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Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916.

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Gerechtigkeitsmotiv zum Schweigen zu bringen. Da ist
zunächst die Phrase von der absoluten Gleichwertigkeit der
weiblichen und männlichen Persönlichkeit, die die völlige
Gleichstellung der Geschlechter zu einer Forderung der ein-
fachsten Gerechtigkeit mache. Die glutrote Kriegsfackel be-
leuchtet dieses Problem mit einem scharfen Lichte, das den
Augen der Rechtlerinnen einigermaßen schmerzend sein
dürfte. - Die moderne Kultur ist weit genug vorge-
schritten, um die Frau als sittlich freie Persönlichkeit an-
zuerkennen, die innerhalb des ihr zugewiesenen Kreises ein
nach eigenen Grundsätzen und Plänen gestaltetes, mehr
oder weniger unabhängiges Dasein zu leben vermag.
Aber diejenige absolute Gleichheit der männlichen und der
weiblichen Persönlichkeit, die zur Forderung der politischen
Gleichstellung der Geschlechter geführt hat, ist ein Phantasie-
gebilde. Das Weib bleibt im Kampfe ums Dasein
unter allen Umständen in gewissem Grade unfrei
und vom Schutze und der Fürsorge des Mannes
abhängig
. Zum Begriff der vollkommenen Persönlichkeit
im rein menschlichen Sinne gehört vor allem andern auch
die Fähigkeit, bei physischen, die Existenz bedrohenden An-
griffen der Außenwelt unter allen Umständen sich selbst
(persönlich) zu behaupten, sei es auch mit Drangabe
des Lebens. Wenn es in Friedenszeiten so scheint, als ob
die alleinstehende Frau sich selbst zu schützen vermöchte,
so übersieht man, daß hier die Gesetze und Schutzorgane
des männlichen Staates helfend eingreifen. Wenn aber
wie heutzutage, der Krieg das Völkerrecht über den Haufen
wirft, wenn die Not zwingt, die Staatsgesetze zeitweilig
aufzuheben, wenn es offenbar wird, daß der Staat in

Gerechtigkeitsmotiv zum Schweigen zu bringen. Da ist
zunächst die Phrase von der absoluten Gleichwertigkeit der
weiblichen und männlichen Persönlichkeit, die die völlige
Gleichstellung der Geschlechter zu einer Forderung der ein-
fachsten Gerechtigkeit mache. Die glutrote Kriegsfackel be-
leuchtet dieses Problem mit einem scharfen Lichte, das den
Augen der Rechtlerinnen einigermaßen schmerzend sein
dürfte. – Die moderne Kultur ist weit genug vorge-
schritten, um die Frau als sittlich freie Persönlichkeit an-
zuerkennen, die innerhalb des ihr zugewiesenen Kreises ein
nach eigenen Grundsätzen und Plänen gestaltetes, mehr
oder weniger unabhängiges Dasein zu leben vermag.
Aber diejenige absolute Gleichheit der männlichen und der
weiblichen Persönlichkeit, die zur Forderung der politischen
Gleichstellung der Geschlechter geführt hat, ist ein Phantasie-
gebilde. Das Weib bleibt im Kampfe ums Dasein
unter allen Umständen in gewissem Grade unfrei
und vom Schutze und der Fürsorge des Mannes
abhängig
. Zum Begriff der vollkommenen Persönlichkeit
im rein menschlichen Sinne gehört vor allem andern auch
die Fähigkeit, bei physischen, die Existenz bedrohenden An-
griffen der Außenwelt unter allen Umständen sich selbst
(persönlich) zu behaupten, sei es auch mit Drangabe
des Lebens. Wenn es in Friedenszeiten so scheint, als ob
die alleinstehende Frau sich selbst zu schützen vermöchte,
so übersieht man, daß hier die Gesetze und Schutzorgane
des männlichen Staates helfend eingreifen. Wenn aber
wie heutzutage, der Krieg das Völkerrecht über den Haufen
wirft, wenn die Not zwingt, die Staatsgesetze zeitweilig
aufzuheben, wenn es offenbar wird, daß der Staat in

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[19/0021] Gerechtigkeitsmotiv zum Schweigen zu bringen. Da ist zunächst die Phrase von der absoluten Gleichwertigkeit der weiblichen und männlichen Persönlichkeit, die die völlige Gleichstellung der Geschlechter zu einer Forderung der ein- fachsten Gerechtigkeit mache. Die glutrote Kriegsfackel be- leuchtet dieses Problem mit einem scharfen Lichte, das den Augen der Rechtlerinnen einigermaßen schmerzend sein dürfte. – Die moderne Kultur ist weit genug vorge- schritten, um die Frau als sittlich freie Persönlichkeit an- zuerkennen, die innerhalb des ihr zugewiesenen Kreises ein nach eigenen Grundsätzen und Plänen gestaltetes, mehr oder weniger unabhängiges Dasein zu leben vermag. Aber diejenige absolute Gleichheit der männlichen und der weiblichen Persönlichkeit, die zur Forderung der politischen Gleichstellung der Geschlechter geführt hat, ist ein Phantasie- gebilde. Das Weib bleibt im Kampfe ums Dasein unter allen Umständen in gewissem Grade unfrei und vom Schutze und der Fürsorge des Mannes abhängig. Zum Begriff der vollkommenen Persönlichkeit im rein menschlichen Sinne gehört vor allem andern auch die Fähigkeit, bei physischen, die Existenz bedrohenden An- griffen der Außenwelt unter allen Umständen sich selbst (persönlich) zu behaupten, sei es auch mit Drangabe des Lebens. Wenn es in Friedenszeiten so scheint, als ob die alleinstehende Frau sich selbst zu schützen vermöchte, so übersieht man, daß hier die Gesetze und Schutzorgane des männlichen Staates helfend eingreifen. Wenn aber wie heutzutage, der Krieg das Völkerrecht über den Haufen wirft, wenn die Not zwingt, die Staatsgesetze zeitweilig aufzuheben, wenn es offenbar wird, daß der Staat in  

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Zitationshilfe: Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/21>, abgerufen am 18.04.2024.