Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
von der Erfahrung.
§. 573.

Wir sind oben (§. 559.) dabey stehen geblieben,
daß wir anmerkten, die Versuche lassen sich in solche
eintheilen, bey welchen man den Erfolg voraus sieht,
und in solche, wo man ihn nicht voraus sieht. Sieht
man denselben ganz voraus, so ist offenbar, daß der
Versuch, den man anstellt, eigentlich nur eine Probe
der Theorie der Schlüße ist, durch welche man auch,
ohne Versuch anzustellen, den Erfolg herausgebracht
hat. Durch diese Probe versichert man sich von der
Richtigkeit dieser Schlüße in so fern, daß man sieht,
man habe sich den Fall richtig vorgestellt, und die
Umstände mitgenommen, die an dem Erfolg etwas
ändern könnten, wenn man sie wegließe. Jndessen
müssen wir doch anmerken, daß diese Versicherung
eigentlich nicht weiter geht, als man aus der Rich-
tigkeit des Schlußsatzes etwas von der Richtigkeit
der Vordersätze bestimmen kann, welches, wie wir es
oben (§. 247.) angezeigt haben, nicht allgemein an-
geht. Jndessen, wenn man aus andern Gründen
weis, daß die Vordersätze wahr sind, so kann der an-
gestellte Versuch dennoch Jndividualien angeben, auf
welche man durch die Theorie nicht so leicht gekommen
wäre, und bey Schlüßen, wo man leicht einige Um-
stände aus der Acht lassen und übersehen könnte, und
besonders, wenn sie etwas weitläuftig sind, ist es gut,
von Schluß zu Schluß, oder wenigstens bey dem letz-
ten, die Erfahrung zur Probe zu machen. Das
berühmteste Beyspiel, und seit der Erneuerung der
Wissenschaften, das erste von dieser Art, gaben Pascal
und Perrier, welche aus hydrostatischen Gründen den
Schluß heraus brachten, das Barometer müsse auf
den Bergen niedriger stehen, als in der Tiefe. Um dieses
durch die Erfahrung zu bekräftigen, und um zugleich

zu
von der Erfahrung.
§. 573.

Wir ſind oben (§. 559.) dabey ſtehen geblieben,
daß wir anmerkten, die Verſuche laſſen ſich in ſolche
eintheilen, bey welchen man den Erfolg voraus ſieht,
und in ſolche, wo man ihn nicht voraus ſieht. Sieht
man denſelben ganz voraus, ſo iſt offenbar, daß der
Verſuch, den man anſtellt, eigentlich nur eine Probe
der Theorie der Schluͤße iſt, durch welche man auch,
ohne Verſuch anzuſtellen, den Erfolg herausgebracht
hat. Durch dieſe Probe verſichert man ſich von der
Richtigkeit dieſer Schluͤße in ſo fern, daß man ſieht,
man habe ſich den Fall richtig vorgeſtellt, und die
Umſtaͤnde mitgenommen, die an dem Erfolg etwas
aͤndern koͤnnten, wenn man ſie wegließe. Jndeſſen
muͤſſen wir doch anmerken, daß dieſe Verſicherung
eigentlich nicht weiter geht, als man aus der Rich-
tigkeit des Schlußſatzes etwas von der Richtigkeit
der Vorderſaͤtze beſtimmen kann, welches, wie wir es
oben (§. 247.) angezeigt haben, nicht allgemein an-
geht. Jndeſſen, wenn man aus andern Gruͤnden
weis, daß die Vorderſaͤtze wahr ſind, ſo kann der an-
geſtellte Verſuch dennoch Jndividualien angeben, auf
welche man durch die Theorie nicht ſo leicht gekommen
waͤre, und bey Schluͤßen, wo man leicht einige Um-
ſtaͤnde aus der Acht laſſen und uͤberſehen koͤnnte, und
beſonders, wenn ſie etwas weitlaͤuftig ſind, iſt es gut,
von Schluß zu Schluß, oder wenigſtens bey dem letz-
ten, die Erfahrung zur Probe zu machen. Das
beruͤhmteſte Beyſpiel, und ſeit der Erneuerung der
Wiſſenſchaften, das erſte von dieſer Art, gaben Paſcal
und Perrier, welche aus hydroſtatiſchen Gruͤnden den
Schluß heraus brachten, das Barometer muͤſſe auf
den Bergen niedriger ſtehen, als in der Tiefe. Um dieſes
durch die Erfahrung zu bekraͤftigen, und um zugleich

