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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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Das Verworrene dieser Erzählung fällt auf den ersten
Blick in die Augen, so daß es dafür keines Beweises, son-
dern nur der Versicherung bedarf, daß eben die zweite
Hälfte unseres Gedichts von diesem Fehler, bis auf wenige
Stellen, sonst gänzlich frei ist.

Die erste Strophe von Volker zeigt deutlich einen
neuen Versuch, den Fiedler in das Gedicht einzuführen.
Was in dem Folgenden von ihm gesagt ist, läßt sich kaum
recht begreifen. Hagen kannte ja die Wege, so daß sie
keines andern Führers bedurften. Außer den Stellen, die
sich auf Hagens früheren Aufenthalt bei Etzel beziehen,
heißt es auch schon auf eben dieser Reise, da sie durch
Osterfranken gehen:
Dar leitete si do Hagene, dem was ez wol bekant.
(Z. 6111.) Ja Kriemhilde hatte den Boten gerade dies als
den Grund angegeben, warum Hagen mit zu ihr kom-
men müßte (Z. 5690):
Und ob von Tronege Hagene welle dort bestan,
Wer si danne solde wisen durch du lant.
Dem sint die wege von kinde her zen Hunen wol be-
kant.

Und dennoch kannte sie auch Volkern recht wohl; in der
7093 Zeile sagt sie zu den Hünischen Recken:
Swie stark und swie küne von Tronege Hagen si,
Noch ist er verre sterker, der im da sitzet bi,
Volker der videloere, der ist ein ubel man.
Jane sult ir die helde niht so lihte bestan.

Aber auch einige andere Strophen in dieser Stelle
sind mir sehr verdächtig, eben der schon angedeuteten Ver-

B

Das Verworrene dieſer Erzählung fällt auf den erſten
Blick in die Augen, ſo daß es dafür keines Beweiſes, ſon-
dern nur der Verſicherung bedarf, daß eben die zweite
Hälfte unſeres Gedichts von dieſem Fehler, bis auf wenige
Stellen, ſonſt gänzlich frei iſt.

Die erſte Strophe von Volker zeigt deutlich einen
neuen Verſuch, den Fiedler in das Gedicht einzuführen.
Was in dem Folgenden von ihm geſagt iſt, läßt ſich kaum
recht begreifen. Hagen kannte ja die Wege, ſo daß ſie
keines andern Führers bedurften. Außer den Stellen, die
ſich auf Hagens früheren Aufenthalt bei Etzel beziehen,
heißt es auch ſchon auf eben dieſer Reiſe, da ſie durch
Oſterfranken gehen:
Dar leitete ſi do Hagene, dem was ez wol bekant.
(Z. 6111.) Ja Kriemhilde hatte den Boten gerade dies als
den Grund angegeben, warum Hagen mit zu ihr kom-
men müßte (Z. 5690):
Und ob von Tronege Hagene welle dort beſtan,
Wer ſi danne ſolde wiſen durch du̓ lant.
Dem ſint die wege von kinde her zen Hu̓nen wol be-
kant.

Und dennoch kannte ſie auch Volkern recht wohl; in der
7093 Zeile ſagt ſie zu den Hüniſchen Recken:
Swie ſtark und ſwie küne von Tronege Hagen ſi,
Noch iſt er verre ſterker, der im da ſitzet bi,
Volker der videlœre, der iſt ein u̓bel man.
Jane ſult ir die helde niht ſo lihte beſtan.

Aber auch einige andere Strophen in dieſer Stelle
ſind mir ſehr verdächtig, eben der ſchon angedeuteten Ver-

B
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[17/0025] Das Verworrene dieſer Erzählung fällt auf den erſten Blick in die Augen, ſo daß es dafür keines Beweiſes, ſon- dern nur der Verſicherung bedarf, daß eben die zweite Hälfte unſeres Gedichts von dieſem Fehler, bis auf wenige Stellen, ſonſt gänzlich frei iſt. Die erſte Strophe von Volker zeigt deutlich einen neuen Verſuch, den Fiedler in das Gedicht einzuführen. Was in dem Folgenden von ihm geſagt iſt, läßt ſich kaum recht begreifen. Hagen kannte ja die Wege, ſo daß ſie keines andern Führers bedurften. Außer den Stellen, die ſich auf Hagens früheren Aufenthalt bei Etzel beziehen, heißt es auch ſchon auf eben dieſer Reiſe, da ſie durch Oſterfranken gehen: Dar leitete ſi do Hagene, dem was ez wol bekant. (Z. 6111.) Ja Kriemhilde hatte den Boten gerade dies als den Grund angegeben, warum Hagen mit zu ihr kom- men müßte (Z. 5690): Und ob von Tronege Hagene welle dort beſtan, Wer ſi danne ſolde wiſen durch du̓ lant. Dem ſint die wege von kinde her zen Hu̓nen wol be- kant. Und dennoch kannte ſie auch Volkern recht wohl; in der 7093 Zeile ſagt ſie zu den Hüniſchen Recken: Swie ſtark und ſwie küne von Tronege Hagen ſi, Noch iſt er verre ſterker, der im da ſitzet bi, Volker der videlœre, der iſt ein u̓bel man. Jane ſult ir die helde niht ſo lihte beſtan. Aber auch einige andere Strophen in dieſer Stelle ſind mir ſehr verdächtig, eben der ſchon angedeuteten Ver- B

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/25>, abgerufen am 28.03.2024.