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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Revision des ersten Bandes.
gefunden, das einer nähern Bestimmung, Erläuterung, Berichtigung bedürfte, als folgendes --
Seite 34. heißt's:

"Wenn wir bloße Beobachter unsrer Natur sind, so werden wir finden, daß der Sitz der
"Denkenskraft
in unserm Haupte, und zwar innerhalb der Stirne, der Sitz der Begierden,
"das Verlangen, mithin des Willens im Herzen, und der Sitz unsrer Kraft im ganzen Kör-
"per,
und vornehmlich in der Hand und im Munde ist." --

Jn Ansehung der Denkenskraft und Würkungskraft, ist die Sache keinem Zweifel
ausgesetzt. Jn Ansehung des Willens bedarf sie noch einiger Erläuterung. Es ist ein Unterschied
zwischen Wollen und Begehren. Begierde und Willen, so nahe sie verwandt, so sehr sie zu-
sammen zu fließen scheinen -- sind würklich wenigstens so verschieden, wie imaginiren und den-
ken. Wollen
ist der Brennpunkt -- des Begehrens -- ist Begehren mit Kraft. Was ich
will, das geschieht -- aber es geschieht nicht alles, was ich begehre. Jch gesunder will meine
Hand bewegen, und bewege sie; ich lahmer begehre, wünsche sie zu bewegen, und bewege sie
nicht. Begierde scheint den Sitz im Herzen -- verstehe im physischen Herzen zu haben -- Ob
in der Systole oder Diastole? .. Antwort! Jst deine denkende Kraft deßwegen nicht in der physi-
schen Gegend zwischen den Augenbraunen -- weil du den unmittelbaren physischen Punkt nicht
weißt, der sich am ersten und tiefsten regt -- beym Denken? Nicht weißt, ob in der pia oder
dura Mater? Jm physischen Herzen bewegt sich Liebe und Haß -- Verlangen nach Dingen, die
unsere Empfindungswerkzeuge in eine solche Bewegung setzen, deren Fortdauer wir wünschen oder
nicht wünschen. Wird die Liebe oder der Haß zum Willen, so scheint sich die Bewegung des
Herzens, wo nicht zu vermindern, doch mit der Bewegung gewisser physischer Faden, Nerven, Jn-
strumente, des Geblüts im Haupte, in der Stirne merkbarer zu vereinigen -- oder die aus Jma-
ginationen gleichsam zusammengeschmolzene Empfindung, wobey das physische Herz sich schneller
und merklicher bewegte, scheint sich wieder mehr in anschaubare Bilder aufzulösen, wenigstens schei-
nen sich die Farben der Bilder wieder lebhafter zu scheiden -- und im Momente der Handlung
selber scheint Kopf und Herz Ein Brennpunkt zu werden. Jch rede physisch, weil die physische Em-
pfindung so ist. Es ist Unsinn und Blödigkeit: -- Empfindungen der menschlichen Natur nicht
sagen zu dürfen. Folge daraus, was folgen will! -- Nicht Philosophen, nicht Männer sollten

sich

Reviſion des erſten Bandes.
gefunden, das einer naͤhern Beſtimmung, Erlaͤuterung, Berichtigung beduͤrfte, als folgendes —
Seite 34. heißt’s:

„Wenn wir bloße Beobachter unſrer Natur ſind, ſo werden wir finden, daß der Sitz der
„Denkenskraft
in unſerm Haupte, und zwar innerhalb der Stirne, der Sitz der Begierden,
„das Verlangen, mithin des Willens im Herzen, und der Sitz unſrer Kraft im ganzen Koͤr-
„per,
und vornehmlich in der Hand und im Munde iſt.“ —

