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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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von den Aufgaben.
aus einzelnen Fällen, die uns die eigene Erfahrung
nebst der Geschichte und Erzählung andrer darbeut,
abstrahiren müssen, so ist klar, daß wir von Jugend
auf desto richtiger darinn gehen, je schicklicher die Um-
stände gewesen sind, dadurch wir zu solchen abstra-
cten Begriffen und ihrer wahren Ausdehnung gelangt
sind. (§. 27. seqq.) Man sollte solche Fälle auswäh-
len können; allein die Umstände der Menschen lassen
eine solche Auswahl gar nicht durchaus zu, und vie-
les hängt von der Anweisung und dem Unterrichte
ab, und soll eine Absicht bey der Einrichtung der
Schulen und der Auferziehung seyn. Was von
Kindheit auf in den Begriffen richtig ist, daran hat
man nicht erst nachher sein lebenlang zu bessern.

§. 549.

Die Empfindlichkeit der Sinnen, wodurch
man jede Eindrücke leicht bemerkt und in das
Gemüth fasset, die besondre Geschicklichkeit bey
schon oft geschehenen Sachen, auch das ge-
ringste Neue, so darinn ist, zu bemerken, und
dadurch die Begriffe der Aehulichkeit und
Verschiedenheit der Dinge zu bereichern, die
Zufälligkeiten vom Hauptwerke zu unterschei-
den,
sind Gaben der Natur, und können mit vor-
bedachter und dazu eingerichteter Uebung zu noch grös-
sern Fertigkeiten werden, und solche Fertigkeiten sind
Bedingungen, ohne welche man in der Erfindungskunst
nicht weit kömmt.

§. 550.

Da uns ferner Begriffe und Sätze, die bey ei-
ner Erfindung zusammen gehören, zusammen in
Sinn kommen müssen, so wird allerdings auch eine
solche Fertigkeit des Gedächtnisses dazu erfor-
dert, daß uns jeder Begriff und Satz da in

Sinn

von den Aufgaben.
aus einzelnen Faͤllen, die uns die eigene Erfahrung
nebſt der Geſchichte und Erzaͤhlung andrer darbeut,
abſtrahiren muͤſſen, ſo iſt klar, daß wir von Jugend
auf deſto richtiger darinn gehen, je ſchicklicher die Um-
ſtaͤnde geweſen ſind, dadurch wir zu ſolchen abſtra-
cten Begriffen und ihrer wahren Ausdehnung gelangt
ſind. (§. 27. ſeqq.) Man ſollte ſolche Faͤlle auswaͤh-
len koͤnnen; allein die Umſtaͤnde der Menſchen laſſen
eine ſolche Auswahl gar nicht durchaus zu, und vie-
les haͤngt von der Anweiſung und dem Unterrichte
ab, und ſoll eine Abſicht bey der Einrichtung der
Schulen und der Auferziehung ſeyn. Was von
Kindheit auf in den Begriffen richtig iſt, daran hat
man nicht erſt nachher ſein lebenlang zu beſſern.

§. 549.

Die Empfindlichkeit der Sinnen, wodurch
man jede Eindruͤcke leicht bemerkt und in das
Gemuͤth faſſet, die beſondre Geſchicklichkeit bey
ſchon oft geſchehenen Sachen, auch das ge-
ringſte Neue, ſo darinn iſt, zu bemerken, und
dadurch die Begriffe der Aehulichkeit und
Verſchiedenheit der Dinge zu bereichern, die
Zufaͤlligkeiten vom Hauptwerke zu unterſchei-
den,
ſind Gaben der Natur, und koͤnnen mit vor-
bedachter und dazu eingerichteter Uebung zu noch groͤſ-
ſern Fertigkeiten werden, und ſolche Fertigkeiten ſind
Bedingungen, ohne welche man in der Erfindungskunſt
nicht weit koͤmmt.

§. 550.

Da uns ferner Begriffe und Saͤtze, die bey ei-
ner Erfindung zuſammen gehoͤren, zuſammen in
Sinn kommen muͤſſen, ſo wird allerdings auch eine
ſolche Fertigkeit des Gedaͤchtniſſes dazu erfor-
dert, daß uns jeder Begriff und Satz da in

Sinn
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[347/0369] von den Aufgaben. aus einzelnen Faͤllen, die uns die eigene Erfahrung nebſt der Geſchichte und Erzaͤhlung andrer darbeut, abſtrahiren muͤſſen, ſo iſt klar, daß wir von Jugend auf deſto richtiger darinn gehen, je ſchicklicher die Um- ſtaͤnde geweſen ſind, dadurch wir zu ſolchen abſtra- cten Begriffen und ihrer wahren Ausdehnung gelangt ſind. (§. 27. ſeqq.) Man ſollte ſolche Faͤlle auswaͤh- len koͤnnen; allein die Umſtaͤnde der Menſchen laſſen eine ſolche Auswahl gar nicht durchaus zu, und vie- les haͤngt von der Anweiſung und dem Unterrichte ab, und ſoll eine Abſicht bey der Einrichtung der Schulen und der Auferziehung ſeyn. Was von Kindheit auf in den Begriffen richtig iſt, daran hat man nicht erſt nachher ſein lebenlang zu beſſern. §. 549. Die Empfindlichkeit der Sinnen, wodurch man jede Eindruͤcke leicht bemerkt und in das Gemuͤth faſſet, die beſondre Geſchicklichkeit bey ſchon oft geſchehenen Sachen, auch das ge- ringſte Neue, ſo darinn iſt, zu bemerken, und dadurch die Begriffe der Aehulichkeit und Verſchiedenheit der Dinge zu bereichern, die Zufaͤlligkeiten vom Hauptwerke zu unterſchei- den, ſind Gaben der Natur, und koͤnnen mit vor- bedachter und dazu eingerichteter Uebung zu noch groͤſ- ſern Fertigkeiten werden, und ſolche Fertigkeiten ſind Bedingungen, ohne welche man in der Erfindungskunſt nicht weit koͤmmt. §. 550. Da uns ferner Begriffe und Saͤtze, die bey ei- ner Erfindung zuſammen gehoͤren, zuſammen in Sinn kommen muͤſſen, ſo wird allerdings auch eine ſolche Fertigkeit des Gedaͤchtniſſes dazu erfor- dert, daß uns jeder Begriff und Satz da in Sinn

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/369>, abgerufen am 23.04.2024.