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Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918.

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bedürftige Ausländerinnen, besonders für deutsche und
österreichische Frauen in aufopfernder Fürsorge ge-
wetteifert. Wenn wir die Suffragetten verurteilen, so
müssen wir andererseits anerkennen, daß es den Eng-
länderinnen an Organisationsfähigkeit und Opferwillig-
keit für ihre Sache nicht gefehlt hat. Angesichts der
Unentbehrlichkeit der Frauen für ihre Kriegswirt-
schaft und der Abhängigkeit von der Arbeitswillig-
keit dieser Frauen hat die englische Regierung das
Frauenwahlrecht mit Beschränkungen zunächst für
Frauen über 30 Jahre vorgesehen. Diese Maßnahme
soll vorläufig das Ueberwiegen der weiblichen Wäh-
lerschaft verhindern. Diese Vorlage ist kürzlich vom
Haus der Lords definitiv angenommen worden, und
die englischen Frauen werden bereits an den nächsten
Wahlen teilnehmen können. Sie verwalten schon jetzt
wichtige Aemter in militärischen Organisationen wäh-
rend des Krieges. Die außerordentliche Bewährung
einer Frau in der Gefangenenfürsorge veranlaßte ihre
Entsendung als Delegierte zu den Haager Verhand-
lungen mit Deutschland über den Gefangenenaus-
tausch. Holland, dessen konstitutionelle Regierung
einer Königin höchste Autorität in seinem Staats-
wesen zuerkennt, zögert noch immer, seinen Frauen
uneingeschränkte Rechte zuzubilligen. Dort wird sich
voraussichtlich nach der Verfassungsreform zunächst
die eigentümliche Lage ergeben, daß die Frauen
das passive parlamentarische Wahlrecht vor dem ak-
tiven erhalten. Die meist zerstreut wohnende und
hauptsächlich agrarische Bevölkerung der Schweiz
hat die allgemeine Bedeutung der Stimmrechtsfrage
bisher nicht so gewürdigt und in die Erscheinung
treten lassen, wie es eigentlich ihrem demokratischen
Charakter entspräche. Jedoch entfalten die Frauen-
vereine in den verschiedenen Kantonen, die alle ein-
zeln über die Frage zu beschließen haben, eine rege

bedürftige Ausländerinnen, besonders für deutsche und
österreichische Frauen in aufopfernder Fürsorge ge-
wetteifert. Wenn wir die Suffragetten verurteilen, so
müssen wir andererseits anerkennen, daß es den Eng-
länderinnen an Organisationsfähigkeit und Opferwillig-
keit für ihre Sache nicht gefehlt hat. Angesichts der
Unentbehrlichkeit der Frauen für ihre Kriegswirt-
schaft und der Abhängigkeit von der Arbeitswillig-
keit dieser Frauen hat die englische Regierung das
Frauenwahlrecht mit Beschränkungen zunächst für
Frauen über 30 Jahre vorgesehen. Diese Maßnahme
soll vorläufig das Ueberwiegen der weiblichen Wäh-
lerschaft verhindern. Diese Vorlage ist kürzlich vom
Haus der Lords definitiv angenommen worden, und
die englischen Frauen werden bereits an den nächsten
Wahlen teilnehmen können. Sie verwalten schon jetzt
wichtige Aemter in militärischen Organisationen wäh-
rend des Krieges. Die außerordentliche Bewährung
einer Frau in der Gefangenenfürsorge veranlaßte ihre
Entsendung als Delegierte zu den Haager Verhand-
lungen mit Deutschland über den Gefangenenaus-
tausch. Holland, dessen konstitutionelle Regierung
einer Königin höchste Autorität in seinem Staats-
wesen zuerkennt, zögert noch immer, seinen Frauen
uneingeschränkte Rechte zuzubilligen. Dort wird sich
voraussichtlich nach der Verfassungsreform zunächst
die eigentümliche Lage ergeben, daß die Frauen
das passive parlamentarische Wahlrecht vor dem ak-
tiven erhalten. Die meist zerstreut wohnende und
hauptsächlich agrarische Bevölkerung der Schweiz
hat die allgemeine Bedeutung der Stimmrechtsfrage
bisher nicht so gewürdigt und in die Erscheinung
treten lassen, wie es eigentlich ihrem demokratischen
Charakter entspräche. Jedoch entfalten die Frauen-
vereine in den verschiedenen Kantonen, die alle ein-
zeln über die Frage zu beschließen haben, eine rege

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[34/0034] bedürftige Ausländerinnen, besonders für deutsche und österreichische Frauen in aufopfernder Fürsorge ge- wetteifert. Wenn wir die Suffragetten verurteilen, so müssen wir andererseits anerkennen, daß es den Eng- länderinnen an Organisationsfähigkeit und Opferwillig- keit für ihre Sache nicht gefehlt hat. Angesichts der Unentbehrlichkeit der Frauen für ihre Kriegswirt- schaft und der Abhängigkeit von der Arbeitswillig- keit dieser Frauen hat die englische Regierung das Frauenwahlrecht mit Beschränkungen zunächst für Frauen über 30 Jahre vorgesehen. Diese Maßnahme soll vorläufig das Ueberwiegen der weiblichen Wäh- lerschaft verhindern. Diese Vorlage ist kürzlich vom Haus der Lords definitiv angenommen worden, und die englischen Frauen werden bereits an den nächsten Wahlen teilnehmen können. Sie verwalten schon jetzt wichtige Aemter in militärischen Organisationen wäh- rend des Krieges. Die außerordentliche Bewährung einer Frau in der Gefangenenfürsorge veranlaßte ihre Entsendung als Delegierte zu den Haager Verhand- lungen mit Deutschland über den Gefangenenaus- tausch. Holland, dessen konstitutionelle Regierung einer Königin höchste Autorität in seinem Staats- wesen zuerkennt, zögert noch immer, seinen Frauen uneingeschränkte Rechte zuzubilligen. Dort wird sich voraussichtlich nach der Verfassungsreform zunächst die eigentümliche Lage ergeben, daß die Frauen das passive parlamentarische Wahlrecht vor dem ak- tiven erhalten. Die meist zerstreut wohnende und hauptsächlich agrarische Bevölkerung der Schweiz hat die allgemeine Bedeutung der Stimmrechtsfrage bisher nicht so gewürdigt und in die Erscheinung treten lassen, wie es eigentlich ihrem demokratischen Charakter entspräche. Jedoch entfalten die Frauen- vereine in den verschiedenen Kantonen, die alle ein- zeln über die Frage zu beschließen haben, eine rege  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-06-26T14:08:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledermann_frauenstimmrechtsbewegung_1918/34>, abgerufen am 25.04.2024.