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Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904.

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einander noch nicht zum Problem geworden war. Wir haben eine
Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, weil diese Vorbedingungen jetzt
erfüllt sind, weil aus der vorangegangenen Kritik der Gesellschaft die
Maßstäbe für die moderne Gestaltung der Frauenfrage gewonnen sind.
Jn der Formulierung des 19. Jahrhunderts heißt nun die Frauen-
frage nicht: wie sind diese oder jene Gruppen von Frauen, die
unsere wirtschaftlichen Verhältnisse um ihre Existenzmöglichkeiten ge-
bracht haben, zu versorgen? sondern: wie ist die Lage der Frau in
ihren wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen in Einklang zu bringen
mit dem Selbstbewußtsein der vollgiltigen sittlichen Persönlichkeit, das
den eigentlichen Jnhalt der Menschenwürde ausmacht?



Die Frauen der Revolution, wie Olympe de Gouges und Mary
Wolstonecraft, die in der Sprache der Zeit die "Menschenrechte" für
die Frau forderten, dachten sich die Erfüllung ihrer Forderung leicht.
Brauchte doch der Mann nur die Rechte, die er selbst errang, auch
der Frau zu gewähren. Was dieser begrifflich so leicht aufzustellenden
Lösung tatsächlich im Wege stand, war jenen Jdealistinnen nicht klar.
Es lag in dem, was Burke damals der aus die Menschenrechte
gerichteten Geistesbewegung entgegenhielt: daß die gesellschaftliche
Ordnung nicht allein auf die Vernunft gegründet werden müsse,
sondern auf die menschliche Natur, von der die Vernunft nur
ein sehr kleiner Teil sei. Und wenn irgend eine soziale Reform
mit der Natur des Menschen zu rechnen hatte, so war es diese, die
in die persönlichsten, mit dem Jnstinktleben am engsten verbundenen
menschlichen Beziehungen eingreifen mußte. Und eben hier lagen die
stärksten widerstrebenden Mächte. Gewiß war der Gedanke sehr plausibel,
daß der Mann die Frau zur gleichberechtigten Bürgerin machen
könne, wenn er nur wolle. Aber es gehörte mehr geschichtlicher
Sinn dazu, als jene Zeit besaß, um zu begreifen, daß er es noch
gar nicht wollen konnte.

Jahrhunderte hindurch hatte die geistige Persönlichkeit der Frau -
immer von einzelnen feinen und hochstehenden Naturen abgesehen -
für den Mann keine entscheidende Rolle gespielt. Sein persönliches
Verhältnis zu ihr erhielt seine Färbung durchaus durch die Vor-

einander noch nicht zum Problem geworden war. Wir haben eine
Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, weil diese Vorbedingungen jetzt
erfüllt sind, weil aus der vorangegangenen Kritik der Gesellschaft die
Maßstäbe für die moderne Gestaltung der Frauenfrage gewonnen sind.
Jn der Formulierung des 19. Jahrhunderts heißt nun die Frauen-
frage nicht: wie sind diese oder jene Gruppen von Frauen, die
unsere wirtschaftlichen Verhältnisse um ihre Existenzmöglichkeiten ge-
bracht haben, zu versorgen? sondern: wie ist die Lage der Frau in
ihren wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen in Einklang zu bringen
mit dem Selbstbewußtsein der vollgiltigen sittlichen Persönlichkeit, das
den eigentlichen Jnhalt der Menschenwürde ausmacht?



Die Frauen der Revolution, wie Olympe de Gouges und Mary
Wolstonecraft, die in der Sprache der Zeit die „Menschenrechte“ für
die Frau forderten, dachten sich die Erfüllung ihrer Forderung leicht.
Brauchte doch der Mann nur die Rechte, die er selbst errang, auch
der Frau zu gewähren. Was dieser begrifflich so leicht aufzustellenden
Lösung tatsächlich im Wege stand, war jenen Jdealistinnen nicht klar.
Es lag in dem, was Burke damals der aus die Menschenrechte
gerichteten Geistesbewegung entgegenhielt: daß die gesellschaftliche
Ordnung nicht allein auf die Vernunft gegründet werden müsse,
sondern auf die menschliche Natur, von der die Vernunft nur
ein sehr kleiner Teil sei. Und wenn irgend eine soziale Reform
mit der Natur des Menschen zu rechnen hatte, so war es diese, die
in die persönlichsten, mit dem Jnstinktleben am engsten verbundenen
menschlichen Beziehungen eingreifen mußte. Und eben hier lagen die
stärksten widerstrebenden Mächte. Gewiß war der Gedanke sehr plausibel,
daß der Mann die Frau zur gleichberechtigten Bürgerin machen
könne, wenn er nur wolle. Aber es gehörte mehr geschichtlicher
Sinn dazu, als jene Zeit besaß, um zu begreifen, daß er es noch
gar nicht wollen konnte.

Jahrhunderte hindurch hatte die geistige Persönlichkeit der Frau –
immer von einzelnen feinen und hochstehenden Naturen abgesehen –
für den Mann keine entscheidende Rolle gespielt. Sein persönliches
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[8/0008] einander noch nicht zum Problem geworden war. Wir haben eine Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, weil diese Vorbedingungen jetzt erfüllt sind, weil aus der vorangegangenen Kritik der Gesellschaft die Maßstäbe für die moderne Gestaltung der Frauenfrage gewonnen sind. Jn der Formulierung des 19. Jahrhunderts heißt nun die Frauen- frage nicht: wie sind diese oder jene Gruppen von Frauen, die unsere wirtschaftlichen Verhältnisse um ihre Existenzmöglichkeiten ge- bracht haben, zu versorgen? sondern: wie ist die Lage der Frau in ihren wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen in Einklang zu bringen mit dem Selbstbewußtsein der vollgiltigen sittlichen Persönlichkeit, das den eigentlichen Jnhalt der Menschenwürde ausmacht? Die Frauen der Revolution, wie Olympe de Gouges und Mary Wolstonecraft, die in der Sprache der Zeit die „Menschenrechte“ für die Frau forderten, dachten sich die Erfüllung ihrer Forderung leicht. Brauchte doch der Mann nur die Rechte, die er selbst errang, auch der Frau zu gewähren. Was dieser begrifflich so leicht aufzustellenden Lösung tatsächlich im Wege stand, war jenen Jdealistinnen nicht klar. Es lag in dem, was Burke damals der aus die Menschenrechte gerichteten Geistesbewegung entgegenhielt: daß die gesellschaftliche Ordnung nicht allein auf die Vernunft gegründet werden müsse, sondern auf die menschliche Natur, von der die Vernunft nur ein sehr kleiner Teil sei. Und wenn irgend eine soziale Reform mit der Natur des Menschen zu rechnen hatte, so war es diese, die in die persönlichsten, mit dem Jnstinktleben am engsten verbundenen menschlichen Beziehungen eingreifen mußte. Und eben hier lagen die stärksten widerstrebenden Mächte. Gewiß war der Gedanke sehr plausibel, daß der Mann die Frau zur gleichberechtigten Bürgerin machen könne, wenn er nur wolle. Aber es gehörte mehr geschichtlicher Sinn dazu, als jene Zeit besaß, um zu begreifen, daß er es noch gar nicht wollen konnte. Jahrhunderte hindurch hatte die geistige Persönlichkeit der Frau – immer von einzelnen feinen und hochstehenden Naturen abgesehen – für den Mann keine entscheidende Rolle gespielt. Sein persönliches Verhältnis zu ihr erhielt seine Färbung durchaus durch die Vor-

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_endziel_1904/8>, abgerufen am 19.04.2024.