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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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hier wurden die Glockensignale durch Bleistiftstriche verzeichnet. Als
Massstab für die Arbeitsleistung diente die Summe der in je 5 Mi-
nuten addirten Zahlen, deren Durchschnitt auch hier für jede Viertel-
stunde berechnet wurde.

Das Auswendiglernen lehnte sich ganz an die von Ebbinghaus*)
angegebene Methode an. Wir benutzten die soeben erwähnten Rechen-
hefte, in denen die Zahlen für diesen Zweck in Reihen von je 12 ab-
getheilt waren. Jede derartige Gruppe wurde flüsternd so lange
wiederholt, bis es gelang, dieselbe einmal ohne Fehler auswendig her-
zusagen. Beim Stocken wurde die Reihe stets erst bis zu Ende weiter
gelesen, nicht in der Mitte abgebrochen. Jede Wiederholung wurde
am Rande durch einen senkrechten Strich markirt. Sobald die Reihe
einmal richtig aufgesagt worden war, ging man zur folgenden über.
Die Glockenschläge wurden durch wagerechte Striche verzeichnet; über
denselben standen die Wiederholungen der betreffenden Reihe vorher,
unter denselben diejenigen notirt, welche nachher zum völligen Er-
lernen nothwendig gewesen waren. Ich will nicht unterlassen, zu be-
merken, dass diese Lernmethode, die auf den ersten Blick vielleicht
nicht sehr zuverlässig erscheint, sich praktisch überraschend gut ver-
werthbar zeigt. Insbesondere ist die Beurtheilung des Augenblicks,
in welchem das Erlernte haftet, viel leichter und sicherer, als man
von vornherein meinen möchte. Das Ergebniss dieser Versuche lässt
sich nach verschiedenen Richtungen hin verfolgen, indem man einmal
die Anzahl der gelernten Zahlen, dann die Anzahl der Wiederholungen
für je 5 Minuten, endlich aber die Anzahl der für das Erlernen jeder
Reihe nothwendigen Wiederholungen berechnet.

Der Beginn der Versuche fiel regelmässig zwischen 8 und 9 Uhr
Abends; 5--6 Stunden vorher durfte weder Alkohol noch Thee oder
Kaffee, 2--3 Stunden vorher überhaupt keinerlei Nahrung genommen
werden. Der normale Gang der Leistungsfähigkeit bei 2 stündiger
geistiger Thätigkeit unter diesen Bedingungen war für die Versuchs-
personen bekannt. Ausserdem suchte ich an jedem Beobachtungstage
ein ungefähres Urtheil über die augenblickliche Disposition zunächst
durch 1/2 stündige Arbeitsleistung zu gewinnen. Daran schloss sich
unmittelbar die Einverleibung des Medicamentes und dann möglichst
ohne jede Pause die 11/2stündige Fortsetzung des Versuches. Ein Vergleich
der auf diese Weise gewonnenen Zahlenreihen mit den Normalver-
suchen liess schliesslich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit jene Ab-

*) Ueber das Gedächtniss. Leipzig 1885, p. 30 ss.

hier wurden die Glockensignale durch Bleistiftstriche verzeichnet. Als
Massstab für die Arbeitsleistung diente die Summe der in je 5 Mi-
nuten addirten Zahlen, deren Durchschnitt auch hier für jede Viertel-
stunde berechnet wurde.

Das Auswendiglernen lehnte sich ganz an die von Ebbinghaus*)
angegebene Methode an. Wir benutzten die soeben erwähnten Rechen-
hefte, in denen die Zahlen für diesen Zweck in Reihen von je 12 ab-
getheilt waren. Jede derartige Gruppe wurde flüsternd so lange
wiederholt, bis es gelang, dieselbe einmal ohne Fehler auswendig her-
zusagen. Beim Stocken wurde die Reihe stets erst bis zu Ende weiter
gelesen, nicht in der Mitte abgebrochen. Jede Wiederholung wurde
am Rande durch einen senkrechten Strich markirt. Sobald die Reihe
einmal richtig aufgesagt worden war, ging man zur folgenden über.
Die Glockenschläge wurden durch wagerechte Striche verzeichnet; über
denselben standen die Wiederholungen der betreffenden Reihe vorher,
unter denselben diejenigen notirt, welche nachher zum völligen Er-
lernen nothwendig gewesen waren. Ich will nicht unterlassen, zu be-
merken, dass diese Lernmethode, die auf den ersten Blick vielleicht
nicht sehr zuverlässig erscheint, sich praktisch überraschend gut ver-
werthbar zeigt. Insbesondere ist die Beurtheilung des Augenblicks,
in welchem das Erlernte haftet, viel leichter und sicherer, als man
von vornherein meinen möchte. Das Ergebniss dieser Versuche lässt
sich nach verschiedenen Richtungen hin verfolgen, indem man einmal
die Anzahl der gelernten Zahlen, dann die Anzahl der Wiederholungen
für je 5 Minuten, endlich aber die Anzahl der für das Erlernen jeder
Reihe nothwendigen Wiederholungen berechnet.

