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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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Das Zusammensetzen.
rungen haben würde, wie etwann in einem Sacke
voll Mehls, oder in einem Haufen Staubes. So-
dann fällt es uns schwer, Substanzen anzunehmen,
die nicht solid sind, und dennoch in dem Soliden Ver-
bindungen verursachen, Bewegungen und Verände-
rungen hervor bringen, und man wird dadurch leichte
verleitet, das Solide, die Dauer, den Raum und
die Bewegung für bloßen sinnlichen Schein und Bil-
der der Einbildungskraft anzugeben, welche uns das,
was eine bloße Art der Vorstellung des Verschiede-
nen und des Veränderlichen und der Harmonie zwi-
schen denselben ist, als etwas reales vorstellen. Man
gienge hierinn anfangs stufenweise. Die Farben
z. E. und das Licht wurde dem Auge zugeschrieben,
und man glaubte, daß die Stralen aus dem Auge
ausflossen, bis sie die Objecte berührten, ungefähr,
wie man mit der Hand etwas betasten muß, um zu
finden, ob es hart oder weich sey. Man hatte aber
nur einen Schritt zu thun, um diese Vorstellung zu
ändern, weil man bey geringer Ueberlegung finden
konnte, daß das Auge im Dunkeln vergebens seine
Blicke gegen die Objecte richtet. Dadurch kehrte
man um, und eignete die Farben den Körpern zu.
Genauere Versuche aber zeigten, daß nicht die Kör-
per, sondern die Lichtstralen der eigentliche Grund
sind, warum die Körper mehrerley Farben haben
können, und daß das Bild auf dem Augennetze eben
so gefärbt aussehe. Aus diesem konnte man nun
schließen, daß die Begriffe der Farben eigentlich in
der Seele, die Veranlassung dazu aber in den Licht-
stralen, in den Körpern und in der Structur des Au-
ges, der Gesichtsnerven und der Fibern des Gehir-
nes ist. Zu allen diesen Schlüssen verhalf die Er-
fahrung; und die Natur, so bald sie richtiger befragt

wurde,
L 3

Das Zuſammenſetzen.
rungen haben wuͤrde, wie etwann in einem Sacke
voll Mehls, oder in einem Haufen Staubes. So-
dann faͤllt es uns ſchwer, Subſtanzen anzunehmen,
die nicht ſolid ſind, und dennoch in dem Soliden Ver-
bindungen verurſachen, Bewegungen und Veraͤnde-
rungen hervor bringen, und man wird dadurch leichte
verleitet, das Solide, die Dauer, den Raum und
die Bewegung fuͤr bloßen ſinnlichen Schein und Bil-
der der Einbildungskraft anzugeben, welche uns das,
was eine bloße Art der Vorſtellung des Verſchiede-
nen und des Veraͤnderlichen und der Harmonie zwi-
ſchen denſelben iſt, als etwas reales vorſtellen. Man
gienge hierinn anfangs ſtufenweiſe. Die Farben
z. E. und das Licht wurde dem Auge zugeſchrieben,
und man glaubte, daß die Stralen aus dem Auge
ausfloſſen, bis ſie die Objecte beruͤhrten, ungefaͤhr,
wie man mit der Hand etwas betaſten muß, um zu
finden, ob es hart oder weich ſey. Man hatte aber
nur einen Schritt zu thun, um dieſe Vorſtellung zu
aͤndern, weil man bey geringer Ueberlegung finden
konnte, daß das Auge im Dunkeln vergebens ſeine
Blicke gegen die Objecte richtet. Dadurch kehrte
man um, und eignete die Farben den Koͤrpern zu.
Genauere Verſuche aber zeigten, daß nicht die Koͤr-
per, ſondern die Lichtſtralen der eigentliche Grund
ſind, warum die Koͤrper mehrerley Farben haben
koͤnnen, und daß das Bild auf dem Augennetze eben
ſo gefaͤrbt ausſehe. Aus dieſem konnte man nun
ſchließen, daß die Begriffe der Farben eigentlich in
der Seele, die Veranlaſſung dazu aber in den Licht-
ſtralen, in den Koͤrpern und in der Structur des Au-
ges, der Geſichtsnerven und der Fibern des Gehir-
nes iſt. Zu allen dieſen Schluͤſſen verhalf die Er-
fahrung; und die Natur, ſo bald ſie richtiger befragt

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[165/0173] Das Zuſammenſetzen. rungen haben wuͤrde, wie etwann in einem Sacke voll Mehls, oder in einem Haufen Staubes. So- dann faͤllt es uns ſchwer, Subſtanzen anzunehmen, die nicht ſolid ſind, und dennoch in dem Soliden Ver- bindungen verurſachen, Bewegungen und Veraͤnde- rungen hervor bringen, und man wird dadurch leichte verleitet, das Solide, die Dauer, den Raum und die Bewegung fuͤr bloßen ſinnlichen Schein und Bil- der der Einbildungskraft anzugeben, welche uns das, was eine bloße Art der Vorſtellung des Verſchiede- nen und des Veraͤnderlichen und der Harmonie zwi- ſchen denſelben iſt, als etwas reales vorſtellen. Man gienge hierinn anfangs ſtufenweiſe. Die Farben z. E. und das Licht wurde dem Auge zugeſchrieben, und man glaubte, daß die Stralen aus dem Auge ausfloſſen, bis ſie die Objecte beruͤhrten, ungefaͤhr, wie man mit der Hand etwas betaſten muß, um zu finden, ob es hart oder weich ſey. Man hatte aber nur einen Schritt zu thun, um dieſe Vorſtellung zu aͤndern, weil man bey geringer Ueberlegung finden konnte, daß das Auge im Dunkeln vergebens ſeine Blicke gegen die Objecte richtet. Dadurch kehrte man um, und eignete die Farben den Koͤrpern zu. Genauere Verſuche aber zeigten, daß nicht die Koͤr- per, ſondern die Lichtſtralen der eigentliche Grund ſind, warum die Koͤrper mehrerley Farben haben koͤnnen, und daß das Bild auf dem Augennetze eben ſo gefaͤrbt ausſehe. Aus dieſem konnte man nun ſchließen, daß die Begriffe der Farben eigentlich in der Seele, die Veranlaſſung dazu aber in den Licht- ſtralen, in den Koͤrpern und in der Structur des Au- ges, der Geſichtsnerven und der Fibern des Gehir- nes iſt. Zu allen dieſen Schluͤſſen verhalf die Er- fahrung; und die Natur, ſo bald ſie richtiger befragt wurde, L 3

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/173>, abgerufen am 25.04.2024.