Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Warum nicht nach Warschau? Weil ich jeden Tag
dachte, Warschau ist wieder russisch, und nun ist's
so weit, und Leopold sagt mir, Du sei'st über die
Brücke, wer weiß wohin; es ist zu viel brutale
Eitelkeit der Personen unter jenen Starosten, als
daß ihnen etwas gelingen könnte, was sie gemein-
schaftlich unternehmen. Es geht Alles auseinander,
homerisch treibt man sich in Einzelnkämpfen um,
und das ist lauter Niederlage in unsrer modernen
Zeit, wo die Person nichts mehr gilt. Und hättet
Jhr noch mehr Leute, tapfer und gewaltig wie Achill
und Ajax, schnell wie Diomed, gewandt wie Ulyß,
es hälfe Euch nichts; selbst in jener grauen Zeit
konnten diese Heroen Troja nicht erobern, die List
und die Götter mußten's thun. Und die Griechen
vor Troja haben wahrlich eine große Aehnlichkeit
mit den polnischen Helden, und Homers Wunsch
nach einer zügelnden Alleinherrschaft erscheint nur
zu natürlich.

Das Epos an sich hat mir immer einen sehr
langweiligen Beigeschmack, und ich habe gar nichts
dawider, daß die kleinen, kurzen, wandelbaren Jnter-
essen der modernen Zeit diese Dichtungsart verdrängen;

Warum nicht nach Warſchau? Weil ich jeden Tag
dachte, Warſchau iſt wieder ruſſiſch, und nun iſt’s
ſo weit, und Leopold ſagt mir, Du ſei’ſt über die
Brücke, wer weiß wohin; es iſt zu viel brutale
Eitelkeit der Perſonen unter jenen Staroſten, als
daß ihnen etwas gelingen könnte, was ſie gemein-
ſchaftlich unternehmen. Es geht Alles auseinander,
homeriſch treibt man ſich in Einzelnkämpfen um,
und das iſt lauter Niederlage in unſrer modernen
Zeit, wo die Perſon nichts mehr gilt. Und hättet
Jhr noch mehr Leute, tapfer und gewaltig wie Achill
und Ajax, ſchnell wie Diomed, gewandt wie Ulyß,
es hälfe Euch nichts; ſelbſt in jener grauen Zeit
konnten dieſe Heroen Troja nicht erobern, die Liſt
und die Götter mußten’s thun. Und die Griechen
vor Troja haben wahrlich eine große Aehnlichkeit
mit den polniſchen Helden, und Homers Wunſch
nach einer zügelnden Alleinherrſchaft erſcheint nur
zu natürlich.

Das Epos an ſich hat mir immer einen ſehr
langweiligen Beigeſchmack, und ich habe gar nichts
dawider, daß die kleinen, kurzen, wandelbaren Jnter-
eſſen der modernen Zeit dieſe Dichtungsart verdrängen;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0020" n="12"/>
Warum nicht nach War&#x017F;chau? Weil ich jeden Tag<lb/>
dachte, War&#x017F;chau i&#x017F;t wieder ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;ch, und nun i&#x017F;t&#x2019;s<lb/>
&#x017F;o weit, und Leopold &#x017F;agt mir, Du &#x017F;ei&#x2019;&#x017F;t über die<lb/>
Brücke, wer weiß wohin; es i&#x017F;t zu viel brutale<lb/>
Eitelkeit der Per&#x017F;onen unter jenen Staro&#x017F;ten, als<lb/>
daß ihnen etwas gelingen könnte, was &#x017F;ie gemein-<lb/>
&#x017F;chaftlich unternehmen. Es geht Alles auseinander,<lb/>
homeri&#x017F;ch treibt man &#x017F;ich in Einzelnkämpfen um,<lb/>
und das i&#x017F;t lauter Niederlage in un&#x017F;rer modernen<lb/>
Zeit, wo die Per&#x017F;on nichts mehr gilt. Und hättet<lb/>
Jhr noch mehr Leute, tapfer und gewaltig wie Achill<lb/>
und Ajax, &#x017F;chnell wie Diomed, gewandt wie Ulyß,<lb/>
es hälfe Euch nichts; &#x017F;elb&#x017F;t in jener grauen Zeit<lb/>
konnten die&#x017F;e Heroen Troja nicht erobern, die Li&#x017F;t<lb/>
und die Götter mußten&#x2019;s thun. Und die Griechen<lb/>
vor Troja haben wahrlich eine große Aehnlichkeit<lb/>
mit den polni&#x017F;chen Helden, und Homers Wun&#x017F;ch<lb/>
nach einer zügelnden Alleinherr&#x017F;chaft er&#x017F;cheint nur<lb/>
zu natürlich.</p><lb/>
          <p>Das Epos an &#x017F;ich hat mir immer einen &#x017F;ehr<lb/>
langweiligen Beige&#x017F;chmack, und ich habe gar nichts<lb/>
dawider, daß die kleinen, kurzen, wandelbaren Jnter-<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en der modernen Zeit die&#x017F;e Dichtungsart verdrängen;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0020] Warum nicht nach Warſchau? Weil ich jeden Tag dachte, Warſchau iſt wieder ruſſiſch, und nun iſt’s ſo weit, und Leopold ſagt mir, Du ſei’ſt über die Brücke, wer weiß wohin; es iſt zu viel brutale Eitelkeit der Perſonen unter jenen Staroſten, als daß ihnen etwas gelingen könnte, was ſie gemein- ſchaftlich unternehmen. Es geht Alles auseinander, homeriſch treibt man ſich in Einzelnkämpfen um, und das iſt lauter Niederlage in unſrer modernen Zeit, wo die Perſon nichts mehr gilt. Und hättet Jhr noch mehr Leute, tapfer und gewaltig wie Achill und Ajax, ſchnell wie Diomed, gewandt wie Ulyß, es hälfe Euch nichts; ſelbſt in jener grauen Zeit konnten dieſe Heroen Troja nicht erobern, die Liſt und die Götter mußten’s thun. Und die Griechen vor Troja haben wahrlich eine große Aehnlichkeit mit den polniſchen Helden, und Homers Wunſch nach einer zügelnden Alleinherrſchaft erſcheint nur zu natürlich. Das Epos an ſich hat mir immer einen ſehr langweiligen Beigeſchmack, und ich habe gar nichts dawider, daß die kleinen, kurzen, wandelbaren Jnter- eſſen der modernen Zeit dieſe Dichtungsart verdrängen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/20
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/20>, abgerufen am 19.04.2024.