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Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904.

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und sozialen Lebens hinzuweisen, auf die Schwierigkeit, miteinander
Fühlung zu gewinnen, das Einzelschicksal als ein Massenschicksal
kennen zu lernen, die allgemeinen Ursachen dafür zu suchen und ihnen
gemeinsam entgegenzuarbeiten. Wo es sich um die wirtschaftliche
Notwehr handelt, haben wir ja solche Gemeinschaftsbildungen; aber
niemals geht das, was diese bezwecken, wofür sie unter Umständen
kämpfen, über die wirtschaftliche Notwehr hinaus, niemals erfassen
die Frauen ihre Lage unter dem Gesichtspunkt einer prinzipiellen Kritik
an der Verteilung von Existenzmöglichkeiten und Rechten unter die
Geschlechter, einer Kritik, die notwendig über das wirtschaftliche Ge-
biet hinaus auf andere Lebensverhältnisse hinübergegriffen hätte. Es
fehlt das geistige Moment, das diese rein wirtschaftlichen Kämpfe
erst zur Frauenbewegung im modernen Sinn gemacht hätte.

Und auch das ändert an dieser Tatsache nichts, daß auch in
früheren Jahrhunderten hier und da einmal eine starke weibliche
Jndividualität den für ihr Geschlecht gültigen Normen ihr instinktives
Selbstbewußtsein entgegensetzt. Jch erinnere nur an die hübsche
Hochzeitsszene in dem alten Spielmannsroman von Knodlieb. Der
Bräutigam reicht der Braut auf der Schwertspitze den Ring und
spricht dazu: "Wie der Ring den Finger von allen Seiten umfaßt,
so verpflichte ich dich zu fester und unwandelbarer Treue, die du mir
bewahren mußt oder das Leben lassen." Die Braut aber antwortete:
"Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Warum soll ich
dir bessere Treue bewahren als du mir? Adam hatte nur eine
Eva, so soll der Mann nur ein Weib haben. Du läßt dich mit
Buhlerinnen ein und willst doch nicht, daß ich eine sei. Jch werde
mich hüten, auf diese Bedingung einzugehen. Geh', leb' wohl und
sei so liederlich, wie du willst, aber ohne mich." Da mußte er
denn wohl nachgeben und sagte: "Wenn ich es jemals wieder tue,
so will ich die Güter verlieren, die ich dir geben werde, und du
sollst Macht haben, mich zu enthaupten." - "Unter dieser Be-
dingung", antwortete sie, "wollen wir uns offen und ehrlich ver-
binden."

Jst es nicht, als hörten wir Svava in Björnsons "Handschuh"?
Und doch ist hier eine weite Kluft. Denn aus der Frau der Spiel-
mannsdichtung spricht nicht das Geschlecht, sondern die einzelne
Jndividualität, die im Bewußtsein ihres besonderen Wertes ihre

und sozialen Lebens hinzuweisen, auf die Schwierigkeit, miteinander
Fühlung zu gewinnen, das Einzelschicksal als ein Massenschicksal
kennen zu lernen, die allgemeinen Ursachen dafür zu suchen und ihnen
gemeinsam entgegenzuarbeiten. Wo es sich um die wirtschaftliche
Notwehr handelt, haben wir ja solche Gemeinschaftsbildungen; aber
niemals geht das, was diese bezwecken, wofür sie unter Umständen
kämpfen, über die wirtschaftliche Notwehr hinaus, niemals erfassen
die Frauen ihre Lage unter dem Gesichtspunkt einer prinzipiellen Kritik
an der Verteilung von Existenzmöglichkeiten und Rechten unter die
Geschlechter, einer Kritik, die notwendig über das wirtschaftliche Ge-
biet hinaus auf andere Lebensverhältnisse hinübergegriffen hätte. Es
fehlt das geistige Moment, das diese rein wirtschaftlichen Kämpfe
erst zur Frauenbewegung im modernen Sinn gemacht hätte.

