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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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Kleists Charakter von Hirzeln.
Diesen widmete er seine Jugendjahre ganz. Allein sein Schicksal entzog ihm die Gelegenheit,
seine weit ausgebreiteten Kenntnisse anzuwenden. Es zwang ihn, gegen seine Neigung, sich
dem Kriegsdienste zu widmen. Nun fiel alle seine Aufmerksamkeit auf die Pflichten seines Berufs.
Der kleinste Theil der Taktik zog die ängstliche Aufmerksamkeit so gut auf sich, als der große
Plan des Feldherrn; denn er sah dessen Wichtigkeit in dem Zusammenhange des Ganzen.
Der Vorwurf des geringsten Fehlers in dem Dienste würde ihm eine unerträgliche Bürde ge-
wesen seyn. Hieraus floß auch eine fast ins übertriebne fallende Sorgfalt für die Ehre --
des Edelmannes und des Soldaten. Kein ächter Eidsgenoß ist auf seine Freyheit so eifersüch-
tig, als er auf Ehre war, denn in dieser sah er die Triebfeder aller großen Handlungen in sei-
nem Berufe. Er kannte aber auch die Ehre der Weltweisen, kein Glück, keinen Ruhm, kei-
ne Beförderung etwas anderm, als reinem Verdienste zu verdanken. Die Verachtung der
Schmeicheley der Großen ward ihm zur Natur, und dennoch war er der bescheidenste, höflich-
ste, sanftmüthigste, menschenliebendste Mann in dem Umgange. Glücklich der Mensch, der
ihn zum Freunde hatte; er konnte nicht ängstlicher für sein Glück sorgen, als Kleist es that,
denn darinnen fand er sein größtes Vergnügen, Freunde glücklich zu machen, und dieses war
nie stärker, als wenn seine Bemühungen dem Freunde unbekannt blieben. Sein Herz war
ein Grab für jedes Geheimniß, das ihm anvertraut worden. Feinde und Neider hatten ihn
nicht zu fürchten; wenn ihr Verdienst es forderte, oder ein unverschuldetes Unglück sie drück-
te -- so fanden sie an Kleisten eben so viel Wärme und Dienstbegierde, als der zärtlichste
Freund. Seine Menschenliebe ruhete auf festen Grundsätzen. Sie machte ihn nie unge-
recht, so empfindsam seine Seele war. So war Kleist -- und ich glaube dieses in den Zü-
gen zu sehen, welche Füeßli nach der Natur entworfen hat, als Kleist bey uns lebte. Tief-
sinn, Festigkeit der Seele, hoher Muth und Menschenfreundlichkeit entdeckte ich voll Ehrfurcht
und Zärtlichkeit in seinen Zügen, und empfinde dabey die unaussprechliche Wonne, einen der
größten Menschen zum Freunde gehabt zu haben. --

So
Phys. Fragm. II Versuch. D

Kleiſts Charakter von Hirzeln.
Dieſen widmete er ſeine Jugendjahre ganz. Allein ſein Schickſal entzog ihm die Gelegenheit,
ſeine weit ausgebreiteten Kenntniſſe anzuwenden. Es zwang ihn, gegen ſeine Neigung, ſich
dem Kriegsdienſte zu widmen. Nun fiel alle ſeine Aufmerkſamkeit auf die Pflichten ſeines Berufs.
Der kleinſte Theil der Taktik zog die aͤngſtliche Aufmerkſamkeit ſo gut auf ſich, als der große
Plan des Feldherrn; denn er ſah deſſen Wichtigkeit in dem Zuſammenhange des Ganzen.
Der Vorwurf des geringſten Fehlers in dem Dienſte wuͤrde ihm eine unertraͤgliche Buͤrde ge-
weſen ſeyn. Hieraus floß auch eine faſt ins uͤbertriebne fallende Sorgfalt fuͤr die Ehre —
des Edelmannes und des Soldaten. Kein aͤchter Eidsgenoß iſt auf ſeine Freyheit ſo eiferſuͤch-
tig, als er auf Ehre war, denn in dieſer ſah er die Triebfeder aller großen Handlungen in ſei-
nem Berufe. Er kannte aber auch die Ehre der Weltweiſen, kein Gluͤck, keinen Ruhm, kei-
ne Befoͤrderung etwas anderm, als reinem Verdienſte zu verdanken. Die Verachtung der
Schmeicheley der Großen ward ihm zur Natur, und dennoch war er der beſcheidenſte, hoͤflich-
ſte, ſanftmuͤthigſte, menſchenliebendſte Mann in dem Umgange. Gluͤcklich der Menſch, der
ihn zum Freunde hatte; er konnte nicht aͤngſtlicher fuͤr ſein Gluͤck ſorgen, als Kleiſt es that,
denn darinnen fand er ſein groͤßtes Vergnuͤgen, Freunde gluͤcklich zu machen, und dieſes war
nie ſtaͤrker, als wenn ſeine Bemuͤhungen dem Freunde unbekannt blieben. Sein Herz war
ein Grab fuͤr jedes Geheimniß, das ihm anvertraut worden. Feinde und Neider hatten ihn
nicht zu fuͤrchten; wenn ihr Verdienſt es forderte, oder ein unverſchuldetes Ungluͤck ſie druͤck-
te — ſo fanden ſie an Kleiſten eben ſo viel Waͤrme und Dienſtbegierde, als der zaͤrtlichſte
Freund. Seine Menſchenliebe ruhete auf feſten Grundſaͤtzen. Sie machte ihn nie unge-
recht, ſo empfindſam ſeine Seele war. So war Kleiſt — und ich glaube dieſes in den Zuͤ-
gen zu ſehen, welche Fuͤeßli nach der Natur entworfen hat, als Kleiſt bey uns lebte. Tief-
ſinn, Feſtigkeit der Seele, hoher Muth und Menſchenfreundlichkeit entdeckte ich voll Ehrfurcht
und Zaͤrtlichkeit in ſeinen Zuͤgen, und empfinde dabey die unausſprechliche Wonne, einen der
groͤßten Menſchen zum Freunde gehabt zu haben. —

