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Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846.

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Einleitung.
den Malzboden, wir hörten ihn fortschlürfen, und je fer-
ner dies wurde, desto tiefer fielen die Augenlider der
Mutter Schönknechten, und wenn man ihn nicht mehr
hörte, dann schlief sie wieder fest, und ich sank ebenfalls
in Schlummer, eine Wacht wie die Garantie einer Staats-
verfassung: ein altes Mütterchen und ein kleiner Bub,
Gott muß für Alles stehen!

Diese dämonischen Verhältnisse im Brau- und Malz-
hause haben nach der Versicherung meiner Mutter an die
dreißig Jahre gespielt, und dabei hat die Stadt immer gu-
tes Bier gehabt. Plötzlich ist einmal des Morgens die
Mutter Schönknechten ein wenig angelehnt gefunden wor-
den; man hat sich gewundert, ist in ihr Loch hinabgestie-
gen, um sie zu wecken und hat erkennen müssen, daß sie
todt sei. Von dem Tage an ist die Brauer-Lene zum
ersten Male im Brauhause gesehn worden, und von dem
Tage an ist trotz aller Hexereien kein Bier mehr gerathen.
Der alte Brauer ist aus Kummer darüber erkrankt und
gestorben; einer seiner Söhne, ein sehr geschickter Brauer,
ist an seine Stelle getreten und hat auch nichts zu Stande
gebracht als die Schwindsucht am eigenen sonst so starken
Leibe. Die Brauer-Lene ist alle Tage magerer geworden
und hat am Ende wie eine trockne Schindel mit rothen
Rändern ausgesehn. Man hat der Familie das Amt ab-
nehmen müssen, und sie hat sich zerstreut in alle Winde --
vom Tode der Lene haben sich die wunderlichsten Sagen
verbreitet, wohlunterrichtete alte Weiber aber sagen, sie

Laube, dram. Werke. III. 2

Einleitung.
den Malzboden, wir hoͤrten ihn fortſchluͤrfen, und je fer-
ner dies wurde, deſto tiefer fielen die Augenlider der
Mutter Schoͤnknechten, und wenn man ihn nicht mehr
hoͤrte, dann ſchlief ſie wieder feſt, und ich ſank ebenfalls
in Schlummer, eine Wacht wie die Garantie einer Staats-
verfaſſung: ein altes Muͤtterchen und ein kleiner Bub,
Gott muß fuͤr Alles ſtehen!

Dieſe daͤmoniſchen Verhaͤltniſſe im Brau- und Malz-
hauſe haben nach der Verſicherung meiner Mutter an die
dreißig Jahre geſpielt, und dabei hat die Stadt immer gu-
tes Bier gehabt. Ploͤtzlich iſt einmal des Morgens die
Mutter Schoͤnknechten ein wenig angelehnt gefunden wor-
den; man hat ſich gewundert, iſt in ihr Loch hinabgeſtie-
gen, um ſie zu wecken und hat erkennen muͤſſen, daß ſie
todt ſei. Von dem Tage an iſt die Brauer-Lene zum
erſten Male im Brauhauſe geſehn worden, und von dem
Tage an iſt trotz aller Hexereien kein Bier mehr gerathen.
Der alte Brauer iſt aus Kummer daruͤber erkrankt und
geſtorben; einer ſeiner Soͤhne, ein ſehr geſchickter Brauer,
iſt an ſeine Stelle getreten und hat auch nichts zu Stande
gebracht als die Schwindſucht am eigenen ſonſt ſo ſtarken
Leibe. Die Brauer-Lene iſt alle Tage magerer geworden
und hat am Ende wie eine trockne Schindel mit rothen
Raͤndern ausgeſehn. Man hat der Familie das Amt ab-
nehmen muͤſſen, und ſie hat ſich zerſtreut in alle Winde —
vom Tode der Lene haben ſich die wunderlichſten Sagen
verbreitet, wohlunterrichtete alte Weiber aber ſagen, ſie

Laube, dram. Werke. III. 2
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[17/0023] Einleitung. den Malzboden, wir hoͤrten ihn fortſchluͤrfen, und je fer- ner dies wurde, deſto tiefer fielen die Augenlider der Mutter Schoͤnknechten, und wenn man ihn nicht mehr hoͤrte, dann ſchlief ſie wieder feſt, und ich ſank ebenfalls in Schlummer, eine Wacht wie die Garantie einer Staats- verfaſſung: ein altes Muͤtterchen und ein kleiner Bub, Gott muß fuͤr Alles ſtehen! Dieſe daͤmoniſchen Verhaͤltniſſe im Brau- und Malz- hauſe haben nach der Verſicherung meiner Mutter an die dreißig Jahre geſpielt, und dabei hat die Stadt immer gu- tes Bier gehabt. Ploͤtzlich iſt einmal des Morgens die Mutter Schoͤnknechten ein wenig angelehnt gefunden wor- den; man hat ſich gewundert, iſt in ihr Loch hinabgeſtie- gen, um ſie zu wecken und hat erkennen muͤſſen, daß ſie todt ſei. Von dem Tage an iſt die Brauer-Lene zum erſten Male im Brauhauſe geſehn worden, und von dem Tage an iſt trotz aller Hexereien kein Bier mehr gerathen. Der alte Brauer iſt aus Kummer daruͤber erkrankt und geſtorben; einer ſeiner Soͤhne, ein ſehr geſchickter Brauer, iſt an ſeine Stelle getreten und hat auch nichts zu Stande gebracht als die Schwindſucht am eigenen ſonſt ſo ſtarken Leibe. Die Brauer-Lene iſt alle Tage magerer geworden und hat am Ende wie eine trockne Schindel mit rothen Raͤndern ausgeſehn. Man hat der Familie das Amt ab- nehmen muͤſſen, und ſie hat ſich zerſtreut in alle Winde — vom Tode der Lene haben ſich die wunderlichſten Sagen verbreitet, wohlunterrichtete alte Weiber aber ſagen, ſie Laube, dram. Werke. III. 2

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/23>, abgerufen am 29.03.2024.