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Lange, Helene: Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht. In: Die Frau (1918), S. 353–354.

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Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht.
steht doch zu vermuten, daß die weiblichen Kandidaten noch in einem anderen Sinne
Scheinkandidaturen gewesen sind. Man wird ihnen nicht gerade die sichersten Plätze
gegeben haben. Man wird ihnen solche überlassen haben, die ohnehin für die Partei
nicht zu holen waren, oder man wird - bei dem erstmalig angewandten System der Ver-
hältniswahl - ihre Namen wohl ziemlich ans Ende der von den Parteien aufgestellten Listen
gestellt haben. Mit den sichersten Posten bedenkt man natürlich die alten Parteistützen. Und die
einzige Partei, der es ernst ist mit dem Frauenstimmrecht, bringt ihre Kandidatin durch.
Gerade, was man als ein Argument gegen das aktive Frauenwahlrecht von manchen Seiten
anführt, daß es den Sozialdemokraten zugute kommen würde, erweist sich tatsächlich als eine
Folge des passiven Wahlrechts. Vollkommen begreiflich. Jn der von uns vertretenen
Stellung zum Vorschlag eines nur passiven Wahlrechts ist diese Vermutung schon aus-
gesprochen gewesen. Denn noch sicherer als ihrer Frauen, ist natürlich die Sozialdemokratie
ihrer Männer. Sie wählen lückenlos und programmäßig. Lückenloser und programmäßiger
als die politisch noch nicht eingereihten Frauen. Dänemark hat das allgemeine Wahlrecht,
ein direktes zum Volksthing, ein indirektes zum Landsthing. Trotzdem hat das Frauen-
stimmrecht eine Verstärkung der Sozialdemokratie nicht gebracht. Wir haben die genaue
Statistik der abgegebenen Stimmen noch nicht. Aber es darf vielleicht angenommen werden,
daß sich bei diesen Wahlen dieselbe Erscheinung zeigt, wie bei den dänischen Kommunal-
wahlen: die stärkste Wahlbeteiligung der Frauen liegt nicht in der untersten Schicht, sondern
im Kleinbürgertum und im neuen Mittelstand.

Es wird interessant sein, Stimmen von holländischen Frauen über diesen Wahlkampf
zu hören. Jch könnte mir keine qualvollere, unwürdigere Situation vorstellen, wie die der
holländischen Frauen: mit gebundenen Händen zusehen, wie diese von der Parteien Gnaden
aufgestellten Vertreterinnen ihres Geschlechts zwischen die Räder geraten. Es ist beinahe
schlimmer als gar kein Wahlrecht überhaupt, dieses Zugeständnis: ihr sollt zwar euere Ver-
treterinnen haben, aber sie nicht mit bestimmen. Wir werden sie euch aussuchen. Und dann
dieser Wahlkampf. Was konnten die Frauen tun, um ihre Vertreterinnen zu stützen? Bei
den Wählern herumlaufen und sie bitten, ihre Gnade über ihnen leuchten zu lassen! Ein
solcher Wahlkampf muß sich ja zu einer großen handgreiflichen Demütigung für die Frauen
auswachsen, einer ausdrücklichen Demonstration ihrer Abhängigkeit. Eine holländische Zeit-
schrift bemerkt liebenswürdig zu dem Ausgang, es sei gewiß bedauerlich, daß nur eine Frau
ins Parlament gekommen sei, aber man müsse sich damit trösten, daß, nachdem ein Schaf über
den Deich sei, die anderen schon nachspringen würden. Dieses Bild stimmt in keinem Sinne,
ob man es auf die Männer oder auf die Frauen deuten mag. Die Frauen können nicht
gemeint sein, denn sie waren ja bereit, über den Deich zu springen, bei den Männern aber
wird es nicht so kommen, das der einen Wählerschaft, die es einmal riskiert hat, eine Frau
ins Parlament zu bringen, erheblich andere folgen werden - abgesehen davon, daß am Ende
auch den Frauen die Lust vergehen dürfte, vor einer Wählerschaft zu kandidieren, die im
letzten Sinne nicht wissen kann, wozu sie eigentlich die Frau wählt.