Der Beginn der Versuche fiel regelmässig zwischen 8 und 9 Uhr
Abends; 5—6 Stunden vorher durfte weder Alkohol noch Thee oder
Kaffee, 2—3 Stunden vorher überhaupt keinerlei Nahrung genommen
werden. Der normale Gang der Leistungsfähigkeit bei 2 stündiger
geistiger Thätigkeit unter diesen Bedingungen war für die Versuchs-
personen bekannt. Ausserdem suchte ich an jedem Beobachtungstage
ein ungefähres Urtheil über die augenblickliche Disposition zunächst
durch ½ stündige Arbeitsleistung zu gewinnen. Daran schloss sich
unmittelbar die Einverleibung des Medicamentes und dann möglichst
ohne jede Pause die 1½stündige Fortsetzung des Versuches. Ein Vergleich
der auf diese Weise gewonnenen Zahlenreihen mit den Normalver-
suchen liess schliesslich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit jene Ab-

*) Ueber das Gedächtniss. Leipzig 1885, p. 30 ss.
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[7/0023] hier wurden die Glockensignale durch Bleistiftstriche verzeichnet. Als Massstab für die Arbeitsleistung diente die Summe der in je 5 Mi- nuten addirten Zahlen, deren Durchschnitt auch hier für jede Viertel- stunde berechnet wurde. Das Auswendiglernen lehnte sich ganz an die von Ebbinghaus *) angegebene Methode an. Wir benutzten die soeben erwähnten Rechen- hefte, in denen die Zahlen für diesen Zweck in Reihen von je 12 ab- getheilt waren. Jede derartige Gruppe wurde flüsternd so lange wiederholt, bis es gelang, dieselbe einmal ohne Fehler auswendig her- zusagen. Beim Stocken wurde die Reihe stets erst bis zu Ende weiter gelesen, nicht in der Mitte abgebrochen. Jede Wiederholung wurde am Rande durch einen senkrechten Strich markirt. Sobald die Reihe einmal richtig aufgesagt worden war, ging man zur folgenden über. Die Glockenschläge wurden durch wagerechte Striche verzeichnet; über denselben standen die Wiederholungen der betreffenden Reihe vorher, unter denselben diejenigen notirt, welche nachher zum völligen Er- lernen nothwendig gewesen waren. Ich will nicht unterlassen, zu be- merken, dass diese Lernmethode, die auf den ersten Blick vielleicht nicht sehr zuverlässig erscheint, sich praktisch überraschend gut ver- werthbar zeigt. Insbesondere ist die Beurtheilung des Augenblicks, in welchem das Erlernte haftet, viel leichter und sicherer, als man von vornherein meinen möchte. Das Ergebniss dieser Versuche lässt sich nach verschiedenen Richtungen hin verfolgen, indem man einmal die Anzahl der gelernten Zahlen, dann die Anzahl der Wiederholungen für je 5 Minuten, endlich aber die Anzahl der für das Erlernen jeder Reihe nothwendigen Wiederholungen berechnet. Der Beginn der Versuche fiel regelmässig zwischen 8 und 9 Uhr Abends; 5—6 Stunden vorher durfte weder Alkohol noch Thee oder Kaffee, 2—3 Stunden vorher überhaupt keinerlei Nahrung genommen werden. Der normale Gang der Leistungsfähigkeit bei 2 stündiger geistiger Thätigkeit unter diesen Bedingungen war für die Versuchs- personen bekannt. Ausserdem suchte ich an jedem Beobachtungstage ein ungefähres Urtheil über die augenblickliche Disposition zunächst durch ½ stündige Arbeitsleistung zu gewinnen. Daran schloss sich unmittelbar die Einverleibung des Medicamentes und dann möglichst ohne jede Pause die 1½stündige Fortsetzung des Versuches. Ein Vergleich der auf diese Weise gewonnenen Zahlenreihen mit den Normalver- suchen liess schliesslich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit jene Ab- *) Ueber das Gedächtniss. Leipzig 1885, p. 30 ss.

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/23>, abgerufen am 28.03.2024.