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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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Ursachen und Wirkungen.
kennet, und besonders, wo der Mechanismus und die
Structur der Theile ganz in die Sinne fällt. Man
kann eine Uhr, eine Mühle und die meisten Maschi-
nen, die wir selbst erfinden und verfertigen, als eben
so viele Beyspiele ansehen. Die Beschreibung, wie
dabey ein Theil den andern in Bewegung setzet, und
wie die Kraft sich nach der Zeit und Geschwindigkeit
richtet, kann so ausführlich vorgelegt werden, als
man will. Hingegen suchet man in der Physic meh-
rentheils Ursachen zu Wirkungen, die man noch lan-
ge nicht genug kennet, und wo weder die Theilchen
noch ihre Structur in die Sinnen fallen. Gemeinig-
lich aber nimmt man die Ursache gleich anfangs und
mit zu vielen Bestimmungen willkührlich an, anstatt,
daß man sie anfangs, so viel möglich ist, unbe-
stimmt lassen, und nur das beybehalten sollte,
von dem man sicher schließen kann, daß es in
der Ursache, oder eine Eigenschaft, seyn müsse.

So z. E. fieng Kepler an zu vermuthen, die Pla-
neten müßten durch eine Kraft von der geraden Linie
abgelenket werden, weil sie nicht in gerader Linie
fortgehen, und diese allgemeine Benennung wäre an-
fangs genug gewesen. Er machte aber, auf eine
fast individuale Art, diese Kraft magnetisch, und
setzte statt des Ablenkens den viel bestimmtern Aus-
druck des Anziehens. Newton behielt das Wort
anziehen, wenigstens als eine Metapher, und ver-
schiedene von seinen Nachfolgern, so, daß sie es dem
Drücken entgegen setzten. Cartesius und seine
Nachfolger verfuhren noch viel bestimmter, indem
sie den ganzen Himmel mit Materie anfülleten, und
dieser eine solche Structur und so mannichfaltige Be-
wegungen gaben, bis sie glaubten, die Keplerischen
Gesetze
daraus herleiten zu können, welches aber nie

recht
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Urſachen und Wirkungen.
kennet, und beſonders, wo der Mechanismus und die
Structur der Theile ganz in die Sinne faͤllt. Man
kann eine Uhr, eine Muͤhle und die meiſten Maſchi-
nen, die wir ſelbſt erfinden und verfertigen, als eben
ſo viele Beyſpiele anſehen. Die Beſchreibung, wie
dabey ein Theil den andern in Bewegung ſetzet, und
wie die Kraft ſich nach der Zeit und Geſchwindigkeit
richtet, kann ſo ausfuͤhrlich vorgelegt werden, als
man will. Hingegen ſuchet man in der Phyſic meh-
rentheils Urſachen zu Wirkungen, die man noch lan-
ge nicht genug kennet, und wo weder die Theilchen
noch ihre Structur in die Sinnen fallen. Gemeinig-
lich aber nimmt man die Urſache gleich anfangs und
mit zu vielen Beſtimmungen willkuͤhrlich an, anſtatt,
daß man ſie anfangs, ſo viel moͤglich iſt, unbe-
ſtimmt laſſen, und nur das beybehalten ſollte,
von dem man ſicher ſchließen kann, daß es in
der Urſache, oder eine Eigenſchaft, ſeyn muͤſſe.

So z. E. fieng Kepler an zu vermuthen, die Pla-
neten muͤßten durch eine Kraft von der geraden Linie
abgelenket werden, weil ſie nicht in gerader Linie
fortgehen, und dieſe allgemeine Benennung waͤre an-
fangs genug geweſen. Er machte aber, auf eine
faſt individuale Art, dieſe Kraft magnetiſch, und
ſetzte ſtatt des Ablenkens den viel beſtimmtern Aus-
druck des Anziehens. Newton behielt das Wort
anziehen, wenigſtens als eine Metapher, und ver-
ſchiedene von ſeinen Nachfolgern, ſo, daß ſie es dem
Druͤcken entgegen ſetzten. Carteſius und ſeine
Nachfolger verfuhren noch viel beſtimmter, indem
ſie den ganzen Himmel mit Materie anfuͤlleten, und
dieſer eine ſolche Structur und ſo mannichfaltige Be-
wegungen gaben, bis ſie glaubten, die Kepleriſchen
Geſetze
daraus herleiten zu koͤnnen, welches aber nie

recht
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[229/0237] Urſachen und Wirkungen. kennet, und beſonders, wo der Mechanismus und die Structur der Theile ganz in die Sinne faͤllt. Man kann eine Uhr, eine Muͤhle und die meiſten Maſchi- nen, die wir ſelbſt erfinden und verfertigen, als eben ſo viele Beyſpiele anſehen. Die Beſchreibung, wie dabey ein Theil den andern in Bewegung ſetzet, und wie die Kraft ſich nach der Zeit und Geſchwindigkeit richtet, kann ſo ausfuͤhrlich vorgelegt werden, als man will. Hingegen ſuchet man in der Phyſic meh- rentheils Urſachen zu Wirkungen, die man noch lan- ge nicht genug kennet, und wo weder die Theilchen noch ihre Structur in die Sinnen fallen. Gemeinig- lich aber nimmt man die Urſache gleich anfangs und mit zu vielen Beſtimmungen willkuͤhrlich an, anſtatt, daß man ſie anfangs, ſo viel moͤglich iſt, unbe- ſtimmt laſſen, und nur das beybehalten ſollte, von dem man ſicher ſchließen kann, daß es in der Urſache, oder eine Eigenſchaft, ſeyn muͤſſe. So z. E. fieng Kepler an zu vermuthen, die Pla- neten muͤßten durch eine Kraft von der geraden Linie abgelenket werden, weil ſie nicht in gerader Linie fortgehen, und dieſe allgemeine Benennung waͤre an- fangs genug geweſen. Er machte aber, auf eine faſt individuale Art, dieſe Kraft magnetiſch, und ſetzte ſtatt des Ablenkens den viel beſtimmtern Aus- druck des Anziehens. Newton behielt das Wort anziehen, wenigſtens als eine Metapher, und ver- ſchiedene von ſeinen Nachfolgern, ſo, daß ſie es dem Druͤcken entgegen ſetzten. Carteſius und ſeine Nachfolger verfuhren noch viel beſtimmter, indem ſie den ganzen Himmel mit Materie anfuͤlleten, und dieſer eine ſolche Structur und ſo mannichfaltige Be- wegungen gaben, bis ſie glaubten, die Kepleriſchen Geſetze daraus herleiten zu koͤnnen, welches aber nie recht P 3

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/237>, abgerufen am 28.03.2024.