Jn Anſehung der Denkenskraft und Wuͤrkungskraft, iſt die Sache keinem Zweifel
ausgeſetzt. Jn Anſehung des Willens bedarf ſie noch einiger Erlaͤuterung. Es iſt ein Unterſchied
zwiſchen Wollen und Begehren. Begierde und Willen, ſo nahe ſie verwandt, ſo ſehr ſie zu-
ſammen zu fließen ſcheinen — ſind wuͤrklich wenigſtens ſo verſchieden, wie imaginiren und den-
ken. Wollen
iſt der Brennpunkt — des Begehrens — iſt Begehren mit Kraft. Was ich
will, das geſchieht — aber es geſchieht nicht alles, was ich begehre. Jch geſunder will meine
Hand bewegen, und bewege ſie; ich lahmer begehre, wuͤnſche ſie zu bewegen, und bewege ſie
nicht. Begierde ſcheint den Sitz im Herzen — verſtehe im phyſiſchen Herzen zu haben — Ob
in der Syſtole oder Diaſtole? .. Antwort! Jſt deine denkende Kraft deßwegen nicht in der phyſi-
ſchen Gegend zwiſchen den Augenbraunen — weil du den unmittelbaren phyſiſchen Punkt nicht
weißt, der ſich am erſten und tiefſten regt — beym Denken? Nicht weißt, ob in der pia oder
dura Mater? Jm phyſiſchen Herzen bewegt ſich Liebe und Haß — Verlangen nach Dingen, die
unſere Empfindungswerkzeuge in eine ſolche Bewegung ſetzen, deren Fortdauer wir wuͤnſchen oder
nicht wuͤnſchen. Wird die Liebe oder der Haß zum Willen, ſo ſcheint ſich die Bewegung des
Herzens, wo nicht zu vermindern, doch mit der Bewegung gewiſſer phyſiſcher Faden, Nerven, Jn-
ſtrumente, des Gebluͤts im Haupte, in der Stirne merkbarer zu vereinigen — oder die aus Jma-
ginationen gleichſam zuſammengeſchmolzene Empfindung, wobey das phyſiſche Herz ſich ſchneller
und merklicher bewegte, ſcheint ſich wieder mehr in anſchaubare Bilder aufzuloͤſen, wenigſtens ſchei-
nen ſich die Farben der Bilder wieder lebhafter zu ſcheiden — und im Momente der Handlung
ſelber ſcheint Kopf und Herz Ein Brennpunkt zu werden. Jch rede phyſiſch, weil die phyſiſche Em-
pfindung ſo iſt. Es iſt Unſinn und Bloͤdigkeit: — Empfindungen der menſchlichen Natur nicht
ſagen zu duͤrfen. Folge daraus, was folgen will! — Nicht Philoſophen, nicht Maͤnner ſollten

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[7/0023] Reviſion des erſten Bandes. gefunden, das einer naͤhern Beſtimmung, Erlaͤuterung, Berichtigung beduͤrfte, als folgendes — Seite 34. heißt’s: „Wenn wir bloße Beobachter unſrer Natur ſind, ſo werden wir finden, daß der Sitz der „Denkenskraft in unſerm Haupte, und zwar innerhalb der Stirne, der Sitz der Begierden, „das Verlangen, mithin des Willens im Herzen, und der Sitz unſrer Kraft im ganzen Koͤr- „per, und vornehmlich in der Hand und im Munde iſt.“ — Jn Anſehung der Denkenskraft und Wuͤrkungskraft, iſt die Sache keinem Zweifel ausgeſetzt. Jn Anſehung des Willens bedarf ſie noch einiger Erlaͤuterung. Es iſt ein Unterſchied zwiſchen Wollen und Begehren. Begierde und Willen, ſo nahe ſie verwandt, ſo ſehr ſie zu- ſammen zu fließen ſcheinen — ſind wuͤrklich wenigſtens ſo verſchieden, wie imaginiren und den- ken. Wollen iſt der Brennpunkt — des Begehrens — iſt Begehren mit Kraft. Was ich will, das geſchieht — aber es geſchieht nicht alles, was ich begehre. Jch geſunder will meine Hand bewegen, und bewege ſie; ich lahmer begehre, wuͤnſche ſie zu bewegen, und bewege ſie nicht. Begierde ſcheint den Sitz im Herzen — verſtehe im phyſiſchen Herzen zu haben — Ob in der Syſtole oder Diaſtole? .. Antwort! Jſt deine denkende Kraft deßwegen nicht in der phyſi- ſchen Gegend zwiſchen den Augenbraunen — weil du den unmittelbaren phyſiſchen Punkt nicht weißt, der ſich am erſten und tiefſten regt — beym Denken? Nicht weißt, ob in der pia oder dura Mater? Jm phyſiſchen Herzen bewegt ſich Liebe und Haß — Verlangen nach Dingen, die unſere Empfindungswerkzeuge in eine ſolche Bewegung ſetzen, deren Fortdauer wir wuͤnſchen oder nicht wuͤnſchen. Wird die Liebe oder der Haß zum Willen, ſo ſcheint ſich die Bewegung des Herzens, wo nicht zu vermindern, doch mit der Bewegung gewiſſer phyſiſcher Faden, Nerven, Jn- ſtrumente, des Gebluͤts im Haupte, in der Stirne merkbarer zu vereinigen — oder die aus Jma- ginationen gleichſam zuſammengeſchmolzene Empfindung, wobey das phyſiſche Herz ſich ſchneller und merklicher bewegte, ſcheint ſich wieder mehr in anſchaubare Bilder aufzuloͤſen, wenigſtens ſchei- nen ſich die Farben der Bilder wieder lebhafter zu ſcheiden — und im Momente der Handlung ſelber ſcheint Kopf und Herz Ein Brennpunkt zu werden. Jch rede phyſiſch, weil die phyſiſche Em- pfindung ſo iſt. Es iſt Unſinn und Bloͤdigkeit: — Empfindungen der menſchlichen Natur nicht ſagen zu duͤrfen. Folge daraus, was folgen will! — Nicht Philoſophen, nicht Maͤnner ſollten ſich

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/23>, abgerufen am 19.04.2024.