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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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wir praktisch längst wissen, dass Chloralhydrat das wirksamste, aber
gefährlichste, Alkohol das mildeste und Paraldehyd das zweckmässigste
dieser drei Mittel ist, wenn es sich um die Herbeiführung des Schlafes
handelt. Vielleicht ist es nicht ohne Bedeutung, dass gerade die
beiden Mittel, welche auf die motorische Seite lähmend wirken, am
leichtesten unangenehme Folgezustände, Kopfschmerz, Abgeschlagen-
heit, Schwächegefühl, sogar Collapse nach sich ziehen, wie wir sie
nach dem Paraldehydgenuss selten oder nie beobachten. Möglicher-
weise kommen hier länger andauernde vasomotorische Lähmungs-
erscheinungen in Betracht.

d. Inhalationsgifte*).

Eine gewisse Verwandtschaft mit der Wirkung des Chloralhydrat
scheint diejenige des Chloroform zu haben. Wir sehen hier die
drei einfacheren Reactionsformen ungemein rasch und intensiv verlang-
samt werden, so dass wir auf eine annähernd gleichmässige Beein-
flussung aller Bestandtheile dieser Vorgänge schliessen dürfen. Ueber-
dies ist ja die Verbindung der sensorischen mit der motorischen Läh-
mung in der Chloroformnarkose bekannt genug. Höchst auffallend
ist nur die von mir überall wiedergefundene Thatsache, dass beim
Verschwinden der experimentellen Narkose sich regelmässig vorüber-
gehend eine Beschleunigung der psychischen Functionen geltend
machte, die bei den einfachen und Wahlreactionen anscheinend deutlicher
war, als bei den Unterscheidungen. Nach tieferen Narkosen war diese
secundäre Verkürzung mit einigen Ausnahmen im Allgemeinen ge-
ringer, als nach leichteren, doch ist zu berücksichtigen, dass natürlich
alle Versuche höchstens bis kurz vor den Eintritt schlafartiger Be-
nommenheit fortgesetzt werden konnten. Subjectiv machte sich während
der nur wenige Minuten dauernden Verkürzung meist das Gefühl
prompterer Reaction bemerkbar, das allerdings bisweilen erst eintrat,
wenn die gemessenen Werthe sich bereits wieder verlängerten. Nach
recht tiefer Narkose konnte die nachträgliche Beschleunigung völlig
ausbleiben.

Die Beobachtungen beim Aether zeigen in allen wesentlichen
Punkten ein ganz ähnliches Bild; nur ist die Wirkung eine entschieden
langsamere und weniger intensive. Ausserdem aber ist es gerade im
Gegensatze zum Chloroform bemerkenswerth, dass unter dem Einflusse
des Aethers bei den Unterscheidungsversuchen gelegentlich in über-

*) Vgl. hierzu Lit. III.

wir praktisch längst wissen, dass Chloralhydrat das wirksamste, aber
gefährlichste, Alkohol das mildeste und Paraldehyd das zweckmässigste
dieser drei Mittel ist, wenn es sich um die Herbeiführung des Schlafes
handelt. Vielleicht ist es nicht ohne Bedeutung, dass gerade die
beiden Mittel, welche auf die motorische Seite lähmend wirken, am
leichtesten unangenehme Folgezustände, Kopfschmerz, Abgeschlagen-
heit, Schwächegefühl, sogar Collapse nach sich ziehen, wie wir sie
nach dem Paraldehydgenuss selten oder nie beobachten. Möglicher-
weise kommen hier länger andauernde vasomotorische Lähmungs-
erscheinungen in Betracht.

d. Inhalationsgifte*).

