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Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846.

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Einleitung.
soll sie nicht thun bei Personen und Zuständen, welche
den Hauch der Gegenwart absolut nicht vertragen würden,
ohne entstellt zu werden, sie soll die Geschichte nicht ver-
fälschen, nein, aber sie soll eben deshalb solche mit der
Gegenwart unverträgliche Personen und Zustände nicht
wählen für das Theater. Sie soll nur solche wählen,
welche in bestimmten Nerven fortleben bis in die Gegen-
wart, und an diese fortlebenden Nerven soll sie die Wie-
dergeburt der Vergangenheit knüpfen. So nur ent-
steht wirkliches Leben in historischen Dramen. Einen
Hexenprozeß getreulich auf die heutige Bühne bringen
ist eben so sehr ein Mißgriff, als Karl dem Fünften prote-
stantischen Liberalismus in den Mund legen. Der Hexen-
prozeß ist durch keinen Nerv mehr mit unsrer Zeit ver-
knüpft. Das hatte ich übersehn in meiner Liebhaberei für
wunderliche oder wunderbare Erscheinungen und Geheim-
nisse. Anderes Geister- und Gespensterthum mag noch mit
uns zusammenhängen und wird wohl dem Menschenthume,
welches so viel Veranlassung und so wenig Auskunft er-
hält, immer bis auf einen gewissen Grad lebendig bleiben,
vielleicht auch das Hexenwesen selbst mit seinen lockenden
und schreckenden Geheimnissen der eigenthümlich mächti-
gen Persönlichkeit -- aber der Hexenprozeß selbst nicht.
Er ist nur ein brutales Anfassen der geheimnißvollen Per-
sonen, wie es eben nur eine bestimmte rohe Zeit mit sich
brachte, welche dem Henker überantwortete was ihr un-
verständlich blieb; er ist nur ein Akt, welchen die Aufklä-

Einleitung.
ſoll ſie nicht thun bei Perſonen und Zuſtaͤnden, welche
den Hauch der Gegenwart abſolut nicht vertragen wuͤrden,
ohne entſtellt zu werden, ſie ſoll die Geſchichte nicht ver-
faͤlſchen, nein, aber ſie ſoll eben deshalb ſolche mit der
Gegenwart unvertraͤgliche Perſonen und Zuſtaͤnde nicht
waͤhlen fuͤr das Theater. Sie ſoll nur ſolche waͤhlen,
welche in beſtimmten Nerven fortleben bis in die Gegen-
wart, und an dieſe fortlebenden Nerven ſoll ſie die Wie-
dergeburt der Vergangenheit knuͤpfen. So nur ent-
ſteht wirkliches Leben in hiſtoriſchen Dramen. Einen
Hexenprozeß getreulich auf die heutige Buͤhne bringen
iſt eben ſo ſehr ein Mißgriff, als Karl dem Fuͤnften prote-
ſtantiſchen Liberalismus in den Mund legen. Der Hexen-
prozeß iſt durch keinen Nerv mehr mit unſrer Zeit ver-
knuͤpft. Das hatte ich uͤberſehn in meiner Liebhaberei fuͤr
wunderliche oder wunderbare Erſcheinungen und Geheim-
niſſe. Anderes Geiſter- und Geſpenſterthum mag noch mit
uns zuſammenhaͤngen und wird wohl dem Menſchenthume,
welches ſo viel Veranlaſſung und ſo wenig Auskunft er-
haͤlt, immer bis auf einen gewiſſen Grad lebendig bleiben,
vielleicht auch das Hexenweſen ſelbſt mit ſeinen lockenden
und ſchreckenden Geheimniſſen der eigenthuͤmlich maͤchti-
gen Perſoͤnlichkeit — aber der Hexenprozeß ſelbſt nicht.
Er iſt nur ein brutales Anfaſſen der geheimnißvollen Per-
ſonen, wie es eben nur eine beſtimmte rohe Zeit mit ſich
brachte, welche dem Henker uͤberantwortete was ihr un-
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[30/0036] Einleitung. ſoll ſie nicht thun bei Perſonen und Zuſtaͤnden, welche den Hauch der Gegenwart abſolut nicht vertragen wuͤrden, ohne entſtellt zu werden, ſie ſoll die Geſchichte nicht ver- faͤlſchen, nein, aber ſie ſoll eben deshalb ſolche mit der Gegenwart unvertraͤgliche Perſonen und Zuſtaͤnde nicht waͤhlen fuͤr das Theater. Sie ſoll nur ſolche waͤhlen, welche in beſtimmten Nerven fortleben bis in die Gegen- wart, und an dieſe fortlebenden Nerven ſoll ſie die Wie- dergeburt der Vergangenheit knuͤpfen. So nur ent- ſteht wirkliches Leben in hiſtoriſchen Dramen. Einen Hexenprozeß getreulich auf die heutige Buͤhne bringen iſt eben ſo ſehr ein Mißgriff, als Karl dem Fuͤnften prote- ſtantiſchen Liberalismus in den Mund legen. Der Hexen- prozeß iſt durch keinen Nerv mehr mit unſrer Zeit ver- knuͤpft. Das hatte ich uͤberſehn in meiner Liebhaberei fuͤr wunderliche oder wunderbare Erſcheinungen und Geheim- niſſe. Anderes Geiſter- und Geſpenſterthum mag noch mit uns zuſammenhaͤngen und wird wohl dem Menſchenthume, welches ſo viel Veranlaſſung und ſo wenig Auskunft er- haͤlt, immer bis auf einen gewiſſen Grad lebendig bleiben, vielleicht auch das Hexenweſen ſelbſt mit ſeinen lockenden und ſchreckenden Geheimniſſen der eigenthuͤmlich maͤchti- gen Perſoͤnlichkeit — aber der Hexenprozeß ſelbſt nicht. Er iſt nur ein brutales Anfaſſen der geheimnißvollen Per- ſonen, wie es eben nur eine beſtimmte rohe Zeit mit ſich brachte, welche dem Henker uͤberantwortete was ihr un- verſtaͤndlich blieb; er iſt nur ein Akt, welchen die Aufklaͤ-

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/36>, abgerufen am 23.04.2024.