierung weder
eine Geneigtheit zur Gewährung des parlamentari-
schen Wahlrechts, noch des Gemeindewahlrechts ge-
zeigt hat. Immerhin erklärt ein Vertreter des Mini-
steriums des Innern in Preußen, daß die bei der Be-
tätigung der Frauen gewonnenen Erfahrungen zu
einer Aenderung der Verwaltungspraxis und nach
dem Kriege, im Falle einer Abänderung der ge-
meindlichen Verfassungsgesetze, vielleicht auch zu

künstlerischen Vereins sind, oder solchen Frauen,
deren Gatte während des Krieges gefallen oder in-
folge von Ueberanstrengung oder an seinen Wunden
gestorben ist, falls sie aus dieser Ehe ein Kind haben.
Böhmen, welches im österreichischen Staatenver-
bande eine Sonderstellung einnimmt, hat trotz gün-
stiger Wahlgesetzgebung für die Frauen — eine
böhmische Frau wurde dort selbst zum Landtag ge-
wählt, aber die Bestätigung ihres Mandats wurde
ihr vom Statthalter Fürsten Thun bis jetzt ver-
sagt — die größten Schwierigkeiten für die Durch-
setzung bereits bestehender Rechte. Jedoch werden
die Frauen von den extrem national-tschechischen
Elementen außerordentlich unterstützt. Im übrigen
Oesterreich verfügen die Frauen in einigen Landes-
teilen über ein beschränktes aktives Parlaments- und
zum Teil auch kommunales Wahlrecht. Daß trotz-
dem die Entwicklung der Bewegung nur so lang-
same Fortschritte macht, findet seine Erklärung darin,
daß im Widerspruch zu den vorhandenen Rechten es
den Frauen bisher versagt war, politischen Vereinen
anzugehören.

Damit sind wir in unseren Betrachtungen bei
dem gegenwärtigen Stand der Stimmrechtsfrage in
Deutschland angelangt. Abgesehen von den schon
erwähnten romanischen Ländern, den Balkan-
staaten
und Oesterreich, ist Deutschland der-
jenige europäische Staat, dessen Regierung weder
eine Geneigtheit zur Gewährung des parlamentari-
schen Wahlrechts, noch des Gemeindewahlrechts ge-
zeigt hat. Immerhin erklärt ein Vertreter des Mini-
steriums des Innern in Preußen, daß die bei der Be-
tätigung der Frauen gewonnenen Erfahrungen zu
einer Aenderung der Verwaltungspraxis und nach
dem Kriege, im Falle einer Abänderung der ge-
meindlichen Verfassungsgesetze, vielleicht auch zu

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[36/0036] künstlerischen Vereins sind, oder solchen Frauen, deren Gatte während des Krieges gefallen oder in- folge von Ueberanstrengung oder an seinen Wunden gestorben ist, falls sie aus dieser Ehe ein Kind haben. Böhmen, welches im österreichischen Staatenver- bande eine Sonderstellung einnimmt, hat trotz gün- stiger Wahlgesetzgebung für die Frauen — eine böhmische Frau wurde dort selbst zum Landtag ge- wählt, aber die Bestätigung ihres Mandats wurde ihr vom Statthalter Fürsten Thun bis jetzt ver- sagt — die größten Schwierigkeiten für die Durch- setzung bereits bestehender Rechte. Jedoch werden die Frauen von den extrem national-tschechischen Elementen außerordentlich unterstützt. Im übrigen Oesterreich verfügen die Frauen in einigen Landes- teilen über ein beschränktes aktives Parlaments- und zum Teil auch kommunales Wahlrecht. Daß trotz- dem die Entwicklung der Bewegung nur so lang- same Fortschritte macht, findet seine Erklärung darin, daß im Widerspruch zu den vorhandenen Rechten es den Frauen bisher versagt war, politischen Vereinen anzugehören. Damit sind wir in unseren Betrachtungen bei dem gegenwärtigen Stand der Stimmrechtsfrage in Deutschland angelangt. Abgesehen von den schon erwähnten romanischen Ländern, den Balkan- staaten und Oesterreich, ist Deutschland der- jenige europäische Staat, dessen Regierung weder eine Geneigtheit zur Gewährung des parlamentari- schen Wahlrechts, noch des Gemeindewahlrechts ge- zeigt hat. Immerhin erklärt ein Vertreter des Mini- steriums des Innern in Preußen, daß die bei der Be- tätigung der Frauen gewonnenen Erfahrungen zu einer Aenderung der Verwaltungspraxis und nach dem Kriege, im Falle einer Abänderung der ge- meindlichen Verfassungsgesetze, vielleicht auch zu  

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Zitationshilfe: Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledermann_frauenstimmrechtsbewegung_1918/36>, abgerufen am 24.04.2024.