Eine gewisse Verwandtschaft mit der Wirkung des Chloralhydrat
scheint diejenige des Chloroform zu haben. Wir sehen hier die
drei einfacheren Reactionsformen ungemein rasch und intensiv verlang-
samt werden, so dass wir auf eine annähernd gleichmässige Beein-
flussung aller Bestandtheile dieser Vorgänge schliessen dürfen. Ueber-
dies ist ja die Verbindung der sensorischen mit der motorischen Läh-
mung in der Chloroformnarkose bekannt genug. Höchst auffallend
ist nur die von mir überall wiedergefundene Thatsache, dass beim
Verschwinden der experimentellen Narkose sich regelmässig vorüber-
gehend eine Beschleunigung der psychischen Functionen geltend
machte, die bei den einfachen und Wahlreactionen anscheinend deutlicher
war, als bei den Unterscheidungen. Nach tieferen Narkosen war diese
secundäre Verkürzung mit einigen Ausnahmen im Allgemeinen ge-
ringer, als nach leichteren, doch ist zu berücksichtigen, dass natürlich
alle Versuche höchstens bis kurz vor den Eintritt schlafartiger Be-
nommenheit fortgesetzt werden konnten. Subjectiv machte sich während
der nur wenige Minuten dauernden Verkürzung meist das Gefühl
prompterer Reaction bemerkbar, das allerdings bisweilen erst eintrat,
wenn die gemessenen Werthe sich bereits wieder verlängerten. Nach
recht tiefer Narkose konnte die nachträgliche Beschleunigung völlig
ausbleiben.

Die Beobachtungen beim Aether zeigen in allen wesentlichen
Punkten ein ganz ähnliches Bild; nur ist die Wirkung eine entschieden
langsamere und weniger intensive. Ausserdem aber ist es gerade im
Gegensatze zum Chloroform bemerkenswerth, dass unter dem Einflusse
des Aethers bei den Unterscheidungsversuchen gelegentlich in über-

*) Vgl. hierzu Lit. III.
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[213/0229] wir praktisch längst wissen, dass Chloralhydrat das wirksamste, aber gefährlichste, Alkohol das mildeste und Paraldehyd das zweckmässigste dieser drei Mittel ist, wenn es sich um die Herbeiführung des Schlafes handelt. Vielleicht ist es nicht ohne Bedeutung, dass gerade die beiden Mittel, welche auf die motorische Seite lähmend wirken, am leichtesten unangenehme Folgezustände, Kopfschmerz, Abgeschlagen- heit, Schwächegefühl, sogar Collapse nach sich ziehen, wie wir sie nach dem Paraldehydgenuss selten oder nie beobachten. Möglicher- weise kommen hier länger andauernde vasomotorische Lähmungs- erscheinungen in Betracht. d. Inhalationsgifte *). Eine gewisse Verwandtschaft mit der Wirkung des Chloralhydrat scheint diejenige des Chloroform zu haben. Wir sehen hier die drei einfacheren Reactionsformen ungemein rasch und intensiv verlang- samt werden, so dass wir auf eine annähernd gleichmässige Beein- flussung aller Bestandtheile dieser Vorgänge schliessen dürfen. Ueber- dies ist ja die Verbindung der sensorischen mit der motorischen Läh- mung in der Chloroformnarkose bekannt genug. Höchst auffallend ist nur die von mir überall wiedergefundene Thatsache, dass beim Verschwinden der experimentellen Narkose sich regelmässig vorüber- gehend eine Beschleunigung der psychischen Functionen geltend machte, die bei den einfachen und Wahlreactionen anscheinend deutlicher war, als bei den Unterscheidungen. Nach tieferen Narkosen war diese secundäre Verkürzung mit einigen Ausnahmen im Allgemeinen ge- ringer, als nach leichteren, doch ist zu berücksichtigen, dass natürlich alle Versuche höchstens bis kurz vor den Eintritt schlafartiger Be- nommenheit fortgesetzt werden konnten. Subjectiv machte sich während der nur wenige Minuten dauernden Verkürzung meist das Gefühl prompterer Reaction bemerkbar, das allerdings bisweilen erst eintrat, wenn die gemessenen Werthe sich bereits wieder verlängerten. Nach recht tiefer Narkose konnte die nachträgliche Beschleunigung völlig ausbleiben. Die Beobachtungen beim Aether zeigen in allen wesentlichen Punkten ein ganz ähnliches Bild; nur ist die Wirkung eine entschieden langsamere und weniger intensive. Ausserdem aber ist es gerade im Gegensatze zum Chloroform bemerkenswerth, dass unter dem Einflusse des Aethers bei den Unterscheidungsversuchen gelegentlich in über- *) Vgl. hierzu Lit. III.

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/229>, abgerufen am 28.03.2024.