Man empfindet angesichts dieser holländischen Vorgänge ganz die Sinnlosigkeit dieses
Rechts. Jch wähle einen Menschen, damit er mich vertritt. Frauen, die gewählt werden
sollen, damit sie Männer vertreten, oder Männer, die wählen, damit Frauen vertreten sind -
eine Vertretung, die grundsätzlich abgelöst ist von denen, um deretwillen sie da sein soll: das
hebt den Sinn des Wahlrechts eigentlich auf. Wenn man für nötig hält, daß Frauen im
Parlament sind, so tut man es in erster Linie um der Vertretung weiblicher Angelegen-
heiten willen. Dann müssen sie aber von Frauen gewählt werden, sonst wird das Recht zur
Farce, zu der sich auch auf die Dauer kein Mensch mit Selbstachtung hergeben kann. Der
holländische Gesetzgeber, der nach der Kölnischen Zeitung "von der Objektivität der Männer
erwartet hat, daß sie hervorragenden Frauen Gelegenheit geben würden, im Parlament ihre
Erfahrung zur Geltung zu bringen", muß eine Enttäuschung verzeichnen. Möge sie intra-
muros et extra dem frommen Jllusionsbedürfnis zur Lehre dienen, das sich ähnlicher Hoff-
nungen getröstet.



Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht.
steht doch zu vermuten, daß die weiblichen Kandidaten noch in einem anderen Sinne
Scheinkandidaturen gewesen sind. Man wird ihnen nicht gerade die sichersten Plätze
gegeben haben. Man wird ihnen solche überlassen haben, die ohnehin für die Partei
nicht zu holen waren, oder man wird – bei dem erstmalig angewandten System der Ver-
hältniswahl – ihre Namen wohl ziemlich ans Ende der von den Parteien aufgestellten Listen
gestellt haben. Mit den sichersten Posten bedenkt man natürlich die alten Parteistützen. Und die
einzige Partei, der es ernst ist mit dem Frauenstimmrecht, bringt ihre Kandidatin durch.
Gerade, was man als ein Argument gegen das aktive Frauenwahlrecht von manchen Seiten
anführt, daß es den Sozialdemokraten zugute kommen würde, erweist sich tatsächlich als eine
Folge des passiven Wahlrechts. Vollkommen begreiflich. Jn der von uns vertretenen
Stellung zum Vorschlag eines nur passiven Wahlrechts ist diese Vermutung schon aus-
gesprochen gewesen. Denn noch sicherer als ihrer Frauen, ist natürlich die Sozialdemokratie
ihrer Männer. Sie wählen lückenlos und programmäßig. Lückenloser und programmäßiger
als die politisch noch nicht eingereihten Frauen. Dänemark hat das allgemeine Wahlrecht,
ein direktes zum Volksthing, ein indirektes zum Landsthing. Trotzdem hat das Frauen-
stimmrecht eine Verstärkung der Sozialdemokratie nicht gebracht. Wir haben die genaue
Statistik der abgegebenen Stimmen noch nicht. Aber es darf vielleicht angenommen werden,
daß sich bei diesen Wahlen dieselbe Erscheinung zeigt, wie bei den dänischen Kommunal-
wahlen: die stärkste Wahlbeteiligung der Frauen liegt nicht in der untersten Schicht, sondern
im Kleinbürgertum und im neuen Mittelstand.

