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Langemann, Ludwig: Das Frauenstimmrecht und seine Bekämpfung. Berlin, [1913] (= Schriften des Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, Bd. 4).

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bewegung noch ein weit wertvolleres Geschenk durch das neue
Reichsvereinsgesetz, welches die Zulassung der Frauen zu den
politischen Vereinen aussprach. Dieses Zugeständnis war ent-
scheidend für die weitere Entwicklung und führte direkt auf den
Weg, den bisher alle Frauenstimmrechtsländer gegangen sind,
und den auch wir gehen werden, wenn wir nicht, wie Lucia
Dora Frost sagt, die Richtung unserer Frauenpolitik um 180° ver-
schieben. War vor dem Jahre 1908 die radikale Frauenbewegung
in ihrem Vorwärtskommen auf das Wohlwollen der Regierung
angewiesen, so fand sie nach Erlaß des Vereinsgesetzes einen
festen Halt an den Parteien und konnte jetzt der Regierung als
selbständige Macht entgegentreten. Am auffälligsten trat dieser
Umschwung zur Unbescheidenheit in dem anmaßlichen Protest
gegen die Königsberger Kaiserrede von 1910 hervor, in welcher
sich der Kaiser gegen die Politisierung der Frau aussprach. Nach
dem Jahre 1908 begann das bekannte Spiel der politischen Par-
teien mit der Frauenbewegung, ein Spiel der Katze mit der
Maus, bei welcher die Parteien die wenig beneidenswerte Rolle
der Maus übernehmen, die schließlich gefressen wird. - Wer
sich an einem klassischen Beispiel davon überzeugen will, wie
dieses Spiel gesetzmäßig verläuft, der sehe nach England hin.
Seit 40 Jahren haben dort die Politiker beider Parteien es für
eine besonders schlaue Taktik gehalten, wenn sie sich bei den
Wahlen der Hilfe politisch interessierter Frauen bedienten. Man
hielt die Sache für harmlos und war auch gern bereit, den
Damen als Gegengabe kleinere und größere Geschenke zu machen.
Die Frauen erhielten sämtliche Bildungs- und Erwerbs-
möglichkeiten, sie durften auch Rechtsanwälte, Bürgermeister und
Prediger werden; man gab ihnen das kirchliche und ein be-
schränktes Gemeindewahlrecht und stellte ihnen auch bei Gelegen-
heit das staatliche Stimmrecht in Aussicht, ohne zunächst an die
Einlösung des Wechsels zu denken. Die Eifersucht der Parteien
und die fortschreitende Feminisierung der ganzen Nation führte
schließlich zu den Frauenstimmrechtsanträgen im Parlament, bis
denn auch die Regierung selbst durch den Druck der Parteien ge-
nötigt wurde, sich ernstlich mit der Frage zu befassen. - Nun
begann ein gänzlich unwürdiges Spiel der Verschleppung und
Vereitlung, und durch allerlei Kniffe wußte man es stets zu ver-
hindern, daß die Frauenstimmrechtsbill über die zweite Lesung
hinauskam. Man sieht, die Furcht vor dem Frauenstimmrecht
war schließlich bei allen Parteien gleich groß; sobald die Katze
wirklich Ernst machte, wußte die Maus zu entschlüpfen. Diesem
schlimmen Spiel haben die fenstereinschlagenden und brand-

bewegung noch ein weit wertvolleres Geschenk durch das neue
Reichsvereinsgesetz, welches die Zulassung der Frauen zu den
politischen Vereinen aussprach. Dieses Zugeständnis war ent-
scheidend für die weitere Entwicklung und führte direkt auf den
Weg, den bisher alle Frauenstimmrechtsländer gegangen sind,
und den auch wir gehen werden, wenn wir nicht, wie Lucia
Dora Frost sagt, die Richtung unserer Frauenpolitik um 180° ver-
schieben. War vor dem Jahre 1908 die radikale Frauenbewegung
in ihrem Vorwärtskommen auf das Wohlwollen der Regierung
angewiesen, so fand sie nach Erlaß des Vereinsgesetzes einen
festen Halt an den Parteien und konnte jetzt der Regierung als
selbständige Macht entgegentreten. Am auffälligsten trat dieser
Umschwung zur Unbescheidenheit in dem anmaßlichen Protest
gegen die Königsberger Kaiserrede von 1910 hervor, in welcher
sich der Kaiser gegen die Politisierung der Frau aussprach. Nach
dem Jahre 1908 begann das bekannte Spiel der politischen Par-
teien mit der Frauenbewegung, ein Spiel der Katze mit der
Maus, bei welcher die Parteien die wenig beneidenswerte Rolle
der Maus übernehmen, die schließlich gefressen wird. – Wer
sich an einem klassischen Beispiel davon überzeugen will, wie
dieses Spiel gesetzmäßig verläuft, der sehe nach England hin.
Seit 40 Jahren haben dort die Politiker beider Parteien es für
eine besonders schlaue Taktik gehalten, wenn sie sich bei den
Wahlen der Hilfe politisch interessierter Frauen bedienten. Man
hielt die Sache für harmlos und war auch gern bereit, den
Damen als Gegengabe kleinere und größere Geschenke zu machen.
Die Frauen erhielten sämtliche Bildungs- und Erwerbs-
möglichkeiten, sie durften auch Rechtsanwälte, Bürgermeister und
Prediger werden; man gab ihnen das kirchliche und ein be-
schränktes Gemeindewahlrecht und stellte ihnen auch bei Gelegen-
heit das staatliche Stimmrecht in Aussicht, ohne zunächst an die
Einlösung des Wechsels zu denken. Die Eifersucht der Parteien
und die fortschreitende Feminisierung der ganzen Nation führte
schließlich zu den Frauenstimmrechtsanträgen im Parlament, bis
denn auch die Regierung selbst durch den Druck der Parteien ge-
nötigt wurde, sich ernstlich mit der Frage zu befassen. – Nun
begann ein gänzlich unwürdiges Spiel der Verschleppung und
Vereitlung, und durch allerlei Kniffe wußte man es stets zu ver-
hindern, daß die Frauenstimmrechtsbill über die zweite Lesung
hinauskam. Man sieht, die Furcht vor dem Frauenstimmrecht
war schließlich bei allen Parteien gleich groß; sobald die Katze
wirklich Ernst machte, wußte die Maus zu entschlüpfen. Diesem
schlimmen Spiel haben die fenstereinschlagenden und brand-