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0387" n="365"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von der Erfahrung.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 573.</head><lb/>
            <p>Wir &#x017F;ind oben (§. 559.) dabey &#x017F;tehen geblieben,<lb/>
daß wir anmerkten, die Ver&#x017F;uche la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich in &#x017F;olche<lb/>
eintheilen, bey welchen man den Erfolg voraus &#x017F;ieht,<lb/>
und in &#x017F;olche, wo man ihn nicht voraus &#x017F;ieht. Sieht<lb/>
man den&#x017F;elben ganz voraus, &#x017F;o i&#x017F;t offenbar, daß der<lb/>
Ver&#x017F;uch, den man an&#x017F;tellt, eigentlich nur eine <hi rendition="#fr">Probe</hi><lb/>
der Theorie der Schlu&#x0364;ße i&#x017F;t, durch welche man auch,<lb/>
ohne Ver&#x017F;uch anzu&#x017F;tellen, den Erfolg herausgebracht<lb/>
hat. Durch die&#x017F;e Probe ver&#x017F;ichert man &#x017F;ich von der<lb/>
Richtigkeit die&#x017F;er Schlu&#x0364;ße in &#x017F;o fern, daß man &#x017F;ieht,<lb/>
man habe &#x017F;ich den Fall richtig vorge&#x017F;tellt, und die<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde mitgenommen, die an dem Erfolg etwas<lb/>
a&#x0364;ndern ko&#x0364;nnten, wenn man &#x017F;ie wegließe. Jnde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir doch anmerken, daß die&#x017F;e Ver&#x017F;icherung<lb/>
eigentlich nicht weiter geht, als man aus der Rich-<lb/>
tigkeit des Schluß&#x017F;atzes etwas von der Richtigkeit<lb/>
der Vorder&#x017F;a&#x0364;tze be&#x017F;timmen kann, welches, wie wir es<lb/>
oben (§. 247.) angezeigt haben, nicht allgemein an-<lb/>
geht. Jnde&#x017F;&#x017F;en, wenn man aus andern Gru&#x0364;nden<lb/>
weis, daß die Vorder&#x017F;a&#x0364;tze wahr &#x017F;ind, &#x017F;o kann der an-<lb/>
ge&#x017F;tellte Ver&#x017F;uch dennoch Jndividualien angeben, auf<lb/>
welche man durch die Theorie nicht &#x017F;o leicht gekommen<lb/>
wa&#x0364;re, und bey Schlu&#x0364;ßen, wo man leicht einige Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde aus der Acht la&#x017F;&#x017F;en und u&#x0364;ber&#x017F;ehen ko&#x0364;nnte, und<lb/>
be&#x017F;onders, wenn &#x017F;ie etwas weitla&#x0364;uftig &#x017F;ind, i&#x017F;t es gut,<lb/>
von Schluß zu Schluß, oder wenig&#x017F;tens bey dem letz-<lb/>
ten, die Erfahrung zur Probe zu machen. Das<lb/>
beru&#x0364;hmte&#x017F;te Bey&#x017F;piel, und &#x017F;eit der Erneuerung der<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, das er&#x017F;te von die&#x017F;er Art, gaben <hi rendition="#fr">Pa&#x017F;cal</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Perrier,</hi> welche aus hydro&#x017F;tati&#x017F;chen Gru&#x0364;nden den<lb/>
Schluß heraus brachten, das Barometer mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e auf<lb/>
den Bergen niedriger &#x017F;tehen, als in der Tiefe. Um die&#x017F;es<lb/>
durch die Erfahrung zu bekra&#x0364;ftigen, und um zugleich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0387] von der Erfahrung. §. 573. Wir ſind oben (§. 559.) dabey ſtehen geblieben, daß wir anmerkten, die Verſuche laſſen ſich in ſolche eintheilen, bey welchen man den Erfolg voraus ſieht, und in ſolche, wo man ihn nicht voraus ſieht. Sieht man denſelben ganz voraus, ſo iſt offenbar, daß der Verſuch, den man anſtellt, eigentlich nur eine Probe der Theorie der Schluͤße iſt, durch welche man auch, ohne Verſuch anzuſtellen, den Erfolg herausgebracht hat. Durch dieſe Probe verſichert man ſich von der Richtigkeit dieſer Schluͤße in ſo fern, daß man ſieht, man habe ſich den Fall richtig vorgeſtellt, und die Umſtaͤnde mitgenommen, die an dem Erfolg etwas aͤndern koͤnnten, wenn man ſie wegließe. Jndeſſen muͤſſen wir doch anmerken, daß dieſe Verſicherung eigentlich nicht weiter geht, als man aus der Rich- tigkeit des Schlußſatzes etwas von der Richtigkeit der Vorderſaͤtze beſtimmen kann, welches, wie wir es oben (§. 247.) angezeigt haben, nicht allgemein an- geht. Jndeſſen, wenn man aus andern Gruͤnden weis, daß die Vorderſaͤtze wahr ſind, ſo kann der an- geſtellte Verſuch dennoch Jndividualien angeben, auf welche man durch die Theorie nicht ſo leicht gekommen waͤre, und bey Schluͤßen, wo man leicht einige Um- ſtaͤnde aus der Acht laſſen und uͤberſehen koͤnnte, und beſonders, wenn ſie etwas weitlaͤuftig ſind, iſt es gut, von Schluß zu Schluß, oder wenigſtens bey dem letz- ten, die Erfahrung zur Probe zu machen. Das beruͤhmteſte Beyſpiel, und ſeit der Erneuerung der Wiſſenſchaften, das erſte von dieſer Art, gaben Paſcal und Perrier, welche aus hydroſtatiſchen Gruͤnden den Schluß heraus brachten, das Barometer muͤſſe auf den Bergen niedriger ſtehen, als in der Tiefe. Um dieſes durch die Erfahrung zu bekraͤftigen, und um zugleich zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/387
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/387>, abgerufen am 18.04.2024.