Es wird interessant sein, Stimmen von holländischen Frauen über diesen Wahlkampf
zu hören. Jch könnte mir keine qualvollere, unwürdigere Situation vorstellen, wie die der
holländischen Frauen: mit gebundenen Händen zusehen, wie diese von der Parteien Gnaden
aufgestellten Vertreterinnen ihres Geschlechts zwischen die Räder geraten. Es ist beinahe
schlimmer als gar kein Wahlrecht überhaupt, dieses Zugeständnis: ihr sollt zwar euere Ver-
treterinnen haben, aber sie nicht mit bestimmen. Wir werden sie euch aussuchen. Und dann
dieser Wahlkampf. Was konnten die Frauen tun, um ihre Vertreterinnen zu stützen? Bei
den Wählern herumlaufen und sie bitten, ihre Gnade über ihnen leuchten zu lassen! Ein
solcher Wahlkampf muß sich ja zu einer großen handgreiflichen Demütigung für die Frauen
auswachsen, einer ausdrücklichen Demonstration ihrer Abhängigkeit. Eine holländische Zeit-
schrift bemerkt liebenswürdig zu dem Ausgang, es sei gewiß bedauerlich, daß nur eine Frau
ins Parlament gekommen sei, aber man müsse sich damit trösten, daß, nachdem ein Schaf über
den Deich sei, die anderen schon nachspringen würden. Dieses Bild stimmt in keinem Sinne,
ob man es auf die Männer oder auf die Frauen deuten mag. Die Frauen können nicht
gemeint sein, denn sie waren ja bereit, über den Deich zu springen, bei den Männern aber
wird es nicht so kommen, das der einen Wählerschaft, die es einmal riskiert hat, eine Frau
ins Parlament zu bringen, erheblich andere folgen werden – abgesehen davon, daß am Ende
auch den Frauen die Lust vergehen dürfte, vor einer Wählerschaft zu kandidieren, die im
letzten Sinne nicht wissen kann, wozu sie eigentlich die Frau wählt.

Man empfindet angesichts dieser holländischen Vorgänge ganz die Sinnlosigkeit dieses
Rechts. Jch wähle einen Menschen, damit er mich vertritt. Frauen, die gewählt werden
sollen, damit sie Männer vertreten, oder Männer, die wählen, damit Frauen vertreten sind –
eine Vertretung, die grundsätzlich abgelöst ist von denen, um deretwillen sie da sein soll: das
hebt den Sinn des Wahlrechts eigentlich auf. Wenn man für nötig hält, daß Frauen im
Parlament sind, so tut man es in erster Linie um der Vertretung weiblicher Angelegen-
heiten willen. Dann müssen sie aber von Frauen gewählt werden, sonst wird das Recht zur
Farce, zu der sich auch auf die Dauer kein Mensch mit Selbstachtung hergeben kann. Der
holländische Gesetzgeber, der nach der Kölnischen Zeitung „von der Objektivität der Männer
erwartet hat, daß sie hervorragenden Frauen Gelegenheit geben würden, im Parlament ihre
Erfahrung zur Geltung zu bringen“, muß eine Enttäuschung verzeichnen. Möge sie intra-
muros et extra dem frommen Jllusionsbedürfnis zur Lehre dienen, das sich ähnlicher Hoff-
nungen getröstet.