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[4/0004] bewegung noch ein weit wertvolleres Geschenk durch das neue Reichsvereinsgesetz, welches die Zulassung der Frauen zu den politischen Vereinen aussprach. Dieses Zugeständnis war ent- scheidend für die weitere Entwicklung und führte direkt auf den Weg, den bisher alle Frauenstimmrechtsländer gegangen sind, und den auch wir gehen werden, wenn wir nicht, wie Lucia Dora Frost sagt, die Richtung unserer Frauenpolitik um 180° ver- schieben. War vor dem Jahre 1908 die radikale Frauenbewegung in ihrem Vorwärtskommen auf das Wohlwollen der Regierung angewiesen, so fand sie nach Erlaß des Vereinsgesetzes einen festen Halt an den Parteien und konnte jetzt der Regierung als selbständige Macht entgegentreten. Am auffälligsten trat dieser Umschwung zur Unbescheidenheit in dem anmaßlichen Protest gegen die Königsberger Kaiserrede von 1910 hervor, in welcher sich der Kaiser gegen die Politisierung der Frau aussprach. Nach dem Jahre 1908 begann das bekannte Spiel der politischen Par- teien mit der Frauenbewegung, ein Spiel der Katze mit der Maus, bei welcher die Parteien die wenig beneidenswerte Rolle der Maus übernehmen, die schließlich gefressen wird. – Wer sich an einem klassischen Beispiel davon überzeugen will, wie dieses Spiel gesetzmäßig verläuft, der sehe nach England hin. Seit 40 Jahren haben dort die Politiker beider Parteien es für eine besonders schlaue Taktik gehalten, wenn sie sich bei den Wahlen der Hilfe politisch interessierter Frauen bedienten. Man hielt die Sache für harmlos und war auch gern bereit, den Damen als Gegengabe kleinere und größere Geschenke zu machen. Die Frauen erhielten sämtliche Bildungs- und Erwerbs- möglichkeiten, sie durften auch Rechtsanwälte, Bürgermeister und Prediger werden; man gab ihnen das kirchliche und ein be- schränktes Gemeindewahlrecht und stellte ihnen auch bei Gelegen- heit das staatliche Stimmrecht in Aussicht, ohne zunächst an die Einlösung des Wechsels zu denken. Die Eifersucht der Parteien und die fortschreitende Feminisierung der ganzen Nation führte schließlich zu den Frauenstimmrechtsanträgen im Parlament, bis denn auch die Regierung selbst durch den Druck der Parteien ge- nötigt wurde, sich ernstlich mit der Frage zu befassen. – Nun begann ein gänzlich unwürdiges Spiel der Verschleppung und Vereitlung, und durch allerlei Kniffe wußte man es stets zu ver- hindern, daß die Frauenstimmrechtsbill über die zweite Lesung hinauskam. Man sieht, die Furcht vor dem Frauenstimmrecht war schließlich bei allen Parteien gleich groß; sobald die Katze wirklich Ernst machte, wußte die Maus zu entschlüpfen. Diesem schlimmen Spiel haben die fenstereinschlagenden und brand-

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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-02-05T14:39:49Z)

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Zitationshilfe: Langemann, Ludwig: Das Frauenstimmrecht und seine Bekämpfung. Berlin, [1913] (= Schriften des Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, Bd. 4), S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1913/4>, abgerufen am 19.04.2024.