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Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918.

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same Tradition der Jahrhunderte ihnen vorenthalten
hat. Die Gewährung des Frauenstimmrechts wird
ihnen erst die gebührende Mitwirkung innerhalb der
Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtssprechung
sichern. Indem die Frauen über ihre eigenen engen
Interessen hinausgehen, ihren Blick für die Fragen des
öffentlichen Lebens weiten, indem sie alle Probleme
des Rechts-, Familien-, Berufs- und Wirtschaftslebens
in ihrem Zusammenhang und ihrer Bedeutung für
die ganze Nation erfassen, wird ihre Verantwort-
lichkeit erhöht, ihre Schaffenskraft gefördert wer-
den." Die Anwendung staatsrechtlicher, philosophi-
scher, sozialpolitischer Theorien wird immer neue
Argumente zur Unterstützung der Bewegung herbei-
führen. Zur Lösung dieser Aufgaben sind besonders
die Akademikerinnen berufen.

Im ersten Vereinsjahr sprach eine Abordnung
des Stimmrechtsvereins beim Reichskanzler v. Bülow
vor, um ihm einige der damals dringendsten For-
derungen vorzutragen: 1. Aenderung des Vereins-
gesetzes zugunsten der Frau; 2. Gewährung der
Erlaubnis zur Immatrikulation studierender Frauen
nach erfolgter Maturitätsprüfung; 3. Mitarbeit der
Frauen bei der Reform des höheren Mädchenschul-
wesens; 4. obligatorische Fortbildungsschulen, auch
für Mädchen. Die ersten drei Forderungen sind er-
füllt, die letztere noch nicht vollständig. Der Verein
bemühte sich, zunächst festzustellen, auf welchen
Gebieten Ansätze zum Stimmrecht vorhanden waren,
und welche gesetzlichen Bestimmungen der Aus-
übung bestehender oder zu erringender Rechte hin-
derlich waren. Außerdem war man bestrebt, die
Frauen politisch zu bilden und politisch interessierte
Männerkreise für diese Fragen zu gewinnen. Die
Reichstagswahlen von 1903 und nach der Auflösung
von 1906 gaben die erste Gelegenheit zur Beteiligung

same Tradition der Jahrhunderte ihnen vorenthalten
hat. Die Gewährung des Frauenstimmrechts wird
ihnen erst die gebührende Mitwirkung innerhalb der
Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtssprechung
sichern. Indem die Frauen über ihre eigenen engen
Interessen hinausgehen, ihren Blick für die Fragen des
öffentlichen Lebens weiten, indem sie alle Probleme
des Rechts-, Familien-, Berufs- und Wirtschaftslebens
in ihrem Zusammenhang und ihrer Bedeutung für
die ganze Nation erfassen, wird ihre Verantwort-
lichkeit erhöht, ihre Schaffenskraft gefördert wer-
den.‟ Die Anwendung staatsrechtlicher, philosophi-
scher, sozialpolitischer Theorien wird immer neue
Argumente zur Unterstützung der Bewegung herbei-
führen. Zur Lösung dieser Aufgaben sind besonders
die Akademikerinnen berufen.

Im ersten Vereinsjahr sprach eine Abordnung
des Stimmrechtsvereins beim Reichskanzler v. Bülow
vor, um ihm einige der damals dringendsten For-
derungen vorzutragen: 1. Aenderung des Vereins-
gesetzes zugunsten der Frau; 2. Gewährung der
Erlaubnis zur Immatrikulation studierender Frauen
nach erfolgter Maturitätsprüfung; 3. Mitarbeit der
Frauen bei der Reform des höheren Mädchenschul-
wesens; 4. obligatorische Fortbildungsschulen, auch
für Mädchen. Die ersten drei Forderungen sind er-
füllt, die letztere noch nicht vollständig. Der Verein
bemühte sich, zunächst festzustellen, auf welchen
Gebieten Ansätze zum Stimmrecht vorhanden waren,
und welche gesetzlichen Bestimmungen der Aus-
übung bestehender oder zu erringender Rechte hin-
derlich waren. Außerdem war man bestrebt, die
Frauen politisch zu bilden und politisch interessierte
Männerkreise für diese Fragen zu gewinnen. Die
Reichstagswahlen von 1903 und nach der Auflösung
von 1906 gaben die erste Gelegenheit zur Beteiligung

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[20/0020] same Tradition der Jahrhunderte ihnen vorenthalten hat. Die Gewährung des Frauenstimmrechts wird ihnen erst die gebührende Mitwirkung innerhalb der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtssprechung sichern. Indem die Frauen über ihre eigenen engen Interessen hinausgehen, ihren Blick für die Fragen des öffentlichen Lebens weiten, indem sie alle Probleme des Rechts-, Familien-, Berufs- und Wirtschaftslebens in ihrem Zusammenhang und ihrer Bedeutung für die ganze Nation erfassen, wird ihre Verantwort- lichkeit erhöht, ihre Schaffenskraft gefördert wer- den.‟ Die Anwendung staatsrechtlicher, philosophi- scher, sozialpolitischer Theorien wird immer neue Argumente zur Unterstützung der Bewegung herbei- führen. Zur Lösung dieser Aufgaben sind besonders die Akademikerinnen berufen. Im ersten Vereinsjahr sprach eine Abordnung des Stimmrechtsvereins beim Reichskanzler v. Bülow vor, um ihm einige der damals dringendsten For- derungen vorzutragen: 1. Aenderung des Vereins- gesetzes zugunsten der Frau; 2. Gewährung der Erlaubnis zur Immatrikulation studierender Frauen nach erfolgter Maturitätsprüfung; 3. Mitarbeit der Frauen bei der Reform des höheren Mädchenschul- wesens; 4. obligatorische Fortbildungsschulen, auch für Mädchen. Die ersten drei Forderungen sind er- füllt, die letztere noch nicht vollständig. Der Verein bemühte sich, zunächst festzustellen, auf welchen Gebieten Ansätze zum Stimmrecht vorhanden waren, und welche gesetzlichen Bestimmungen der Aus- übung bestehender oder zu erringender Rechte hin- derlich waren. Außerdem war man bestrebt, die Frauen politisch zu bilden und politisch interessierte Männerkreise für diese Fragen zu gewinnen. Die Reichstagswahlen von 1903 und nach der Auflösung von 1906 gaben die erste Gelegenheit zur Beteiligung  

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Zitationshilfe: Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledermann_frauenstimmrechtsbewegung_1918/20>, abgerufen am 29.03.2024.