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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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äußersten Winkel eines einsamen Dorfes
verbarg, um die ersten Triumphtage des
Fürsten vorbeyrauschen zu lassen, hatte
das Fräulein den edelsten Widerstand ge-
macht, hatte aus Kummer beynahe das
Leben verloren, und war endlich aus dem
Hause ihres Oheims entwichen, weil man
sie nicht auf ihre Güter gehen lassen woll-
te. Einen Monat nach diesem Vorgang
kam ich abgezehrt und finster zurück;
Mylord empfieng mich mit väterlicher
Zuneigung; er sagte mir alle Sorgen, die
ich ihm verursacht hätte, auch daß er auf
den Gedanken gerathen sey, ich möchte
das Fräulein entführt haben.

Wollte Gott, Sie hätten mir's erlaubt,
rief ich; ich wäre nicht so elend. Aber
reden Sie mir nicht mehr von ihr.

Er umarmte mich und sagte:

Lieber Carl, du mußt doch hören was
geschehen ist. Sie war doch edel, tu-
gendhaft, alles was uns zu ihrem Nach-
theil gesagt wurde, war Betrug, und sie
ist entflohen.

Meine


aͤußerſten Winkel eines einſamen Dorfes
verbarg, um die erſten Triumphtage des
Fuͤrſten vorbeyrauſchen zu laſſen, hatte
das Fraͤulein den edelſten Widerſtand ge-
macht, hatte aus Kummer beynahe das
Leben verloren, und war endlich aus dem
Hauſe ihres Oheims entwichen, weil man
ſie nicht auf ihre Guͤter gehen laſſen woll-
te. Einen Monat nach dieſem Vorgang
kam ich abgezehrt und finſter zuruͤck;
Mylord empfieng mich mit vaͤterlicher
Zuneigung; er ſagte mir alle Sorgen, die
ich ihm verurſacht haͤtte, auch daß er auf
den Gedanken gerathen ſey, ich moͤchte
das Fraͤulein entfuͤhrt haben.

Wollte Gott, Sie haͤtten mir’s erlaubt,
rief ich; ich waͤre nicht ſo elend. Aber
reden Sie mir nicht mehr von ihr.

Er umarmte mich und ſagte:

Lieber Carl, du mußt doch hoͤren was
geſchehen iſt. Sie war doch edel, tu-
gendhaft, alles was uns zu ihrem Nach-
theil geſagt wurde, war Betrug, und ſie
iſt entflohen.

Meine
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[6/0012] aͤußerſten Winkel eines einſamen Dorfes verbarg, um die erſten Triumphtage des Fuͤrſten vorbeyrauſchen zu laſſen, hatte das Fraͤulein den edelſten Widerſtand ge- macht, hatte aus Kummer beynahe das Leben verloren, und war endlich aus dem Hauſe ihres Oheims entwichen, weil man ſie nicht auf ihre Guͤter gehen laſſen woll- te. Einen Monat nach dieſem Vorgang kam ich abgezehrt und finſter zuruͤck; Mylord empfieng mich mit vaͤterlicher Zuneigung; er ſagte mir alle Sorgen, die ich ihm verurſacht haͤtte, auch daß er auf den Gedanken gerathen ſey, ich moͤchte das Fraͤulein entfuͤhrt haben. Wollte Gott, Sie haͤtten mir’s erlaubt, rief ich; ich waͤre nicht ſo elend. Aber reden Sie mir nicht mehr von ihr. Er umarmte mich und ſagte: Lieber Carl, du mußt doch hoͤren was geſchehen iſt. Sie war doch edel, tu- gendhaft, alles was uns zu ihrem Nach- theil geſagt wurde, war Betrug, und ſie iſt entflohen. Meine

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/12>, abgerufen am 29.03.2024.