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[354/0002] Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht. steht doch zu vermuten, daß die weiblichen Kandidaten noch in einem anderen Sinne Scheinkandidaturen gewesen sind. Man wird ihnen nicht gerade die sichersten Plätze gegeben haben. Man wird ihnen solche überlassen haben, die ohnehin für die Partei nicht zu holen waren, oder man wird – bei dem erstmalig angewandten System der Ver- hältniswahl – ihre Namen wohl ziemlich ans Ende der von den Parteien aufgestellten Listen gestellt haben. Mit den sichersten Posten bedenkt man natürlich die alten Parteistützen. Und die einzige Partei, der es ernst ist mit dem Frauenstimmrecht, bringt ihre Kandidatin durch. Gerade, was man als ein Argument gegen das aktive Frauenwahlrecht von manchen Seiten anführt, daß es den Sozialdemokraten zugute kommen würde, erweist sich tatsächlich als eine Folge des passiven Wahlrechts. Vollkommen begreiflich. Jn der von uns vertretenen Stellung zum Vorschlag eines nur passiven Wahlrechts ist diese Vermutung schon aus- gesprochen gewesen. Denn noch sicherer als ihrer Frauen, ist natürlich die Sozialdemokratie ihrer Männer. Sie wählen lückenlos und programmäßig. Lückenloser und programmäßiger als die politisch noch nicht eingereihten Frauen. Dänemark hat das allgemeine Wahlrecht, ein direktes zum Volksthing, ein indirektes zum Landsthing. Trotzdem hat das Frauen- stimmrecht eine Verstärkung der Sozialdemokratie nicht gebracht. Wir haben die genaue Statistik der abgegebenen Stimmen noch nicht. Aber es darf vielleicht angenommen werden, daß sich bei diesen Wahlen dieselbe Erscheinung zeigt, wie bei den dänischen Kommunal- wahlen: die stärkste Wahlbeteiligung der Frauen liegt nicht in der untersten Schicht, sondern im Kleinbürgertum und im neuen Mittelstand. Es wird interessant sein, Stimmen von holländischen Frauen über diesen Wahlkampf zu hören. Jch könnte mir keine qualvollere, unwürdigere Situation vorstellen, wie die der holländischen Frauen: mit gebundenen Händen zusehen, wie diese von der Parteien Gnaden aufgestellten Vertreterinnen ihres Geschlechts zwischen die Räder geraten. Es ist beinahe schlimmer als gar kein Wahlrecht überhaupt, dieses Zugeständnis: ihr sollt zwar euere Ver- treterinnen haben, aber sie nicht mit bestimmen. Wir werden sie euch aussuchen. Und dann dieser Wahlkampf. Was konnten die Frauen tun, um ihre Vertreterinnen zu stützen? Bei den Wählern herumlaufen und sie bitten, ihre Gnade über ihnen leuchten zu lassen! Ein solcher Wahlkampf muß sich ja zu einer großen handgreiflichen Demütigung für die Frauen auswachsen, einer ausdrücklichen Demonstration ihrer Abhängigkeit. Eine holländische Zeit- schrift bemerkt liebenswürdig zu dem Ausgang, es sei gewiß bedauerlich, daß nur eine Frau ins Parlament gekommen sei, aber man müsse sich damit trösten, daß, nachdem ein Schaf über den Deich sei, die anderen schon nachspringen würden. Dieses Bild stimmt in keinem Sinne, ob man es auf die Männer oder auf die Frauen deuten mag. Die Frauen können nicht gemeint sein, denn sie waren ja bereit, über den Deich zu springen, bei den Männern aber wird es nicht so kommen, das der einen Wählerschaft, die es einmal riskiert hat, eine Frau ins Parlament zu bringen, erheblich andere folgen werden – abgesehen davon, daß am Ende auch den Frauen die Lust vergehen dürfte, vor einer Wählerschaft zu kandidieren, die im letzten Sinne nicht wissen kann, wozu sie eigentlich die Frau wählt. Man empfindet angesichts dieser holländischen Vorgänge ganz die Sinnlosigkeit dieses Rechts. Jch wähle einen Menschen, damit er mich vertritt. Frauen, die gewählt werden sollen, damit sie Männer vertreten, oder Männer, die wählen, damit Frauen vertreten sind – eine Vertretung, die grundsätzlich abgelöst ist von denen, um deretwillen sie da sein soll: das hebt den Sinn des Wahlrechts eigentlich auf. Wenn man für nötig hält, daß Frauen im Parlament sind, so tut man es in erster Linie um der Vertretung weiblicher Angelegen- heiten willen. Dann müssen sie aber von Frauen gewählt werden, sonst wird das Recht zur Farce, zu der sich auch auf die Dauer kein Mensch mit Selbstachtung hergeben kann. Der holländische Gesetzgeber, der nach der Kölnischen Zeitung „von der Objektivität der Männer erwartet hat, daß sie hervorragenden Frauen Gelegenheit geben würden, im Parlament ihre Erfahrung zur Geltung zu bringen“, muß eine Enttäuschung verzeichnen. Möge sie intra- muros et extra dem frommen Jllusionsbedürfnis zur Lehre dienen, das sich ähnlicher Hoff- nungen getröstet.

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht. In: Die Frau (1918), S. 353–354, hier S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_stichprobe_1918/2>, abgerufen am 29.03.2024.