Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

lange nicht merken lassen, daß er klug ist. Er ver-
meidet ferner die Extreme, setzt Krieg oder Frieden
nie auf eine Karte, und wenn er's einmal öffentlich
thun muß, so spielt er privatim eine ganz andere,
sichere Partie. Das Repräsentativsystem, was sonst
den Königen hinderlich war, ist durch seine Klugheit
für ihn die bequemste Regierungsart geworden: ist
die öffentliche Partei im Nachtheil, so tragen die
Minister Schande und Verlust, der Thron desavouirt
sie, und zeigt bescheiden, wie er bereits privatim
viel vortheilhaftere Dinge vorbereitet habe; siegt das
Ministerium, so schließt er sich emphatisch diesem
Siege an, zuckt die Achseln zur Privatpartei, und
bedauert gegen die fremden Gesandten, daß ihm die
Hände gebunden seien. Jn der ersten Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts regierten die Abenteurer
aller Art mit kecken Lügen und Jntriguen einen
großen Theil von Europa; an die Stelle jener be-
rechnenden Personen sind jetzt berechnete Begriffe
getreten; man herrscht jetzt mit einer gewissen Staats-
algebra, und in kurzer Zeit ist aller Fortschritt, den
wir erwarteten, auf ein Paar Formeln gezogen, diese
werden studirt, die neue Wissenschaft ist fertig, ihr

lange nicht merken laſſen, daß er klug iſt. Er ver-
meidet ferner die Extreme, ſetzt Krieg oder Frieden
nie auf eine Karte, und wenn er’s einmal öffentlich
thun muß, ſo ſpielt er privatim eine ganz andere,
ſichere Partie. Das Repräſentativſyſtem, was ſonſt
den Königen hinderlich war, iſt durch ſeine Klugheit
für ihn die bequemſte Regierungsart geworden: iſt
die öffentliche Partei im Nachtheil, ſo tragen die
Miniſter Schande und Verluſt, der Thron desavouirt
ſie, und zeigt beſcheiden, wie er bereits privatim
viel vortheilhaftere Dinge vorbereitet habe; ſiegt das
Miniſterium, ſo ſchließt er ſich emphatiſch dieſem
Siege an, zuckt die Achſeln zur Privatpartei, und
bedauert gegen die fremden Geſandten, daß ihm die
Hände gebunden ſeien. Jn der erſten Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts regierten die Abenteurer
aller Art mit kecken Lügen und Jntriguen einen
großen Theil von Europa; an die Stelle jener be-
rechnenden Perſonen ſind jetzt berechnete Begriffe
getreten; man herrſcht jetzt mit einer gewiſſen Staats-
algebra, und in kurzer Zeit iſt aller Fortſchritt, den
wir erwarteten, auf ein Paar Formeln gezogen, dieſe
werden ſtudirt, die neue Wiſſenſchaft iſt fertig, ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0016" n="8"/>
lange nicht merken la&#x017F;&#x017F;en, daß er klug i&#x017F;t. Er ver-<lb/>
meidet ferner die Extreme, &#x017F;etzt Krieg oder Frieden<lb/>
nie auf eine Karte, und wenn er&#x2019;s einmal öffentlich<lb/>
thun muß, &#x017F;o &#x017F;pielt er privatim eine ganz andere,<lb/>
&#x017F;ichere Partie. Das Reprä&#x017F;entativ&#x017F;y&#x017F;tem, was &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
den Königen hinderlich war, i&#x017F;t durch &#x017F;eine Klugheit<lb/>
für ihn die bequem&#x017F;te Regierungsart geworden: i&#x017F;t<lb/>
die öffentliche Partei im Nachtheil, &#x017F;o tragen die<lb/>
Mini&#x017F;ter Schande und Verlu&#x017F;t, der Thron desavouirt<lb/>
&#x017F;ie, und zeigt be&#x017F;cheiden, wie er bereits privatim<lb/>
viel vortheilhaftere Dinge vorbereitet habe; &#x017F;iegt das<lb/>
Mini&#x017F;terium, &#x017F;o &#x017F;chließt er &#x017F;ich emphati&#x017F;ch die&#x017F;em<lb/>
Siege an, zuckt die Ach&#x017F;eln zur Privatpartei, und<lb/>
bedauert gegen die fremden Ge&#x017F;andten, daß ihm die<lb/>
Hände gebunden &#x017F;eien. Jn der er&#x017F;ten Hälfte des<lb/>
achtzehnten Jahrhunderts regierten die Abenteurer<lb/>
aller Art mit kecken Lügen und Jntriguen einen<lb/>
großen Theil von Europa; an die Stelle jener be-<lb/>
rechnenden Per&#x017F;onen &#x017F;ind jetzt berechnete Begriffe<lb/>
getreten; man herr&#x017F;cht jetzt mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en Staats-<lb/>
algebra, und in kurzer Zeit i&#x017F;t aller Fort&#x017F;chritt, den<lb/>
wir erwarteten, auf ein Paar Formeln gezogen, die&#x017F;e<lb/>
werden &#x017F;tudirt, die neue Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t fertig, ihr<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0016] lange nicht merken laſſen, daß er klug iſt. Er ver- meidet ferner die Extreme, ſetzt Krieg oder Frieden nie auf eine Karte, und wenn er’s einmal öffentlich thun muß, ſo ſpielt er privatim eine ganz andere, ſichere Partie. Das Repräſentativſyſtem, was ſonſt den Königen hinderlich war, iſt durch ſeine Klugheit für ihn die bequemſte Regierungsart geworden: iſt die öffentliche Partei im Nachtheil, ſo tragen die Miniſter Schande und Verluſt, der Thron desavouirt ſie, und zeigt beſcheiden, wie er bereits privatim viel vortheilhaftere Dinge vorbereitet habe; ſiegt das Miniſterium, ſo ſchließt er ſich emphatiſch dieſem Siege an, zuckt die Achſeln zur Privatpartei, und bedauert gegen die fremden Geſandten, daß ihm die Hände gebunden ſeien. Jn der erſten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts regierten die Abenteurer aller Art mit kecken Lügen und Jntriguen einen großen Theil von Europa; an die Stelle jener be- rechnenden Perſonen ſind jetzt berechnete Begriffe getreten; man herrſcht jetzt mit einer gewiſſen Staats- algebra, und in kurzer Zeit iſt aller Fortſchritt, den wir erwarteten, auf ein Paar Formeln gezogen, dieſe werden ſtudirt, die neue Wiſſenſchaft iſt fertig, ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/16
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/16>, abgerufen am 20.04.2024.