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Phyſ. Fragm. II Verſuch. D
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[25/0047] Kleiſts Charakter von Hirzeln. Dieſen widmete er ſeine Jugendjahre ganz. Allein ſein Schickſal entzog ihm die Gelegenheit, ſeine weit ausgebreiteten Kenntniſſe anzuwenden. Es zwang ihn, gegen ſeine Neigung, ſich dem Kriegsdienſte zu widmen. Nun fiel alle ſeine Aufmerkſamkeit auf die Pflichten ſeines Berufs. Der kleinſte Theil der Taktik zog die aͤngſtliche Aufmerkſamkeit ſo gut auf ſich, als der große Plan des Feldherrn; denn er ſah deſſen Wichtigkeit in dem Zuſammenhange des Ganzen. Der Vorwurf des geringſten Fehlers in dem Dienſte wuͤrde ihm eine unertraͤgliche Buͤrde ge- weſen ſeyn. Hieraus floß auch eine faſt ins uͤbertriebne fallende Sorgfalt fuͤr die Ehre — des Edelmannes und des Soldaten. Kein aͤchter Eidsgenoß iſt auf ſeine Freyheit ſo eiferſuͤch- tig, als er auf Ehre war, denn in dieſer ſah er die Triebfeder aller großen Handlungen in ſei- nem Berufe. Er kannte aber auch die Ehre der Weltweiſen, kein Gluͤck, keinen Ruhm, kei- ne Befoͤrderung etwas anderm, als reinem Verdienſte zu verdanken. Die Verachtung der Schmeicheley der Großen ward ihm zur Natur, und dennoch war er der beſcheidenſte, hoͤflich- ſte, ſanftmuͤthigſte, menſchenliebendſte Mann in dem Umgange. Gluͤcklich der Menſch, der ihn zum Freunde hatte; er konnte nicht aͤngſtlicher fuͤr ſein Gluͤck ſorgen, als Kleiſt es that, denn darinnen fand er ſein groͤßtes Vergnuͤgen, Freunde gluͤcklich zu machen, und dieſes war nie ſtaͤrker, als wenn ſeine Bemuͤhungen dem Freunde unbekannt blieben. Sein Herz war ein Grab fuͤr jedes Geheimniß, das ihm anvertraut worden. Feinde und Neider hatten ihn nicht zu fuͤrchten; wenn ihr Verdienſt es forderte, oder ein unverſchuldetes Ungluͤck ſie druͤck- te — ſo fanden ſie an Kleiſten eben ſo viel Waͤrme und Dienſtbegierde, als der zaͤrtlichſte Freund. Seine Menſchenliebe ruhete auf feſten Grundſaͤtzen. Sie machte ihn nie unge- recht, ſo empfindſam ſeine Seele war. So war Kleiſt — und ich glaube dieſes in den Zuͤ- gen zu ſehen, welche Fuͤeßli nach der Natur entworfen hat, als Kleiſt bey uns lebte. Tief- ſinn, Feſtigkeit der Seele, hoher Muth und Menſchenfreundlichkeit entdeckte ich voll Ehrfurcht und Zaͤrtlichkeit in ſeinen Zuͤgen, und empfinde dabey die unausſprechliche Wonne, einen der groͤßten Menſchen zum Freunde gehabt zu haben. — So Phyſ. Fragm. II Verſuch. D

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/47>, abgerufen am 29.03.2024.