Und auch das ändert an dieser Tatsache nichts, daß auch in
früheren Jahrhunderten hier und da einmal eine starke weibliche
Jndividualität den für ihr Geschlecht gültigen Normen ihr instinktives
Selbstbewußtsein entgegensetzt. Jch erinnere nur an die hübsche
Hochzeitsszene in dem alten Spielmannsroman von Knodlieb. Der
Bräutigam reicht der Braut auf der Schwertspitze den Ring und
spricht dazu: „Wie der Ring den Finger von allen Seiten umfaßt,
so verpflichte ich dich zu fester und unwandelbarer Treue, die du mir
bewahren mußt oder das Leben lassen.“ Die Braut aber antwortete:
„Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Warum soll ich
dir bessere Treue bewahren als du mir? Adam hatte nur eine
Eva, so soll der Mann nur ein Weib haben. Du läßt dich mit
Buhlerinnen ein und willst doch nicht, daß ich eine sei. Jch werde
mich hüten, auf diese Bedingung einzugehen. Geh', leb' wohl und
sei so liederlich, wie du willst, aber ohne mich.“ Da mußte er
denn wohl nachgeben und sagte: „Wenn ich es jemals wieder tue,
so will ich die Güter verlieren, die ich dir geben werde, und du
sollst Macht haben, mich zu enthaupten.“ – „Unter dieser Be-
dingung“, antwortete sie, „wollen wir uns offen und ehrlich ver-
binden.“

Jst es nicht, als hörten wir Svava in Björnsons „Handschuh“?
Und doch ist hier eine weite Kluft. Denn aus der Frau der Spiel-
mannsdichtung spricht nicht das Geschlecht, sondern die einzelne
Jndividualität, die im Bewußtsein ihres besonderen Wertes ihre

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[5/0005] und sozialen Lebens hinzuweisen, auf die Schwierigkeit, miteinander Fühlung zu gewinnen, das Einzelschicksal als ein Massenschicksal kennen zu lernen, die allgemeinen Ursachen dafür zu suchen und ihnen gemeinsam entgegenzuarbeiten. Wo es sich um die wirtschaftliche Notwehr handelt, haben wir ja solche Gemeinschaftsbildungen; aber niemals geht das, was diese bezwecken, wofür sie unter Umständen kämpfen, über die wirtschaftliche Notwehr hinaus, niemals erfassen die Frauen ihre Lage unter dem Gesichtspunkt einer prinzipiellen Kritik an der Verteilung von Existenzmöglichkeiten und Rechten unter die Geschlechter, einer Kritik, die notwendig über das wirtschaftliche Ge- biet hinaus auf andere Lebensverhältnisse hinübergegriffen hätte. Es fehlt das geistige Moment, das diese rein wirtschaftlichen Kämpfe erst zur Frauenbewegung im modernen Sinn gemacht hätte. Und auch das ändert an dieser Tatsache nichts, daß auch in früheren Jahrhunderten hier und da einmal eine starke weibliche Jndividualität den für ihr Geschlecht gültigen Normen ihr instinktives Selbstbewußtsein entgegensetzt. Jch erinnere nur an die hübsche Hochzeitsszene in dem alten Spielmannsroman von Knodlieb. Der Bräutigam reicht der Braut auf der Schwertspitze den Ring und spricht dazu: „Wie der Ring den Finger von allen Seiten umfaßt, so verpflichte ich dich zu fester und unwandelbarer Treue, die du mir bewahren mußt oder das Leben lassen.“ Die Braut aber antwortete: „Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Warum soll ich dir bessere Treue bewahren als du mir? Adam hatte nur eine Eva, so soll der Mann nur ein Weib haben. Du läßt dich mit Buhlerinnen ein und willst doch nicht, daß ich eine sei. Jch werde mich hüten, auf diese Bedingung einzugehen. Geh', leb' wohl und sei so liederlich, wie du willst, aber ohne mich.“ Da mußte er denn wohl nachgeben und sagte: „Wenn ich es jemals wieder tue, so will ich die Güter verlieren, die ich dir geben werde, und du sollst Macht haben, mich zu enthaupten.“ – „Unter dieser Be- dingung“, antwortete sie, „wollen wir uns offen und ehrlich ver- binden.“ Jst es nicht, als hörten wir Svava in Björnsons „Handschuh“? Und doch ist hier eine weite Kluft. Denn aus der Frau der Spiel- mannsdichtung spricht nicht das Geschlecht, sondern die einzelne Jndividualität, die im Bewußtsein ihres besonderen Wertes ihre

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-11-05T13:58:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-11-05T13:58:55Z)

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_endziel_1904/5>, abgerufen am 18.04.2024.