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Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918.

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tische Angelegenheiten, die ihre Interessen berühr-
ten, erörtern, so halfen sie sich, indem nur Einzel-
personen, statt eines Vereins, die Versammlung ein-
beriefen. Damit würde die Stempelung eines Frauen-
vereins zu einem politischen Verein, und damit seine
etwaige Auflösung vermieden. Man gründete 1902
den ersten deutschen Stimmrechts-
verein
unter dem Vorsitz von Anita Augspurg,
zunächst mit dem Sitz Hamburg. Das Vereinsrecht der
freien Hansastadt erlaubte eine solche Organisation.
Zur Mitgliedschaft waren Einzelpersonen in ganz
Deutschland zugelassen, und der Verein hatte in den
verschiedenen Städten Vertrauenspersonen. Die Bestre-
bungen gipfelten darin, den Frauen die politische
Gleichberechtigung zu erkämpfen, ihnen die Aus-
übung des Stimmrechts zu sichern und die Frauen
im Staate, in Gemeinden und Berufsklassen, wo ein
weibliches Stimmrecht vorgesehen war, zu dessen
Ausübung zu veranlassen. Nun bemühten sich die
Frauenrechtlerinnen, von der Frauenbewegung aus-
gehend, weitere Kreise zu überzeugen, daß alle Un-
terdrückung, seelische, geistige und wirtschaftliche
Abhängigkeit der Frau letzten Endes dadurch doku-
mentiert und immer von neuem besiegelt wurde, daß
man sie nicht als vollberechtigte Glieder ihres Volkes
anerkannte. Der Katechismus der Bewegung lautete
etwa: "Die Frauen müssen als steuerzahlende Bür-
gerinnen allen Gesetzen gehorchen, sind aber von der
Verwaltung und Gesetzgebung überall ausgeschlossen,
in Familie und öffentlichem Leben überall nur Ob-
jekt. Männer sind ihre Richter und Verteidiger, Män-
ner bevormunden sie im Familien- und Erwerbsleben,
Männer bestimmen die Grenzen ihrer Bildung, ihrer
Anteilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens.
Das Frauenstimmrecht soll den Weg zur Befreiung
weisen, ihnen allmählich das erringen, was die grau-

tische Angelegenheiten, die ihre Interessen berühr-
ten, erörtern, so halfen sie sich, indem nur Einzel-
personen, statt eines Vereins, die Versammlung ein-
beriefen. Damit würde die Stempelung eines Frauen-
vereins zu einem politischen Verein, und damit seine
etwaige Auflösung vermieden. Man gründete 1902
den ersten deutschen Stimmrechts-
verein
unter dem Vorsitz von Anita Augspurg,
zunächst mit dem Sitz Hamburg. Das Vereinsrecht der
freien Hansastadt erlaubte eine solche Organisation.
Zur Mitgliedschaft waren Einzelpersonen in ganz
Deutschland zugelassen, und der Verein hatte in den
verschiedenen Städten Vertrauenspersonen. Die Bestre-
bungen gipfelten darin, den Frauen die politische
Gleichberechtigung zu erkämpfen, ihnen die Aus-
übung des Stimmrechts zu sichern und die Frauen
im Staate, in Gemeinden und Berufsklassen, wo ein
weibliches Stimmrecht vorgesehen war, zu dessen
Ausübung zu veranlassen. Nun bemühten sich die
Frauenrechtlerinnen, von der Frauenbewegung aus-
gehend, weitere Kreise zu überzeugen, daß alle Un-
terdrückung, seelische, geistige und wirtschaftliche
Abhängigkeit der Frau letzten Endes dadurch doku-
mentiert und immer von neuem besiegelt wurde, daß
man sie nicht als vollberechtigte Glieder ihres Volkes
anerkannte. Der Katechismus der Bewegung lautete
etwa: „Die Frauen müssen als steuerzahlende Bür-
gerinnen allen Gesetzen gehorchen, sind aber von der
Verwaltung und Gesetzgebung überall ausgeschlossen,
in Familie und öffentlichem Leben überall nur Ob-
jekt. Männer sind ihre Richter und Verteidiger, Män-
ner bevormunden sie im Familien- und Erwerbsleben,
Männer bestimmen die Grenzen ihrer Bildung, ihrer
Anteilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens.
Das Frauenstimmrecht soll den Weg zur Befreiung
weisen, ihnen allmählich das erringen, was die grau-
   

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[19/0019] tische Angelegenheiten, die ihre Interessen berühr- ten, erörtern, so halfen sie sich, indem nur Einzel- personen, statt eines Vereins, die Versammlung ein- beriefen. Damit würde die Stempelung eines Frauen- vereins zu einem politischen Verein, und damit seine etwaige Auflösung vermieden. Man gründete 1902 den ersten deutschen Stimmrechts- verein unter dem Vorsitz von Anita Augspurg, zunächst mit dem Sitz Hamburg. Das Vereinsrecht der freien Hansastadt erlaubte eine solche Organisation. Zur Mitgliedschaft waren Einzelpersonen in ganz Deutschland zugelassen, und der Verein hatte in den verschiedenen Städten Vertrauenspersonen. Die Bestre- bungen gipfelten darin, den Frauen die politische Gleichberechtigung zu erkämpfen, ihnen die Aus- übung des Stimmrechts zu sichern und die Frauen im Staate, in Gemeinden und Berufsklassen, wo ein weibliches Stimmrecht vorgesehen war, zu dessen Ausübung zu veranlassen. Nun bemühten sich die Frauenrechtlerinnen, von der Frauenbewegung aus- gehend, weitere Kreise zu überzeugen, daß alle Un- terdrückung, seelische, geistige und wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau letzten Endes dadurch doku- mentiert und immer von neuem besiegelt wurde, daß man sie nicht als vollberechtigte Glieder ihres Volkes anerkannte. Der Katechismus der Bewegung lautete etwa: „Die Frauen müssen als steuerzahlende Bür- gerinnen allen Gesetzen gehorchen, sind aber von der Verwaltung und Gesetzgebung überall ausgeschlossen, in Familie und öffentlichem Leben überall nur Ob- jekt. Männer sind ihre Richter und Verteidiger, Män- ner bevormunden sie im Familien- und Erwerbsleben, Männer bestimmen die Grenzen ihrer Bildung, ihrer Anteilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens. Das Frauenstimmrecht soll den Weg zur Befreiung weisen, ihnen allmählich das erringen, was die grau-    

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-06-26T14:08:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-26T14:08:50Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledermann_frauenstimmrechtsbewegung_1918/19>, abgerufen am 25.04.2024.