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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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II. Fragment. Zugabe.
Zugabe.
Charakter des Herrn von Kleist, von Herrn Hirzel.

Ewald Christian von Kleist war einer der größten Kenner und Bewunderer von allem,
was schön, gut und groß ist. Ein würdiger Gegenstand rührte ihn bis zu Thränen. Von
der Stärke seiner Empfindungen bey dem Anblicke der schönen Natur zeugen die Gemählde in sei-
nen unsterblichen Gedichten.

Sein Gefühl für die sittlichen Schönheiten war nicht weniger lebhaft. Dieses machte
es jedem Manne von Verdiensten leicht, seine Freundschaft zu erhalten. Denn er entdeckte
sehr schnell jedes Verdienst, und die Richtigkeit seines Auges versicherte den Freund der ewi-
gen Dauer seiner einmal gehegten Freundschaft. Er entdeckte in dem Bauern, in dem gemei-
nen Soldaten, in dem Künstler, auch dem, dessen Kunst das Vorurtheil erniedrigt, das Ver-
dienst so leicht, als in dem Helden, dem Weltweisen, dem Gelehrten. Kein Schleyer von
äusserer Niedrigkeit konnt' ihm das wahre Verdienst verbergen, so wie kein Glanz ihn verblen-
dete, das Unregelmäßige und Häßliche auf den Thronen, an den Spitzen der Armeen, -- in
den Akademien vom ersten Rang an Kopf und Herz zu entdecken und zu verachten. Jn ihm
zeigt sich allenthalben ein unpartheyischer Menschenkenner und Freund der Menschheit.

Bey aller Lebhaftigkeit der Empfindungen war er von aller Schwärmerey frey, und
seine Einbildungskraft stand unter dem reinen Verstand in der gehörigen Unterordnung. Er war
mehr ein gefühlvoller Weltweiser, als ein Dichter, der die Weltweisheit liebte. Die Poesie
diente ihm auch von seiner Jugend an nur zu einer Erholung von den Arbeiten seines Berufs,
und zur Ermunterung in trüben Stunden.

Seine Neigung gieng vorzüglich auf die Weltweisheit und die Wissenschaften, welche
einem Staatsmann die Fähigkeiten ertheilen, einen Staat blühend und glücklich zu machen.

Diesen
II. Fragment. Zugabe.
Zugabe.
Charakter des Herrn von Kleiſt, von Herrn Hirzel.

Ewald Chriſtian von Kleiſt war einer der groͤßten Kenner und Bewunderer von allem,
was ſchoͤn, gut und groß iſt. Ein wuͤrdiger Gegenſtand ruͤhrte ihn bis zu Thraͤnen. Von
der Staͤrke ſeiner Empfindungen bey dem Anblicke der ſchoͤnen Natur zeugen die Gemaͤhlde in ſei-
nen unſterblichen Gedichten.

Sein Gefuͤhl fuͤr die ſittlichen Schoͤnheiten war nicht weniger lebhaft. Dieſes machte
es jedem Manne von Verdienſten leicht, ſeine Freundſchaft zu erhalten. Denn er entdeckte
ſehr ſchnell jedes Verdienſt, und die Richtigkeit ſeines Auges verſicherte den Freund der ewi-
gen Dauer ſeiner einmal gehegten Freundſchaft. Er entdeckte in dem Bauern, in dem gemei-
nen Soldaten, in dem Kuͤnſtler, auch dem, deſſen Kunſt das Vorurtheil erniedrigt, das Ver-
dienſt ſo leicht, als in dem Helden, dem Weltweiſen, dem Gelehrten. Kein Schleyer von
aͤuſſerer Niedrigkeit konnt’ ihm das wahre Verdienſt verbergen, ſo wie kein Glanz ihn verblen-
dete, das Unregelmaͤßige und Haͤßliche auf den Thronen, an den Spitzen der Armeen, — in
den Akademien vom erſten Rang an Kopf und Herz zu entdecken und zu verachten. Jn ihm
zeigt ſich allenthalben ein unpartheyiſcher Menſchenkenner und Freund der Menſchheit.

Bey aller Lebhaftigkeit der Empfindungen war er von aller Schwaͤrmerey frey, und
ſeine Einbildungskraft ſtand unter dem reinen Verſtand in der gehoͤrigen Unterordnung. Er war
mehr ein gefuͤhlvoller Weltweiſer, als ein Dichter, der die Weltweisheit liebte. Die Poeſie
diente ihm auch von ſeiner Jugend an nur zu einer Erholung von den Arbeiten ſeines Berufs,
und zur Ermunterung in truͤben Stunden.

Seine Neigung gieng vorzuͤglich auf die Weltweisheit und die Wiſſenſchaften, welche
einem Staatsmann die Faͤhigkeiten ertheilen, einen Staat bluͤhend und gluͤcklich zu machen.

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[24/0046] II. Fragment. Zugabe. Zugabe. Charakter des Herrn von Kleiſt, von Herrn Hirzel. Ewald Chriſtian von Kleiſt war einer der groͤßten Kenner und Bewunderer von allem, was ſchoͤn, gut und groß iſt. Ein wuͤrdiger Gegenſtand ruͤhrte ihn bis zu Thraͤnen. Von der Staͤrke ſeiner Empfindungen bey dem Anblicke der ſchoͤnen Natur zeugen die Gemaͤhlde in ſei- nen unſterblichen Gedichten. Sein Gefuͤhl fuͤr die ſittlichen Schoͤnheiten war nicht weniger lebhaft. Dieſes machte es jedem Manne von Verdienſten leicht, ſeine Freundſchaft zu erhalten. Denn er entdeckte ſehr ſchnell jedes Verdienſt, und die Richtigkeit ſeines Auges verſicherte den Freund der ewi- gen Dauer ſeiner einmal gehegten Freundſchaft. Er entdeckte in dem Bauern, in dem gemei- nen Soldaten, in dem Kuͤnſtler, auch dem, deſſen Kunſt das Vorurtheil erniedrigt, das Ver- dienſt ſo leicht, als in dem Helden, dem Weltweiſen, dem Gelehrten. Kein Schleyer von aͤuſſerer Niedrigkeit konnt’ ihm das wahre Verdienſt verbergen, ſo wie kein Glanz ihn verblen- dete, das Unregelmaͤßige und Haͤßliche auf den Thronen, an den Spitzen der Armeen, — in den Akademien vom erſten Rang an Kopf und Herz zu entdecken und zu verachten. Jn ihm zeigt ſich allenthalben ein unpartheyiſcher Menſchenkenner und Freund der Menſchheit. Bey aller Lebhaftigkeit der Empfindungen war er von aller Schwaͤrmerey frey, und ſeine Einbildungskraft ſtand unter dem reinen Verſtand in der gehoͤrigen Unterordnung. Er war mehr ein gefuͤhlvoller Weltweiſer, als ein Dichter, der die Weltweisheit liebte. Die Poeſie diente ihm auch von ſeiner Jugend an nur zu einer Erholung von den Arbeiten ſeines Berufs, und zur Ermunterung in truͤben Stunden. Seine Neigung gieng vorzuͤglich auf die Weltweisheit und die Wiſſenſchaften, welche einem Staatsmann die Faͤhigkeiten ertheilen, einen Staat bluͤhend und gluͤcklich zu machen. Dieſen

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/46>, abgerufen am 29.03.2024.